Als die Welt, wie wir sie kannten, zusammenbrach, dachten viele, dass die neue Welt anders würde. Es gab so viele Nie-Wieders: Nie wieder sollte der Staat Banken retten müssen, nie wieder sollten Banker die Gesellschaft als Geisel nehmen.
Fünf Jahre nach dem Zusammenbruch von Lehman Brothers müssen wir erkennen, dass dieses Ziel eine Illusion war, ein naiver Wunsch während der Panik. Es gibt sie nach wie vor: Riesen-Boni und Zockerei, Mega- und Schattenbanken, verbriefter Schrott und Finanzwetten, die sich von der Realität entkoppelt haben.
Aber haben wir wirklich nichts gelernt? War Lehman „umsonst“?
Fast jeder weiß noch, wo er am 15. September 2008 war. Es war ein Datum wie der 11. September 2001 oder der 9. November 1989. Ich erinnere den Morgen genau: Ich arbeitete bei der „Financial Times Deutschland“, hatte Dienst auf der Reportageseite.
Die E-Mail, in der ich jeden Tag die Themen schrieb, kam mir so überflüssig vor, dass ich eine Reportage über die Webstuhlindustrie in Georgien ankündigte. Klar machten wir Lehman! Wir dachten als Journalisten: Es war aufregend, wir konnten Geschichten erzählen. Kaum einer ahnte, wie schlimm diese Pleite tatsächlich war.
Wenige Wochen später stand die Hypo Real Estate vor dem Kollaps. Ich erinnere, wie eine Ressortleiterin in der Konferenz fragte, ob wir jetzt die Zeitung planen – oder lieber zum Geldautomaten gehen sollten. Es war ein Scherz, aber uns war verdammt mulmig zumute. „Was ist“, schrieb ich einem Freund, „wenn wir unseren Wohlstand tatsächlich verlieren?“
Solche Zeilen wirken im Rückblick übertrieben, fast melodramatisch, aber das liegt nur daran, dass wir vergesslich sind: Mehrmals stand unser Finanzsystem vor dem Kollaps, etwa am Wochenende des 8. und 9. Mai 2010, als das erste Hilfspaket in Europa geschnürt wurde. Seitdem sind unsere Regierungen im Rettungsmodus. Wir haben das „zweite Lehman“ bisher verhindert – es gab, mit Ausnahmen in Südeuropa, keine Depression. Uns geht es besser in Deutschland als 2008.
Das klingt heute selbstverständlich; aber es ist nur wenige Jahre her, dass Unternehmer mit Einbrüchen von 30, 40 Prozent zu kämpfen hatten. Ganze Lebenswerke und Fundamente unserer Wirtschaft drohten zerstört zu werden. Muss die Bilanz also doch differenzierter ausfallen?
Seit 2007 bejubeln wir die Innovationen von Apple. Was wir kaum schätzen: den Instrumentenkasten, den wir im Krisenmanagement geschaffen haben. Klar, niemand, der ganz bei Trost ist, würde den Europäischen Rettungsfonds oder Notenbankaktionen, die auf das Kürzel OMT hören, so sexy finden wie sein iPhone.
In diesem Rettungsbausatz – in dem auch neue Gefahren schlummern – steckt die Lehman-Lektion, die wir Ihnen in dieser neuen Ausgabe von Capital beschreiben: Einerseits lernt die Menschheit nichts, weil Gier und Spekulationen nun mal unausrottbar sind. Andererseits haben wir erstaunlich viel gelernt. Das letzte Wissen für Krisenmanagement stammte aus den 30er-Jahren, und es war mangelhaft. Nun ist frisches Wissen präsent, und das wird bleiben, für die nächste Krise, die kommen wird. Wir werden sie nicht verhindern, aber bestimmt besser managen können.
Und jetzt tauchen Sie ein in die Welt der Wirtschaft!
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