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Aktien Warum Dax-Neulinge so oft enttäuschen

Dax-Kurve an der Frankfurter Börse
Dax-Kurve an der Frankfurter Börse
© dpa
Wer in den Dax aufsteigt, wird gefeiert. Zu Recht? Tatsächlich bricht bei Indexneulingen oft der Aktienkurs ein – während er sich bei Absteigern prächtig entwickelt

Im November war die Welt für Wirecard-Chef Markus Braun noch in Ordnung. Der Aufstieg seines Unternehmens in den Deutschen Aktienindex, der wenige Wochen zurücklag, habe lediglich ein „kurzes mediales Aufflammen“ ausgelöst, erklärte Braun im Capital-Interview – inzwischen habe sich „alles normalisiert“. Ob Strategie oder operatives Geschäft: „Überhaupt nichts hat sich verändert.“

Es sollte sich dann doch einiges ändern – vor allem der Aktienkurs. Bei 182,50 Euro lag er beim Einstieg in den Dax Ende September. Dann gab es ein rasantes Auf und Ab bei dem Papier, das zwischenzeitlich unter die Marke von 100 Euro rutschte. Mittlerweile ist die Aktie wieder mehr als 130 Euro wert, trotzdem ein satter Abschlag gegenüber dem Stand zum Dax-Einstieg.

Man könnte den Kurseinbruch auf die schlechte Presse des Zahlungsdienstleisters schieben, vor allem auf die Vorwürfe, die die britische „Financial Times“ wegen angeblicher Bilanzmanipulationen in Singapur erhob, woraufhin Leerverkäufer die Aktie attackierten. Aber das griffe zu kurz. Denn Wirecard ist nicht der einzige Dax-Aufsteiger, dem der Schritt in den Index-Olymp nicht guttat.

Von den insgesamt acht Unternehmen, die seit dem Ende der Finanzkrise 2009 den Sprung in den Dax schafften, haben fünf ihren Anlegern in der Folge Verluste beschert – trotz des Superbullenmarkts an den Börsen. Sechs der acht schnitten schlechter ab als der Dax, lediglich Continental und der Immobilienkonzern Vonovia konnten überzeugen. Die letzten drei Dax-Neuzugänge waren hingegen Totalflops für Investoren: Der Medienkonzern Pro Sieben Sat 1 Media, der Chemieriese Covestro sowie eben Wirecard brockten ihren Anlegern nach dem Dax-Einstieg Verluste zwischen 39 und 44 Prozent ein.

Vollends paradox klingt, dass sich in der Zeit nach der Finanzkrise gerade nicht die Dax-Aufsteiger als bessere Anlage erwiesen, sondern die Unternehmen, die an ihrer Stelle aus dem Index ausschieden. Wer am Tag der Dax-Neuordnung für je 1000 Euro Aktien der Aufsteiger erwarb, verfügt heute über Papiere im Wert von knapp 19.000 Euro. Wer hingegen je 1000 Euro in die Absteiger investierte, besitzt heute Aktien im Wert von 43.000 Euro.

Nur scheinbar paradox

Wie kann das sein? Müssten die Aufsteiger nicht davon profitieren, dass sie mehr Aufmerksamkeit genießen und liquider gehandelt werden, dass alleine schon die zehn deutschen Dax-Indexfonds mit ihrem verwalteten Volumen von über 11 Mrd. Euro anteilig Aktien der Aufsteiger kaufen müssen?

Experten warnen davor, die Effekte der passiven ETFs und Indexfonds falsch einzuschätzen. „Deren Käufe werden bereits in den Wochen und Monaten vor der Indexaufnahme vorweggenommen“, erklärt der Europachef eines ETF-Anbieters, der von allzu simplen Spekulationen auf die Transaktionen seines Hauses abrät. „Wir greifen auf externe Handelspartner zurück, die uns am Tag des Tauschs die Aktien des Aufsteigers liefern und die Aktien des Absteigers abnehmen. Die haben sich entsprechend bereits die Stücke des Aufsteigers besorgt und Abnehmer für die Anteile am Absteiger gefunden.“ Es sei daher „Quatsch“ zu glauben, man könne auf den Aufstieg gezielt spekulieren. „Denn die Nachfrage nach den Aufsteigern ist ja allen großen Marktteilnehmern bekannt.“ Investoren greifen den Veränderungen vor – indem die Aufsteiger zugekauft werden und die Absteiger aus den Depots fliegen.

Manche Experten sehen ein systematisches Problem im Prinzip der Kapitalgewichtung, wie sie im Dax zum Einsatz kommt. Sie sieht vor, dass stets die nach Börsenwert größten Aktien in einem Auswahlindex zusammengefasst und auch entsprechend ihrer Größe gewichtet werden. „Die traditionellen kapitalgewichteten Indizes addieren üblicherweise Aktien mit einer hohen Bewertung in einen Index und werfen Aktien mit einem großen Abschlag auf die übliche Bewertung hinaus“, sagt Robert Arnott, Finanzmarktökonom aus den USA .

