Allen Teilnehmerinnen meines Vermögenskurses stelle ich vorab die Frage, was sie bisher vom Investieren abgehalten hat. Die schriftlichen Antworten darauf ähneln sich, fast egal, welchen Alters die Frauen sind, welcher Herkunft oder welchen Beruf sie haben. Sie antworten beispielsweise: Ich will nichts falsch oder einen existentiellen Fehler machen. Ich möchte nicht alles verlieren. Oder sie zweifeln: Verstehe ich das alles? Kann ich das überhaupt? Sie haben Angst vor Kontrollverlust und davor, mit eigenen Fehlern aus der Vergangenheit konfrontiert zu werden.
Es ist etwas Existentielles. Die Selbstzweifel haben Frauen oft von ihren Müttern vorgelebt bekommen. Diese hatten Existenzängste, durften nur mit Erlaubnis eigenes Geld durch Erwerbstätigkeit verdienen, waren abhängig von Ehemännern. So sahen es die Gesetze in Westdeutschland bis in die späten 1970er-Jahre vor. In Ostdeutschland waren die meisten Frauen zu DDR-Zeiten zwar erwerbstätig. Dennoch wirkt auch bei ihnen das jahrhundertelange Erleben von finanzieller Unmündigkeit nach, das über die Generationen vor allem von Mutter zu Tochter — weniger zu den Söhnen — weitergegeben wird und Frauen bis heute nachhaltig verunsichert. Uns fehlt die vorgelebte Anlageerfahrung. Nicht allen, aber doch sehr vielen. Dienen statt machen. Geldanlage gehört zur Kategorie: Machen.
Unsicherheit und Kontrollverlust gehören dazu
Das Paradoxe daran: „Investieren ist immer Handeln in Unsicherheit.“ Unsicherheit im Sinne, mache ich das Richtige, damit ich mein eingesetztes Geld wiedererhalte inklusive eines Ertrages. Diese Erkenntnis stammt von Harry Markowitz, dem Vater der so genannten Modernen Portfoliotheorie. Er erhielt dafür den Nobelpreis. Markowitz hat eine Formel entwickelt, wie Anlegerinnen und Anleger die Unsicherheit beim Investieren möglichst klein halten können. Indem sie ihr Geld so auf die fünf Anlageklassen Aktien, Immobilien, Rohstoffe, Währungsguthaben und Anleihen aufteilen, dass sie mit den geringsten Verlusten rechnen müssen und die höchsten Erträge erzielen können.
Markowitz mischt dazu die Anlageklassen in einer gewissen Gewichtung wie Zutaten in einem Rezept. Denn niemand mag Verluste; die Entwicklung der Anlageklassen ist aber über die Zeit nicht vorhersehbar. Leben ist Risiko. Und Geldanlage freilich auch. Deshalb schlagen sich selbst die Profis in Banken, Finanzvertrieben, Vermögensverwaltungen und Versicherungen mit der Unsicherheit herum, genauso wie erfahrenen Privatanlegerinnen und Privatanleger.
Unsicherheit ist Teil des Investmentprozesses
Was Profis und erfahrene Investorinnen und Investoren von Neulingen allerdings unterscheidet, ist die Erkenntnis und das Fügen in die systemimmanente Unsicherheit. Kontrollverlust mit Ansage also. Kontrollverlust? Beim Geld für die Altersvorsorge? Wer will das denn? Richtig - mit dem Eingeständnis der Unsicherheiten und des Kontrollverlustes lässt sich weder eine Lebens- oder Rentenversicherung, noch Rürup oder Riester verkaufen oder jedes andere „Vorsorge“produkt, die auf den fünf Anlageklassen basieren.
Finanzdienstleister setzen deshalb auf Marketing und geben sich große Mühe, die Unsicherheiten mit Garantien und prognostizierten Zahlen zu überdecken, damit sie ihre Verträge verkaufen und (hohe) Provisionen einsacken können, die wir über unsere Beiträge zahlen. Sie wiegen uns in Sicherheit, dass wir unser Geld zurückbekommen. Bis zum Stichtag der Wahrheit, wenn der Vertrag endet und die Versicherung ausgezahlt oder verrentet wird. Oft ein bitteres Erwachen, weil die Versprechen nur selten eingehalten werden und klar wird: Die vermeintliche Sicherheit war keine, und profitiert hat der Versicherer. Das bringt freilich zusätzliche Unsicherheiten ins System, nämlich die, nicht zu wissen, was gut für uns ist und wo unser Vertrauen ausgenutzt wird oder wir betrogen werden.
Wie wir die Unsicherheiten verringern
Die unserem Wirtschaftssystem innewohnende Unsicherheit ist nicht aufzulösen. Wir können sie nur verringern, nicht eliminieren. Das zu verstehen, anzuerkennen und mit dem eigenen Unsicherheitsgefühl Frieden zu schließen, sind wichtige Schritte hin zum erfolgreichen Investieren. Wir wissen, dass (Buch-)Verluste auftreten werden, wenn wir zum Beispiel in Aktien-ETFs investiert haben, wie aktuell, 2008 oder 2020. Wir wissen nur nicht, in welcher Konstellation sie auftreten und wie lange sie dauern. Wir müssen darauf vertrauen, dass sich Aktienkurse nach Verwerfungen langfristig wieder sortieren und steigen — wie es in der Vergangenheit der Fall war.
Wir können uns gegen (Verlust-)Ängste mit einer breiten Streuung unserer Anlageklassen wappnen, mit Anlagezeiträumen von länger als 15 Jahren, mit Liquiditätsrücklagen auf Tagesgeldkonten, einer einfachen Anlagestrategie und einem pragmatischen Verhalten. Dann fühlt sich der Kontrollverlust nicht mehr so beängstigend an. Und wir können zu uns sagen: Mehr geht nicht. Es gibt keine perfekte und schon gar keine sichere Geldanlage. Auch Profis kriegen sie nicht hin.
Unsicherheiten, die sich dagegen aus Wissenslücken ergeben, können wir mit Finanzwissen, Erfahrung und Übung schließen. Wer die Regeln des Geldumgangs und der Geldanlage verinnerlicht hat, erkennt die Versprechungen und Angebote, die zu schön klingen, um wahr zu sein, kann sie bewerten und selbstbewusst die Finger von ihnen lassen. Beides ein Lern- und Übungsprozess. Der Rest ist Leben.