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Kommentar Warum die Zinsen (noch) nicht steigen dürfen

Der Ölpreisanstieg hat auch den Kraftstoff verteuert. Das treibt die Inflation
Der Ölpreisanstieg hat auch den Kraftstoff verteuert. Das treibt die Inflation
© Pixabay
Die Inflation in Deutschland steigt stark an. Erneut mahnen Experten, die Notenbank müsse jetzt schnell die Zinsen erhöhen. Gut, dass jetzt der Ölpreis zeigt, wie riskant solche Forderungen sind. Lukas Zdrzalek über die Preisentwicklung

Wenn die Deutschen etwas richtig gut und auch noch leidenschaftlich drauf haben, dann das: die Europäische Zentralbank (EZB) zu kritisieren. Als die Euro-Notenbank nach der Finanzkrise erst begann, die Zinsen bis auf null oder tiefer zu senken und ab 2015 auch noch Anleihen aufkaufte, da warnten viele deutsche Ökonomen eindringlich davor – obwohl die EZB nur versuchte, die viel zu niedrige Inflation wieder zu erhöhen.

Der Sound der deutschen Mahner: Eine Hyperinflation stünde kurz bevor, Zustände wie in der Weimarer Republik seien nicht mehr weit, als die Preise galoppierten, sich Produkte binnen eines Monats um zigtausende Prozent verteuerten – und das Geld nichts mehr wert war. Heute lässt sich sagen: Nichts davon ist eingetreten. Die Inflation im Euroraum lag in den vergangenen fünf Jahren dauerhaft unterhalb der Zwei-Prozent-Marke, die die EZB als Zielwert für die Inflation festgeschrieben hat – und das trotz der ungewöhnlichen Notenbank-Politik.

Die Mahner werden wieder lauter

In den vergangenen Wochen ist der Chor der EZB-Kritiker wieder lauter geworden. Kein Wunder, steigt die Inflationsrate hierzulande doch seit ein paar Monaten stark und betrug im Oktober 2,5 Prozent, der höchste Wert seit 2008. In einem Gastbeitrag für die „Welt am Sonntag“ schrieb der Wirtschaftsweise Volker Wieland kürzlich: „Die EZB läuft Gefahr, die geldpolitische Wende zu spät einzuleiten. Das heißt: Die Inflation könnte schneller steigen“.

Der Präsident des Bundesverbandes der deutschen Banken, Hans-Walter Peters, wiederum ließ die Öffentlichkeit wissen: „Wir können die EZB nur bitten: Nehmen Sie die Negativzinsen aus dem Markt, und zwar möglichst schnell!“. Und selbst in einer Meldung der Nachrichtenagentur dpa fanden sich die Sätze: Die steigende Inflation „drückt auf die Haushaltskasse. Zudem verlieren Sparer nach wie vor Monat für Monat Geld. Dennoch lässt sich die EZB Zeit mit dem Ende ihrer Nullzinspolitik“.

Natürlich wäre es falsch, wenn die EZB jetzt prompt die Zinsen anheben würde. Erst mal hat die Notenbank bereits den Weg eingeschlagen, ihre lockere Geldpolitk ausklingen zu lassen, so enden ihre Anleihekäufe Ende dieses Jahres. Jetzt aber auch noch die Zinsen umgehend anzuheben, wäre falsch, wie der Grund für die gestiegene Inflation zeigt. Sie ist vor allem wegen der Energiepreise so hoch, insbesondere wegen des Ölpreises, der in den vergangenen drei Jahren um 75 Prozent gestiegen war. Wie bedeutend dieser Effekt ist, zeigt die Kerninflationsrate, also jene Inflationsrate, aus der die Energiepreise herausgerechnet werden: Sie beträgt hierzulande lediglich 1,7 Prozent – ist also noch ein Stück weg vom EZB-Ziel.

Vielmehr zeigt gerade der Ölpreis, wie ambivalent die Sache mit der EZB-Kritik ist. Seit seinem Hoch Anfang Oktober – als ein Barrel der Sorte WTI immerhin wieder fast 80 US-Dollar kostete – hat Öl gut 25 Prozent an Wert verloren, ein Fass kostet nur noch 55 Dollar.

Die EZB ist keine Bundesbank-Kopie

Es ist leicht vorstellbar, dass sich die Inflation wieder abschwächt, sobald fallende Ölpreise an der Zapfsäule und anderswo durchschlagen. Es ist also richtig, wenn die EZB noch mit der ersten Zinserhebung wartet, die Investoren erst für Ende 2019 erwarten. Die EZB sollte ihre Entscheidungen auf langfristige, verlässliche Zahlen stützen – und derzeit lassen die Daten Zweifel zu, ob die Notenbank ihr Zwei-Prozent-Ziel überhaupt erreicht hat, ob der Anstieg von Dauer ist. Deshalb tun die Währungshüter gut daran, die Inflation erst mal weiter zu beobachten.

Zudem gilt: Die EZB ist keine Bundesbank-Kopie, die allein und ausschließlich den Deutschen dient, vielmehr muss sie – das ist ihr Auftrag – allen Euro-Ländern gerecht werden. Und die Inflationswerte im gesamten Euro-Raum liegen noch deutlicher niedriger als hierzulande, die Kerninflation in den Euro-Ländern beträgt im Schnitt nur 1,1 Prozent. Es gibt also noch ein paar Zweifel mehr daran, ob die EZB schon das Ziel erreicht hat. Von einem Comeback der Inflation kann jedenfalls keine Rede sein. Die Inflation hat einen Abstecher zurück in die Öffentlichkeit gemacht, sich aber noch nicht entschieden, wie lange sie bleiben möchte.

Dass so mancher Ökonom das ausblendet, liegt oftmals am engen ideologischen Korsett, in dem etwa Anleihekäufe per se als böse gelten – oder geschieht wie beim Bankenverband aus purem Eigennutz. Schließlich würden Banken profitieren, wenn die Zinsen stiegen.

Vielmehr deutet der Ölpreisverfall auf ein Szenario hin, auf dass sich Sparer, Ökonomen und Verbände besser einstellen sollten: Dass die Zinsen in den nächsten Jahren kaum oder jedenfalls nicht so stark steigen – insbesondere bei weiter sinkenden Ölpreisen. Dann wird die Inflation wohl kaum dauerhaft über das Zwei-Prozent-Ziel hinausschießen – und ein frühzeitiger Zinsanstieg hätte ohne Not das bisschen Wirtschaftswachstum abgewürgt, das der Eurozone derzeit bleibt.

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