Die Empirie gibt dem Experten recht – und erklärt, warum sich Aufsteiger so schwertun, während viele Absteiger reüssieren: Arnott analysierte die Performance aller Aktien, die seit Ende der 80er-Jahre in den US-Standardwerteindex S&P 500 aufgenommen wurden beziehungsweise diesen verlassen mussten. Das Ergebnis: Vor dem eigentlichen Indextausch gewannen die Aufsteiger im großen Stil, während die Absteiger viel verloren. Danach aber war es umgekehrt: Seit 1989 schnitten die Aufsteiger in ihrem jeweils ersten Jahr im S&P-500-Index durchschnittlich rund 1,3 Prozentpunkte schlechter ab als der Index selbst. Fulminant besser standen dagegen die Absteiger da: Sie schlugen den Index, aus dem sie just rausgeflogen waren, im ersten Jahr um durchschnittlich 20,4 Prozentpunkte.

Gekniffen sind in diesem Fall die Anleger von Indexprodukten: Sie profitieren im Vorfeld des Austauschs nicht vom Kursgewinn der potenziellen Aufsteiger, nehmen aber die Verluste der künftigen Absteiger mit – ehe sich das Verhältnis dann nach dem eigentlichen Tausch zulasten des Index umkehrt.

Der Berenberg-Fondsmanager Matthias Born weist darauf hin, dass der eigentliche Vollzug des Indexaufstiegs eine jahrelange Vorgeschichte habe. „Covestro stieg am Ende eines starken zyklischen Aufschwungs auf, Continental nach einer Erholung der Automärkte 2009 bis 2012, Vonovia wurde durch den jahrelangen Boom der Immobilienmärkte nach oben gespült.“ Born rät deshalb zu breit gefassten Anlagen, die sich nicht alleine auf den Dax konzentrieren.

Ähnlich argumentiert Bernd Ondruch, Hedgefondsmanager von Astellon Capital Partners in London. „Das Problem des Dax ist, dass man in der Regel die Helden der vergangenen zehn Jahre aufnimmt.“ Deshalb werde der Dax heute von Auto-, Chemie- und Finanzwerten dominiert, enthalte mit Infineon und SAP aber nur zwei reinrassige Technologiewerte. „Uns fehlen einfach die Unternehmen der Zukunft“, moniert Ondruch. „Der Dax ist sozusagen das deutsche Industriemuseum.”

Die echten Wachstumstreiber fänden sich eher in den kleineren Indizes. Das zeigt sich auch in der Langfristbetrachtung. Aus 10.000 in den Dax investierten Euro wurde binnen zehn Jahren ein Guthaben von rund 31.000 Euro. Mit dem 70 Titel umfassenden Nebenwerteindex SDax dagegen beträgt das Endvermögen heute 48.000 Euro, mit dem 60 Titel starken MDax für mittelgroße Werte 56.000 Euro und mit dem 30 Aktien umfassenden TecDax 63.000 Euro.

Einladung an Zocker

Geradezu eine Einladung an Spekulanten ist die Systematik, nach der die Deutsche Börse den Dax jährlich neu zusammensetzt. Maßgeblich sind dabei die „30/30-Regel“ für Aufsteiger und die „35/35-Regel“ für Absteiger: Wer in den Dax will, muss zu den 30 nach Börsenwert größten und den 30 im Handel liquidesten Aktien gehören. Zugleich muss ein Absteiger zur Verfügung stehen, der nicht mehr zu den 35 größten und liquidesten Aktien gehört – wie zuletzt etwa Wirecard als Aufsteiger und Commerzbank als Absteiger.

Einst hatten diese Regeln lediglich indikative Funktion – das letzte Wort hatte bis 2002 der sogenannte Arbeitskreis Aktienindizes mit Vertretern von Banken, Brokern, Börsen und Fondsgesellschaften. Dann stellte die Börse auf ein strikt regelbasiertes System um. Monatlich veröffentlicht sie nun Ranglisten, aus denen sich die potenziellen Auf- und Absteiger ablesen lassen.

Geradezu lehrbuchhaft verlief im Herbst die Spekulation auf den Dax-Aufstieg von Wirecard. Zwischen Jahresbeginn und dem für den Indextausch maßgeblichen Stichtag 31. August verdoppelte sich der Kurs annähernd – und erreichte vier Tage später ein Rekordhoch von 195 Euro. Kurz nach dem eigentlichen Tausch am 21. September setzte dann der Kursrückgang ein. In den Dax aufgenommen wurde die Aktie dabei mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von rund 80, nachdem sie zuvor ein halbes Jahrzehnt lang mit dem rund 30- bis 40-Fachen der laufenden Gewinne bewertet worden war.

Entsprechend lassen sich nun auch schon die nächsten Aufstiegskandidaten identifizieren: die Deutsche Wohnen, MTU Aero Engines und Symrise. Spannender auf mittlere und lange Sicht sind allerdings jene Werte, die Gefahr laufen, den Dax verlassen zu müssen. Behält die Empirie recht, könnten Thyssenkrupp, Beiersdorf und Heidelberg Cement mit dem formalen Abstieg, der ihnen im Herbst droht, das Schlimmste hinter sich haben. Die beiden Letztgenannten waren erst 2008 und 2010 in den Index aufgestiegen – und hinkten dem Dax danach um zehn (Heidelberg Cement) und 40 Prozentpunkte (Beiersdorf) hinterher.

Wirecard gehört nicht zu den Abstiegskandidaten. Klingt wie eine gute Nachricht, aber für Anleger des Bezahldienstleisters ist es keine.

Die spektakulärsten Dax-Absteiger

Der Beitrag ist in Capital 04/2019 erschienen. Interesse an Capital?Hier geht es zum Abo-Shop , wo Sie die Print-Ausgabe bestellen können. Unsere Digital-Ausgabe gibt es bei iTunes und GooglePlay

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