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EZB Ungewohnte Euro-Stärke

EZB-Präsident Mario Draghi
EZB-Präsident Mario Draghi
© Getty Images
Der Eurokurs steigt auf den höchsten Stand seit Jahren. Das macht deutschen Unternehmen zu schaffen. Anleger können aber durchaus davon profitieren

Manche nennen ihn Spielverderber. Sie sagen, der hohe Kurs der europäischen Währung sei schuld daran, dass die Aktienkurse hierzulande nicht mehr nach oben preschen, sondern sich schon seit einer Weile nur noch seitwärts bewegen. Dazu passten die Firmenmeldungen der abgelaufenen Woche: Der Reifenhersteller Conti senkte seine Prognose und warnte, der Unternehmensgewinn werde kleiner ausfallen als gedacht. Negative Wechselkurs- und Währungseffekte nannte er als einen der Hauptgründe dafür. Der steigende Eurokurs habe das operative Ergebnis belastet. Auch der Konsumgüterkonzern Unilever gab dem Euro die Schuld dafür, dass sein Umsatz gesunken sei, obwohl er im ersten Quartal mehr Güter abgesetzt hatte. Rechnet man den Wechselkurseffekt heraus, wären seine Erlöse weltweit nicht gesunken, sondern sogar gestiegen. In absehbarer Zeit wird die teure Gemeinschaftswährung wohl noch mehr hiesigen Unternehmen das Gewinnerzielen schwerer machen. Und in diesem Jahr einige Spuren in den Bilanzen hinterlassen.

Das drückt dann natürlich auf die Kurse der Aktiengesellschaften. Von daher ist der Vorwurf, der Euro sei ein Spielverderber, gar nicht so verkehrt. Zumal der Eurokurs in den vergangenen Tagen wieder eine Kurshöhe erklommen hat, die man gar nicht mehr von ihm gewohnt war: Er ist aktuell rund 1,24 Dollar wert, so viel wie seit November 2014 nicht mehr. Vor allem seit Anfang 2017 und in den gesamten darauffolgenden Monaten ist sein Kurs nämlich außerordentlich steil nach oben geprescht. Allein 15 Prozent hat er auf Jahressicht gewonnen. Damit hatten viele Marktbeobachter zuvor nicht gerechnet.

Denn im direkten Vergleich zwischen Euro und Dollar schien bis dahin der Dollar die bessere Ausgangsposition zu haben: Das Wirtschaftswachstum in Amerika lief gut, das sprach für den Dollar. Die Zinsdifferenz zwischen den amerikanischen und europäischen Anleihen vergrößerte sich zudem ständig. Auch das sprach für den Dollar. Denn je größer der Zinsabstand zwischen den Anleihen ist, desto mehr Fremdkapital zieht das Land mit den höheren Zinsen gewöhnlich an. Und derzeit rentieren einjährige amerikanische Staatspapiere bei immerhin 2,05 Prozent, während einjährige Bundesanleihen mit minus 0,63 Prozent im Bereich der Negativrendite liegen, also Verluste produzieren. Allein das wäre schon ein Grund für Großanleger, ihr Kapital lieber auf Deutschland oder Europa abzuziehen und in Amerika anzulegen. Und je mehr Geld nun auf dem Wege ins andere Land wandert, desto mehr Auftrieb bekommt die Währung dort. Zudem wuchsen zuletzt die Bedenken, was wohl im Euroraum passieren würde, wenn nun tatsächlich der Brexit eingeleitet wird. Die Unsicherheit in Bezug auf die heimische Wirtschaft und die Gemeinschaftswährung war groß. Eigentlich hätte der Dollar deswegen gut steigen müssen.

Warum tat er es trotzdem nicht? Weil auch Europa zuletzt ein deutliches Wachstum verzeichnen konnte. Selbst in den Südländern Spanien, Portugal und Griechenland legte die Wirtschaft wieder satt zu. Sogar Italien kam trotz aller politischen Turbulenzen auf 1,5 Prozent im vergangenen Jahr. Insgesamt wuchsen die europäischen Volkswirtschaften im Schnitt um 2,3 Prozent. Damit standen sie der amerikanischen Wirtschaft in nichts nach. Parallel dazu sank die Arbeitslosigkeit in vielen europäischen Staaten wieder auf ein erträgliches Maß, nachdem die Quoten zuvor in den Krisenjahren extrem hoch gewesen waren. Das macht nun den Euro stark.

Zudem hat auch die Europäische Zentralbank endlich zu verstehen gegeben, wann sie ihre Politik des ultralockeren Geldes aufgeben wird, was sich positiv auf die Zinsen auswirken wird. Spätestens im ersten Halbjahr 2019 soll es so weit sein. Außerdem will sie 2019 vermutlich mehrere kleinere Zinsschritte einleiten. Das ist noch eine Weile hin, zugegeben. Doch es ist endlich eine konkreter Aussage als das bisherige „bald“ und „demnächst“, mit dem die EZB die Märkte hinhielt. Im September soll überdies bereits Schluss sein mit dem Großaufkauf von Anleihen, so hat die Zentralbank verkündet. Und weil allüberall die Wirtschaft wächst und die Märkte nun wirklich fest mit dem längst überfälligen ersten Zinsschritt rechnen, kann selbst Europas Notenbank auch langsam nicht mehr anders, als ihn wahr zu machen. Die negativen Auswirkungen, wenn sie es nicht tut, wären immens.

