Capital: Herr Bandholz, Sie waren als US-Chefvolkswirt für Unicredit lange in den USA tätig und kennen das Land gut. Was glauben Sie, wer macht das Rennen: Donald Trump oder Kamala Harris?
HARM BANDHOLZ: Ich glaube, niemand kann zum aktuellen Zeitpunkt eine seriöse Prognose abgeben. Dafür ist das Rennen zu eng. Es wird vermutlich an einem oder zwei Bundesstaaten hängen.
Dann stellt sich als Anleger doch die Frage: wie bereite ich mich auf eine solche Unsicherheit vor?
Ja, und hier sieht man auch die erwartbaren Reaktionen. Die Marktteilnehmer sind am Wahltag sehr vorsichtig. Viele bereiten sich auf eine gewisse Volatilität vor und halten sich bereit, um Positionen aufzubauen, wenn sich ein Wahlausgang abzeichnet.
Heißt Volatilität nichts tun, oder sich durch Termingeschäfte abzusichern?
Man kann entweder nichts tun, sich gegen unterschiedliche Wahlausgänge absichern oder auch auf den Volatilitätsindex „Vix“ setzen.
Verschiedene Assetklassen reagieren unterschiedlich auf den Wahlausgang. Was glauben Sie: Welche Assetklassen profitieren, welche verlieren?
Wir haben in den vergangenen Wochen schon einen Vorgeschmack darauf bekommen, welche Assetklassen von Donald Trump profitieren würden. Da geht es um fossile Brennstoffe, den Finanzsektor und den gesamten Kryptobereich. Auch der Dollar würde prinzipiell von Trump profitieren. Insgesamt glaube ich, dass der Aktienmarkt Donald Trump zumindest vorerst besser finden würde als Kamala Harris, weil er stärker für Deregulierung und Steuersenkungen steht.
Und was würde unter Kamala Harris passieren?
Der Markt könnte einen kleinen Dämpfer bekommen. Wahrscheinlich wird die Reaktion aber eher neutral ausfallen, weil der Senat aller Voraussicht nach republikanisch wird. Man darf ja nicht vergessen, dass neben dem neuen Präsidenten auch ein neuer Kongress gewählt wird. Und mit einem republikanischen Senat könnte Harris einige Ihrer Pläne, die die Märkte eventuell weniger mögen, wie Steuererhöhungen und stärkere Regulierung, nicht uneingeschränkt umsetzen.
Was wäre hier das beste Ergebnis für die Märkte?
Historisch betrachtet war ein demokratischer Präsident mit einem republikanischen Senat für die Märkte am besten. Auch wenn das natürlich andere Zeiten waren und man die Muster der Vergangenheit nur mit Vorsicht fortschreiben sollte. Grundsätzlich begrüßen die Finanzmärkte Planungssicherheit – oder eben Steuergeschenke.
Das heißt: Kurzfristig würden die Märkte Donald Trump eher begrüßen als Kamala Harris. Und Harris mit republikanischem Kongress würde wohl neutral aufgenommen werden. Wie sieht es langfristig aus?
In Europa kommen wir bei der Diskussion über Donald Trump immer schnell auf ethische Fragen. Dem Finanzmarkt ist Moral allerdings ziemlich egal. Er interessiert sich dafür, dass Trump die Unternehmensteuer senken will und Deregulierung vorantreibt. Das finden die Märkte uneingeschränkt gut. Einen Wendepunkt in der Stimmung könnte es dann geben, wenn Trump ernst macht mit seinen angekündigten Zöllen. Das ist für viele Firmen Gift. Aktuell scheint der Markt dieses Risiko noch stark abzudiskontieren. Aber sobald die Zölle absehbarer werden, schlägt sich das auch in den Kursen nieder.
Wie schlimm wären die Zölle für die deutsche Wirtschaft?
Volkswirtschaftlich wäre ein zehnprozentiger Zoll verkraftbar, auch wenn der Anpassungspfad für einige Firmen durchaus schmerzhaft sein wird. Der Effekt von Strafzöllen wäre in etwa so, wie wenn der Euro um zehn Prozent aufwertet, von 1,09 auf 1,2 Dollar. Da würden wir ja auch keinen Abgesang auf die deutsche Wirtschaft anstimmen. Außerdem könnte der Dollar bei diesen Strafzöllen um fünf bis sieben Prozent aufwerten, sodass die Zollwirkung fast aufgebraucht wäre.
Warum hängt Donald Trump dann so an diesen Zöllen?
Er braucht Einnahmen, um seine Steuersenkungen zu finanzieren. Das ist der primäre Grund für seine Zoll-Pläne; die Bestrafung ausländischer Produzenten ist eher ein Nebeneffekt, allerdings ein nicht unwillkommener.
Die Zölle wirken aber inflationsfördernd, weil ausländische Waren teurer werden. Gleichzeitig steigen die Anleihenrenditen, weil die USA mehr Schulden aufnehmen müssen. Das kann doch niemand wollen.
Ja, aber die öffentliche Verschuldung wird bei beiden Kandidaten wachsen. Während Trump die Unternehmen entlasten will, sind es bei Harris die weniger gut situierten privaten Haushalte. Beides kostet Geld. Solange der US-Dollar aber die Weltreservewährung ist, wird es eine starke ausländische Basisnachfrage nach amerikanischen Staatsanleihen geben. Dadurch wird die Rendite weiterhin künstlich niedrig gehalten, auch wenn der fundamentale Ausblick für den amerikanischen Staatshaushalt nicht rosiger wird. Die Reaktion an den Aktienmärkten auf den Wahlausgang dürfte daher größer sein wird als bei Anleihen.
Ist Trump denn das größere Risiko für die Inflation als Harris?
Ja, das ist er. Vor allem, weil er das lang aufgebaute Vertrauen in Institutionen wie die Notenbank Fed untergraben könnte. Das ist für mich die größte Gefahr. Wir haben in den vergangenen beiden Jahren gesehen, wie wichtig glaubwürdige Geldpolitik ist, um die Inflation wieder in Richtung zwei Prozent zu drücken. An den sehr stabilen Inflationserwartungen konnte man ablesen, dass die Marktteilnehmer stets daran geglaubt haben, dass die Fed die Inflation wieder in den Griff bekommt. Wenn Trump aber versucht, durch einen gefügigen Fed-Präsidenten in die Geldpolitik einzugreifen, droht dieses Vertrauen zu erodieren. In Verbindung mit der steigenden öffentlichen Verschuldung und den preisniveauerhöhenden Zöllen könnte das langfristig spürbare Folgen für die Inflation haben.