Zwei Staaten und zwei Enden der Welt haben uns nun über viele Monate in Atem gehalten. Ohne sie kommt keine Nachrichtensendung und keine Berichterstattung mehr aus. Ohne die Briten und ihren Brexit und ohne die USA und ihre Trumpokratie, also die eigenwilligen Regierungsideen des amerikanischen Präsidenten. Und genau in dem Moment, in dem man beide Begriffe nicht mehr hören mag, schiebt sich endlich einmal wieder ein anderes Ende der Welt in den Fokus. Das asiatische Ende, das zuletzt oft nur in Zusammenhang mit dem Wort Handelskrieg auftauchte. Ehrlich gesagt sind die Handels- und Strafzölle auch jetzt wieder der Aufhänger für die Berichterstattung, doch es geht erstmals seit Monaten um gute Nachrichten. Es zeichnet sich nämlich eine Entspannung ab, nicht nur bei den Handelsstreitigkeiten, sondern auch an den asiatischen Börsen. Vor allem China und die Schwellenländer sorgen dieser Tage für Euphorie. Aber wird sie von Dauer sein?
Gerade im vergangenen Jahr enttäuschten die Börsen der Emerging Markets viele Anleger – die Kurse der Börsen hierzulande allerdings auch. Es ging bergab auf breiter Front. Das war in den asiatischen Staaten spätestens im zweiten Quartal klar. Damals drehten die Indizes nach einem ersten Knacks zu Jahresbeginn dauerhaft nach unten. Schon damals fragten viele Anleger sich: Ist das der Beginn einer neuen, dauerhaften Schwächephase? Schließlich hatten die Emerging Markets schon in den vergangenen zehn Jahren nicht wirklich überzeugt. Ist also ihre große Phase vorbei? Und schon damals sagten die Analysten: Nein, das ist sie nicht. Denn wenn man sich die Fundamentaldaten ansieht, dann stehen die Schwellenländer trotzdem noch gut da.
Inzwischen wird immer deutlicher, dass das auch stimmt. Denn der MSCI Emerging Markets Index war zwar ungefähr bis Jahresende auf Sinkflug, doch seit Januar steigt er wieder deutlich an und kletterte von 950 auf inzwischen 1080 Punkte an. Das sind 14 Prozent Kursplus. Sieht man sich etwas längerfristig den Lauf des MSCI Emerging Markets und den Lauf des deutschen Leitindex Dax an, so liefen beide im vergangenen Jahr ziemlich im Gleichlauf nach unten, seit Oktober aber haben sich die Schwellenländer abgekoppelt. Seitdem streben sie deutlich stärker bergauf und überflügeln selbst die starken deutschen Werte.
Wachstum in den Schwellenländern ist intakt
Nun ist das nicht ganz überraschend. Schließlich heißen die aufstrebenden Länder ja nicht umsonst aufstrebend, sondern genau deshalb, weil sie dank ihres enormen wirtschaftlichen Aufholpotenzials und ihrer wachsenden Märkte viel dynamischer nach oben streben als die bereits voll entwickelten Industrieländer. Das gilt allerdings nicht nur im Aufschwung, sondern auch im Abschwung. Wenn die Wirtschaft schwächelt, werden die Schwellenländer stets stärker nach unten geprügelt. Weil sie sehr viel abhängiger von den Aufträgen der mächtigen Volkswirtschaften sind und alle Welt dann schneller den Glauben in sie verliert, gerade die Investorenwelt. Im vergangenen Jahr konnte man das gut beobachten: Die USA setzten zu ihrer großen Aktienmarkterholung an, das machte den Dollar stark und setzte vor allem den Emerging Markets zu. Denen trauten die Anleger plötzlich viel weniger zu, sie bangten um die massiven Fremdwährungskredite, die sich viele Schwellenländer zuletzt in Dollar aufgeladen hatten – und viele Großinvestoren zogen ihr Kapital aus den vermeintlich schwächeren Ländern ab. Vor allem dieser Umstand setzte den Kursen zu.
Es war nämlich gar nicht die schwächere Wirtschaft, die diese Länder bremste. Das Wachstum der Ökonomien dort und auch der Bevölkerung ist weiter in Takt. Der steigende Wohlstand sorgt zunehmend für neue Kundenschichten, die nach immer mehr Produkten verlangen. Und die Löhne steigen, auch das beflügelt die Absatzmärkte dort. Zudem zeigen viele Staaten in Asien und viele Unternehmen – dort wie hier – ein stärkeres Umweltbewusstsein, auch das sorgt für neue Aufträge und Technologien in den noch nicht entwickelten Ländern. All das treibt die Wirtschaft und auch den technologischen Wandel vieler Branchen voran. Bei Bildung, Ernährung und Gesundheit geht es in asiatischen Gesellschaften immer schneller voran.
