Anlageskandal Was Anleger über die P&R-Pleite wissen müssen

Container im Hamburger Hafen
Container im Hamburger Hafen
Deutschland hat einen neuen Anlageskandal – und es ist wohl einer der größten aller Zeiten in Deutschland: Der Containerkonzern P&R ist zahlungsunfähig. Capital beantwortet die wichtigsten Fragen rund um die Pleite

Wie viele Anleger sind betroffen und um welche Summen geht es?

Die P&R-Gesellschaften verwalten nach eigenen Angaben – maßgeblich dafür ist der letzte Verkaufsprospekt – rund 1,25 Millionen Containereinheiten für circa 51.000 Kunden. P&R verkauft die Container formal an die Kunden, mietet sie über eine Schweizer Tochter zurück und verwaltet sie. Aus der Anzahl der Containereinheiten lässt sich näherungsweise ein betroffenes Anlagevolumen von gut 3 Mrd. Euro ableiten. Das wäre mehr als doppelt so viel wie Anleger bis 2014 in Genussrechte der Prokon investiert hatten und rund dreimal so viel, wie Anleger 2008 in Lehman-Zertifikaten angelegt hatten. Insgesamt gibt P&R vor, rund drei Prozent aller globalen Container zu besitzen.

Was genau heißt „pleite“ in Zusammenhang mit P&R?

Die drei P&R-Gesellschaften, die Vertragspartner deutscher Anleger waren, haben bereits am 15. März beim Amtsgericht München einen Insolvenzantrag gestellt. Bereits seit Anfang März blieben die Gesellschaften fällige Miet- und Rückzahlungsleistungen schuldig und vertrösteten Anleger auf einen späteren Zeitpunkt. Aktuell läuft damit ein Insolvenzantragsverfahren. Das heißt, der vorläufige Insolvenzverwalter verschafft sich einen Überblick, um das Vermögen der Gesellschaften zu sichern und zu erhalten. Die Geschäftsführung hat damit nicht mehr die alleinige Kontrolle über die Gesellschaften und darf nur noch mit dem vorläufigen Insolvenzverwalter zusammen entscheiden.

Wie genau sah das Geschäftsmodell der P&R aus?

Die drei von der Insolvenz betroffenen Container-Verwaltungsgesellschaften waren Vertragspartner der deutschen Investoren. Die Gesellschaften haben in der Vergangenheit neue und gebrauchte Frachtcontainer zur privaten Anlage angeboten. Diese wurden von Anlegern für drei und fünf Jahre vermietet. Im Gegenzug erhielten die Anleger während der Laufzeit Mietzahlungen. Zudem wurde ihnen in Aussicht gestellt, dass die Container-Verwaltungsgesellschaften die Container am Ende der Vertragslaufzeit wieder zurückerwerben. Die Containerflotte wurde auf dem Weltmarkt an Leasinggesellschaften und die Transportindustrie vermietet.

Das deutsche Geld und die Schiffe – hört das denn nie auf?

Offenbar nicht. Geschlossene Schiffsfonds erwiesen sich in der Krise der Nuller Jahre als Rendite- und Gebührengräber. Viele Landesbanken verhoben sich in der Schiffsfinanzierung. Nun bringt auch der Containermarkt viele Anleger in Schwierigkeiten. Dabei stimmt zwar die Grundannahme hinter allen Investitionen, nämlich dass die Globalisierung den Welthandel wachsen lässt und Bedarfe nach Schiffen und Containern schafft. Das wissen darüber haben aber auch deutsche Investoren nicht exklusiv, entsprechend umkämpft sind globale Schiffs- und Containermärkte.

Haben Anleger den Hals nicht vollbekommen?

Die in Aussicht gestellte Rendite bei P&R war nicht extrem hoch. Nach Steuern betrug sie etwa bei den letzten platzierten Produkten 3,6 Prozent pro Jahr nach der internen Zinsfußrechnung. Viel wichtiger war – wie in vielen vergleichbaren Fällen – die plausible Investmentstory hinter P&R: eine Investition in Sachwerte mit einer „Rückkaufgarantie“ in einem wachsenden Markt vor allem über bankunabhängige Vertriebsstellen. Und natürlich, dass P&R stets seinen Zahlungsverpflichtungen nachgekommen ist, wenngleich dies kein Beleg für ein funktionierendes Geschäftsmodell ist. Schließlich ist auch bis heute unklar, wie wichtig das Einwerben neuer Gelder für den Betrieb des Geschäftsmodells ist.

Container sind doch schon seit Jahren ein Krisenmarkt, oder?

Nein. Der Markt für Containerinvestments ist nicht gleichzusetzen mit dem krisengebeutelten Markt für Schiffsfonds. Die Container werden an Reedereien vermietet, die ihrerseits die Flexibilität der Containermiete schätzen und daher knapp die Hälfte der Containerflotte anmieten. Aufgrund der Globalisierung wächst die globale Containerflotte beständig und hat sich seit 2005 mehr als verdoppelt, sie umfasst weltweit inzwischen rund 40 Millionen Standard-Container-Einheiten. Auch die Krise 2008 und danach traf den Markt nicht so stark wie andere Bereiche. Seit 2015 gaben jedoch die Preise für Container – neue wie aus dem Bestand – deutlich nach.

