Der Wahlkampf in Deutschland kommt auf volle Touren. Die kluge Rückzugsentscheidung des chancenlosen vormaligen SPD-Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel, der auch im eher unwichtigen Wirtschaftsministerium weitgehend glücklos agierte, bietet den Sozialdemokraten eine temporäre rot-rot-grüne Macht-Hoffnung.
Neben der Bundestagswahl im September kommt der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen, im bevölkerungsreichsten Bundesland der Republik, eine wichtige Rolle zu, zumal die dortige rot-grüne Landesregierung durch die Sicherheitslage an Rhein und Ruhr in Bedrängnis geraten ist.
Wie nicht anders zu erwarten war, spielt die Migrationskrise, die von der Bundesregierung mit Unterstützung aller im Bundestag vertretenen Parteien zu verantworten ist, eine zentrale Rolle im Bundestagswahlkampf. Unübersehbar sind die derzeitigen Versuche der Regierungsparteien CDU/CSU und SPD, das angerichtete Schlamassel in der Flüchtlingspolitik mindestens teilweise zu korrigieren.
Feindbild Donald Trump
Außer dem ubiquitären Flüchtlingsthema dominieren außenpolitische Fragen derzeit die Wahlkampfrhetorik. Allen im Bundestag vertretenen Parteien ist gemeinsam, dass sie mit Donald Trump ein nützliches Feindbild gefunden haben, um das Wahlvolk von wichtigen innenpolitischen Diskussionen abzulenken. Auffällig ruhig geht es bei wirtschaftspolitischen Themen zu, obwohl am deutschen Horizont offenbar einige dunkle Wolken aufziehen.
Die Selbstzufriedenheit der Regierenden in Berlin ist derzeit so groß, dass Korrekturhinweise für die Wirtschaftspolitik als kleingeistige Mäkeleien abgetan werden. Im Übrigen hat es Tradition, dass etwa die Ratschläge der „Wirtschaftsweisen“ freundlich entgegengenommen und anschließend unbeachtet im Papierkorb entsorgt werden. Aus diesem Grund bin ich bereits seit vielen Jahren der Meinung, dieses Gremium schleunigst abzuschaffen und so die Staatskasse zu schonen.
Das eminent wichtige Thema „Wohlstandsentwicklung der Bevölkerung“ spielt im Wahlkampf gar keine Rolle. Auf weiter Flur ist keine Partei zu finden, die sich etwa die stärkere Beteiligung der Bevölkerung am Produktivkapital (sprich Aktienanlagen beziehungsweise Sachanlagen) auf ihre Fahnen geschrieben hat. Die durch Nichtbeteiligung verpassten Chancen der letzten Jahrzehnte haben mittlerweile einen materiellen Umfang etlicher hundert Milliarden Euro erklommen.
Aktien-Apathie der Deutschen
Angesichts der seit Jahren üppig sprudelnden Steuerquellen und des Wegfalls von Zinszahlungen in Höhe von circa 250 Mrd. Euro seit der Finanzkrise aalen sich die Regierenden im Selbstdünkel erfolgreicher Makro-Wirtschaftslenker. Kein Wort ist zu hören von der unterdurchschnittlichen Geldvermögensentwicklung in Deutschland. Dass zwei Drittel der Dax-Aktien mittlerweile von ausländischen Anlegern gehalten werden und die hiesige Bevölkerung am Produktivkapital der Wirtschaft kaum beteiligt ist, ficht in Berlin niemanden an. Schon gar nicht will man wahrhaben, dass es die fortwährende und seit Jahrzehnten praktizierte steuerliche Begünstigung von Zinsanlagen ist, die zur Aktien-Apathie der Deutschen maßgeblich beigetragen hat.
Geschulte Zeitbeobachter wissen, dass eine substanzielle Änderung auf diesem Gebiet nur durch krisenhafte Entwicklungen vorstellbar ist. Die große Finanzkrise hat nicht ausgereicht, um einen Ausweg aus der ständigen Schuldenmacherei zu suchen. Vielmehr sind die Schulden heute in allen westlichen Ländern wesentlich höher als 2007 vor Ausbruch der Krise. Auch wir Deutschen sollten uns daran erinnern, dass wir die Maastricht-Kriterien bis heute nicht einhalten.
Noch ein Letztes: Die Kosten für die Finanz- und Eurokrise und das seither starke Staatshaushaltswachstum sind primär vom Steuerzahler und sekundär vom Zinssparer (Bausparer, klassische Kapitallebensversicherung, Termingelder, Sparbuch etc.) zu tragen. Während die Zinssparer ihr Los durch Umschichtung selber abwenden können sind die Steuerzahler einem notwendigen Zwangssystem ausgesetzt. Weil das so ist, hätten sie es verdient, dass sich die Politik um ihre Interessen an einer geringeren Abgabenlast kümmern würde. Nach Lage der Dinge ist das jedoch kein großes Wahlkampfthema.
Aus ChicagoIhr
Dr. Christoph Bruns
Christoph Bruns ist Fondsmanager, Vorstand und Teilhaber der Fondsgesellschaft Loys AG. Weitere Kolumnen: US-Aktien starten durch, Obamas glanzloser Abgang und Aktien - die Macht des Postfaktischen
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