Stimmung an den Aktienmärkten ist deutlich zuversichtlicher
Und auch wenn etliche Analysten sagen: Das Wachstum der Schwellenländer schwäche sich ab – China dient ja seit Jahren als das beste Beispiel dafür – so sehen die allermeisten Marktbeobachter die Emerging Markets doch in guter Verfassung und sogar etwas robuster aufgestellt als noch im vergangenen Jahr. Denn wenn sich die Stimmung dreht und die Wirtschaft in Amerika irgendwann zu schwächeln beginnt, sind es die asiatischen Staaten, die davon am meisten profitieren. Zurzeit berichten zwei Drittel der US-Firmen über höhere Löhne, was Einbußen bei den zu erwartenden Gewinnen bedeutet. Schwächt sich zudem der Dollar ab, so entlastet das die Emerging Markets von hohen Zinszahlungen für ihre Fremdwährungskredite. Die Inflation in den aufstrebenden Staaten ist dagegen eher gering. Zudem kurbeln Staaten wie China derzeit das Binnenwachstum mit erheblichen Stimuli an. Sie pumpen Milliarden in die Infrastruktur und schaffen so zusätzliche Nachfrage. All das mache die Emerging Markets derzeit robust, meinen Analysten.
Natürlich haben die guten Nachrichten nichts daran geändert, dass weiterhin die Gefahr einer globalen Rezession besteht. Und dieses Risiko dürfe auch nicht unterschätzt werden, auch wenn Aktionäre schon wieder dazu neigen. Man erkennt das daran, dass die Stimmung an den Aktienmärkten jetzt wieder deutlich positiver ist. Den Dax hob es diese Woche auf ein Sechs-Monatshoch und etliche Charttechniker mutmaßen bereits, ob die 200-Tage-Linie bald wieder nach oben dreht – und wann sie sich mit der kurzfristigeren 50-Tageslinie überschneidet. Die befindet sich nämlich schon wieder im Auftrieb und das Kreuzen beider Linien bedeutet für Charttechniker: Ein neuer Aufschwung steht bevor. Ob der nun wirklich kommt und vor allem, wie lange er dann hält, ist eine ganz andere Frage. Sie wird danach zu klären sein. Derzeit aber scheint die Frühlingsstimmung erst einmal die Börsen angesteckt zu haben.
Aber was heißt das nun für die Anleger? Viele professionelle Investoren und Vermögensverwalter fassen es derzeit so zusammen: Wer auf kurzfristige Renditen spekuliert und für die hiesige Welt bereits mit dem neuen Aufschwung rechnet, der geht eine eher riskante Wette ein. Denn es könnte genauso passieren, dass es anders kommt. Die Gefahren der Rezession sind nicht gebannt und scheinen unterschätzt zu werden. Was man an der weiterhin hohen Bewertung vieler heimischer Aktien sieht. Für die hiesigen Werte bleiben viele Profis deshalb vorsichtig. Für die asiatischen Werte sieht das anders aus.
Auf lange Sicht performen die Schwellenländer besser als der Dax
Die scheinen von ihrem Kurs-Gewinn-Verhältnis her derzeit weiterhin zu niedrig bewertet im Vergleich zu dem Potenzial, das noch in ihnen stecken dürfte. Denn ihr KGV liegt aktuell 10 Punkte unter seinem langfristigen historischen Durchschnitt. Das ist viel. Nun werden die Schwellenlandpapiere auch gemeinhin als riskanter eingeschätzt, vor allem wegen ihrer höheren Volatilität. Aber man muss sie auf lange Sicht betrachten, da ergibt sich folgendes Bild: Auf Zehnjahressicht schnitt der Emerging Markets Index tatsächlich schwächer ab als MSCI World und Dax. Er legte „nur“ neun Prozent jährlich zu, der Weltindex dagegen 12 Prozent, der Dax sogar 15,6 Prozent. Auch auf fünf Jahre konnten die Schwellenländer die Industriestaaten nicht toppen. Aber wer bereits im Jahr 2000 in die aufstrebenden Staaten investiert hat, also zur Hochphase der Kurse vor dem Dotcomcrash, der erlebte mit ihnen nach dem Absturz nicht nur einen viel rascheren Wiederaufstieg, sondern er hat auch bis heute rund 120 Prozent Kursplus mit dem Index gemacht und sein Geld mehr als verdoppelt. Mit Dax und Weltindex dagegen hat er in der gleichen Zeit nur knapp 60 Prozent hinzugewonnen. Der Dax ist seitdem von 7600 auf 11.978 Punkte gestiegen. Der MSCI World von 1338 auf 2143 Punkte. Der MSCI Emerging Markets aber legte von 491 auf 1079 Punkte zu.
Auf lange Sicht liegen also die Schwellenländer deutlich vorn, auch wenn es zwischendurch immer mal wieder Phasen gibt, wo die Industrieländer, insbesondere der Dax sie dominieren oder sie umgekehrt den Dax: In den 90er Jahren und bis 2000 war klar, wer stärker steigt, es waren die Emerging Markets. Danach übernahm die deutschen Aktien kurzzeitig die Führung bis 2003. Von 2003 bis 2015 lagen wieder die Schwellenländer vorn. 2015 bis 2019 der Dax. Es könnte sein, dass sich das Bild jetzt wieder dreht. Es sieht zumindest seit Oktober danach aus.
Wer daher jetzt überlegt, in den Markt einzusteigen und einen längeren Anlagehorizont hat, der ist sicher nicht schlecht beraten, einen Indexfonds auf den MSCI Emerging Markets zu kaufen. In einer Hinsicht jedenfalls überflügelt der Schwellenländerindex den Weltindex, nämlich bei der Dividendenrendite, die beträgt bei ihm 2,7 Prozent, beim MSCI World 2,5 Prozent. Es lohnt sich also, sich in diesem Falle nicht von den Tagesnachrichten leiten zu lassen, sondern dauerhaft an Papiere vom anderen Ende der Welt festzuhalten.