Wo war die Aufsicht, dass ein nun insolventer Containervermieter Milliarden bei Anlegern einsammeln kann?

Die Aufsichtsbehörden haben vermutlich entscheidend dazu beigetragen, das nicht länger tragfähige Geschäftsmodell von P&R publik zu machen. Denn jahrelang waren so genannte Direktinvestments in Sachwerte nicht prospektpflichtig. Das heißt: Die Anbieter mussten nicht ausführlich über die eigene wirtschaftliche Lage, Prognosen und Risiken Rechenschaft ablegen, sondern konnten derartige Direktinvestments lax reguliert vertreiben lassen. Das hat sich in zwei Schritten seit 2014 verändert, unter anderem aufgrund der Pleite von Prokon. Seit 2017 musste daher auch P&R in Wertpapierprospekten ausführlich Rechenschaft über die Geschäftslage ablegen.

Erst dieser Veröffentlichungspflicht für neue Anlagen legte offen, dass P&R erheblich mehr an Anleger an Mieten zahlt, als es am Weltmarkt erwirtschaften kann. Das Branchenportal Investmentcheck.de bezifferte die Mietunterdeckung auf 42 Prozent für die gezahlten Mieten für die Jahre 2014 bis 2016 . Auch die Zeitschrift Finanztest kritisierte das Zahlenwerk heftig. P&R selbst gab an, die Differenz aus Reserven und Rücklagen zahlen zu können – eine frappierende Parallele zu Prokon, das ebenfalls Zinszahlungen für Genussrechte auszahlte, die nicht annähernd operativ erwirtschaftet wurden.

Paradoxerweise nutzen viele Vermittler die Prospektpflicht als zusätzliches Vertriebsargument: Der Wertpapierprospekt sei ja nun von der Finanzaufsicht Bafin geprüft. Das stimmt zwar, allerdings prüft die Bafin – wie bei jeder anderen prospektpflichtigen Anlage auch – nur die formale Richtigkeit des Prospekts, nicht aber die Tragfähigkeit der Geschäftsmodelle und Prognosen.

Hätte man es ahnen müssen, dass P&R in Probleme schlitterte?

Seit Sommer 2017 mehren sich die Indizieren für Schwierigkeiten: Zunächst verlängerte Zahlungsziele, unbeantwortete kritische Nachfragen, dann schließlich Zahlungsverzug für Miete und Rückkaufsverpflichtungen. Die Risiken der Anlage wurden mit der Prospektpflicht ab 2017 auch erstmals ausführlich skizziert. Aber reicht das, um eine Firma die Pleite zu prognostizieren? Denn: Das P&R-Firmengeflecht ließt sich jahrzehntelang nicht in die Karten schauen und zog sich auf ein Kernargument zurück, das auch viele Anleger überzeugte: Man habe seit Unternehmensgründung 1975 alle vertraglichen Zusagen gegenüber Anlegern ausnahmslos zu 100 Prozent erfüllt, sei Marktführer und verfüge über die größte Erfahrung im deutschen Wettbewerb. Damit wurde das Investment auch zu einer Glaubensfrage – entweder man nahm der Gesellschaft ab, über Zinszahlungs- und Rückzahlungskapazitäten zu verfügen. Oder man ließ es bleiben.

Wer steht an der Spitze von P&R?

Gründungsgesellschafter der Emittentin und alleiniger Zeichner ist Heinz Roth (74), jahrzehntelang nach außen auch „Kopf“ von P&R. Er zog sich allerdings 2017 aus der Geschäftsführung der wichtigen Tochtergesellschaften zurück. Welche Rolle Roth indes weiter spielte, lässt sich etwa aus dem letzten Verkaufsprospekt ablesen, den P&R vor einem allgemeinen Vertriebsstopp veröffentlicht hat. Dort heißt es, dass Roth, wenn alles wie prospektiert bis 2023 laufe, Gewinnbeteiligungen, Entnahmerechte und Gesamtbezüge sowie Provisionen und Aufwandsentschädigungen von insgesamt 131 Mio. Euro erhalte.

Was sollten betroffene Anleger jetzt tun?

Zunächst kein gutes Geld dem schlechten hinterherwerfen. Deutschlandweit formieren sich bereits Heerscharen von Anwälten, die Anlegern suggerieren, sie müssten nun reagieren, um sich ihren Besitz zu sichern. Allerdings weist der vorläufige Insolvenzverwalter darauf hin, dass derzeit überhaupt keine Möglichkeit für die Gläubiger besteht, ihre Ansprüche gegen die insolventen Gesellschaften zwangsweise durchzusetzen.

Zudem mache „eine Verwertung der Container durch die Anleger selbst wirtschaftlich keinen Sinn, schon weil die Verwertungskosten jeden Erlös übersteigen würden“, wie der vorläufige Insolvenzverwalter warnt. „Sie ist zudem rechtlich schwierig und faktisch unmöglich, da die Container weltweit vermietet und unterwegs sind, und ein Zugriff der Anleger deshalb faktisch ausgeschossen ist“, heißt es auf der eigens zur Insolvenz geschalteten Informationsseite.

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