Dazu kommt seit Neuestem noch etwas: Politisch gesehen scheint Europa zurzeit weitaus stabiler als die Vereinigten Staaten. Dort nämlich twittert Präsident Trump die Bürger, Unternehmer und Anleger allwöchentlich in neue Ungewissheiten hinein – und mit ihnen den Rest der Welt: Wird es einen Handelskrieg mit China geben? Oder mit Europa? Droht er weiter Nordkorea? Und schaltet er sich in Syrien ein? Zur politischen Stabilität jedenfalls trägt all das nicht bei. Zudem wächst die Staatsverschuldung der Vereinigten Staaten rasant, nicht zuletzt wegen der jüngsten Steuerreform. Inzwischen liegt die Staatsverschuldung mit 108 Prozent über der jährlichen Wirtschaftsleistung. Vor zehn Jahren waren es erst gut 65 Prozent.

Deshalb gewinnt unterm Strich der Euro – und nicht der Dollar. Die Frage ist nun, ob das wirklich so schlecht für die Aktienkurse sein muss, oder ob sich nicht auch daraus aus Anlegersicht in den kommenden Monaten etwas machen ließe. Entscheidend ist dabei natürlich zuerst, ob es so weitergeht, ob der Euro also weiter zulegt. Es gibt kritische Stimmen, die bereits Mitte vergangenen Jahres warnten, der Euro sei überbewertet. Man sehe es an der 200-Tage-Linie, die er nämlich so satt überstiegen habe, dass er bereits zu arg davon abweiche. Charttechniker finden, der Bereich zwischen 1,20 und 1,25 Dollar sei der Normalbereich, indem sich der Euro noch eine Weile lang seitwärts bewegen könne. Wieder andere verweisen auf die Vergangenheit, auf 2014, als die amerikanische Zentralbank Fed am gleichen Punkt stand wie jetzt die EZB. Nachdem sie sich endlich zur Zinsanhebung bekannte, stieg der Dollarkurs acht Monate lang enorm um gut 20 Prozent. Und solange Trump weiterhin mit Handelskriegen und Einfuhrzöllen droht, die seine heimische Wirtschaft nicht unbedingt stärkern werden, sei eine Trendwende hin zum starken Dollar nicht wirklich absehbar. Der Euro könnte also weiter zulegen. Lange Zeit war man schließlich eher ein Niveau von 1,40 Dollar von ihm gewohnt. Gut, in absehbarer Zeit mit diesem Kurs zu rechnen, ist vermessen. Aber 1,25 Dollar müssen noch nicht das Ende gewesen sein.

Für Anleger eröffnen sich in dieser Situation zwei Möglichkeiten: Sie können auf einen kurzfristig weiter steigenden Euro setzen, zum Beispiel mit einem Euro-Long Knockout-Papier. Solche Optionsschiene und Zertifikate sind mehrfach gehebelt, das bedeutet: Steigt der Kurs des Euro noch um ein paar Zehntelcent, dann lassen sich damit zweistellige Renditen einfahren. Andererseits ist das Geld futsch, wenn der Europreis wieder unter eine bestimmte Marke fällt und damit die Knockout-Schwelle durchbricht. Man sollte also höchstens kleine Geldbeträge auf solche Papiere setzen und auch keine allzu langen Zeiträume wählen. Sonst trägt man ein hohes Risiko. Schließlich geben selbst Profi-Investoren zu, dass sich Währungsentwicklungen kaum voraussagen lassen – weil das Zusammenspiel aller Faktoren so komplex ist und die Welt permanent in Bewegung. Von daher sollten Privatanleger auch nicht annehmen, dass sie den Markt besser einschätzen könnten als die Profis. Aus solchen Papieren große Gewinne zu ziehen ist möglich, aber letztlich reine Glückssache.

Die etwas bessere Idee für risikobereite Kurzfristanleger ist deshalb: Den momentan schwachen Dollar zu nutzen und längerfristig eher davon auszugehen, dass sich das Verhältnis zwischen Euro und Dollar auch wieder normalisieren kann. Das macht man am besten, indem man jetzt Papiere kauft, die in Dollar notieren. Weltweite Indexfonds etwa, die den MSCI abbilden oder der Entwicklung von Schwellenländern folgen und die dollarnotiert sind. Es können im Grunde auch amerikanische Aktien oder Aktienfonds sein. Für diese Wertpapiere gilt nämlich: So lange der Dollar schwächer ist als der Euro und sinkt, so lange können Anleger mit solchen Papieren dennoch Gewinne machen, selbst wenn die dahinterstehenden Aktienkurse sinken. Die Währungsgewinne gleichen das dann nämlich zu einem Gutteil aus. Von der Grundtendenz aber ist es ja eher so, dass eine schwache Währung, also ein schwacher Dollarkurs, die mit Dollar operierenden Firmen eher beflügelt. Weil ihre Produkte dadurch für Käufer erschwinglicher werden und stärker nachgefragt sind. Von daher müssten die Firmengewinne der Dollarfirmen eher zulegen. So gesehen ist der Euro alles andere als ein Spielverderber. Er eröffnet Anlegern weltweit ganz neue Möglichkeiten.

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