Wenn man sagt, dass jemand zu den Zurückgebliebenen gehört, dann ist das meist kein Kompliment. Es hört sich irgendwie minderbemittelt an oder zumindest minderbegabt und signalisiert: Will man sich um diese Abgehängten kümmern, muss man selber erhebliche Mittel und menschliche Begabung mobilisieren, damit das klappt. Da wenden sich viele lieber den problemloseren Fällen zu, den vermeintlichen Gewinnern. Doch es könnte sein, dass ihnen so einiges entgeht. Denn wie so oft tickt der Finanzmarkt hier mal wieder nach ganz anderen Regeln. Er hat nämlich tatsächlich eine Gruppe von Zurückgebliebenen ausgemacht, aber in diesem Fall heißt das: Es gibt eine Schar von Aktien, die deutlich hinter dem Markt hinterherhinkt. Und gerade deshalb ist sie höchst interessant. Die Rede ist von den Rohstoffaktien.
Der Rohstoffsektor selbst steht bereits seit einer Weile wieder im Fokus. Seit dem vergangenen Jahr mehren sich die Stimmen, wonach die große Rohstoffbaisse, die den Markt nun jahrelang hat vor sich hindümpeln lassen, ihr Ende gefunden hat . So zumindest lautet die recht einhellige Meinung der Analysten. Fünf Jahre hat die jüngste Talfahrt gedauert , von 2011 bis 2016. Sie hat die Kurse von Metallen und Edelmetallen, Gas und Öl, Nahrungs- und Genussmitteln wie Kaffee oder Kakao geradezu in die Tiefe geprügelt. So lange, bis kaum noch ein erfolgreiches Wirtschaften für viele Firmen möglich war. Doch seit ungefähr einem Jahr geht es wieder bergauf. Die Rohstoffpreise ziehen auf breiter Front wieder an.
Inzwischen sogar deutlich: Der S&P GSCI All Metals , der Referenzindex für das Investment in Edel- und Industriemetalle hat auf Jahressicht 20 Prozent zugelegt. Der Gesamtrohstoffindex S&P GSCI gewann immerhin sieben Prozent hinzu – etwas weniger als die Metalle also, weil er von den anhaltend schwachen Preisen fürs Öl noch gedrückt wird. Trotzdem ist klar: Die jahrelange Abwärtsbewegung hat sich inzwischen ins Gegenteil verkehrt. Und im Schnitt, so sagen zumindest die Langfriststatistiken, dauert eine Erholung am Markt ungefähr drei Jahre. Blieben also noch zwei weitere Jahre für Kursaufschwünge übrig.
Rohstoffaktien hinken dem Markt hinterher
Man könnte also auf einen Rohstoffindex setzen und einen ETC kaufen, einen Rohstoffindexfonds. Da der aber häufig mit jedem Ausschlag am Markt schwankt und vor allem bei jedem Fall des Ölpreises zuckt oder gar ungebremst mit in die Tiefe rauscht, könnte man auch eine andere Strategie wählen und selektiver auf einzelne Bereiche des Rohstoffmarkts investieren. Mit einzelnen Rohstoffaktien nämlich.
Genau die zählen momentan zu den Zurückgebliebenen am Finanzmarkt. Denn zuletzt haben die Aktienkurse weltweit kräftig angezogen und vor allem in Amerika und Europa verzeichneten sie so große Kurssprünge, dass etliche Anleger schon bang fragen, wie lange das wohl noch so weiter gehen kann. Wie aber entwickelten sich die Aktien der Rohstoffkonzerne? Im Vergleich dazu sehr mau: Der Börsenwert der Energieunternehmen liegt gerade einmal beim 13-fachen ihres Jahresgewinns – so hoch ist derzeit das Shiller-KGV, das gemittelte Kurs-Gewinn-Verhältnis der vergangenen zehn Jahre. Zum Vergleich: Die Unternehmen im marktbreiten Index S&P 500 kommen derzeit auf ein KGV von 30, sie werden also rund dreimal so teuer an der Börse gehandelt. Und solche niedrigen Bewertungen finden sich nicht nur im Energiesektor: Auch der Rohstoffkonzern Rio Tinto, einer der größten weltweit, hat derzeit bloß ein KGV von 14, sein Wettbewerber BHP Billiton liegt ebenfalls bei mageren 13. Ihre Papiere sind also augenblicklich für ein Drittel weniger zu haben als andere Weltkonzerne. Ob das gerechtfertigt ist?
Woher die niedrigen Werte kommen, lässt sich auf jeden Fall gut erklären: Das jüngste goldene Rohstoffzeitalter dauerte bis 2011. Bis dahin stiegen die Preise unaufhörlich und so manches Unternehmen, vor allem aus dem Kreise der Öl-, Bergbau- und Minengesellschaften dachte damals, es würde wohl ewig so weitergehen. Deshalb nahmen etliche von ihnen hohe und recht teure Kredite auf, um ihr weiteres Wachstum zu finanzieren. Sie erweiterten damit ihre Produktionskapazitäten, was in der Folge natürlich zu großen Überkapazitäten am Markt führte. Fallende Preise und massive Gewinneinbrüche waren die Konsequenz. Schon bald gelang es immer weniger Firmen, noch kostendeckend zu produzieren. Es kam zu einer großen Marktbereinigung, die besonders mittelgroße Minenkonzerne traf. Von ihnen rutschten etliche in die Insolvenz. Das stärkte nicht unbedingt das Vertrauen der Anleger, die sich daraufhin massenhaft aus dem Markt zurückzogen und ihre Aktien verkauften.
Konzerne haben sich erholt
Im Grunde hält diese Skepsis bis heute. Inzwischen aber haben viele der verbleibenden Unternehmen ihre Schulden weitgehend wieder abgebaut oder zumindest auf ein gesundes Maß zurückgeführt. Sie wirtschaften wieder rentabler und profitieren nun auch noch vom jüngsten Kursanstieg bei den Rohstoffen, der ihnen steigende Absatzpreise beschert. Gerade die Großkonzerne spielen zudem ihre Marktmacht immer weiter aus. Rio Tinto etwa kann Kupfer extrem billig fördern, weil es in der Mongolei die Erde danach umgräbt. Und BHP ist vor allem im Öl- und Erzgeschäft aktiv, ebenfalls für niedrige Förderkosten bekannt und freut sich zudem vernehmlich über die „die Elektroauto-Revolution“, von der es sich eine erhebliche Steigerung des Kupferabsatzes erhofft.
Auch der Rohstoffhändler Glencore habe sich fundamental erholt und massiv Schulden abgebaut, sagen Marktexperten. Dem japanischen Wettbewerber Itochu attestieren sie, dass er von den derzeit niedrigen Zinsen profitiere, weil er damit nun günstiger Kredite für den Rohstoffankauf aufnehmen könne. Noch haben die Kurse der Aktiengesellschaften auf die Erholung des Rohstoffsektors nicht adäquat reagiert, meinen Analysten.
Aber geht es nun wirklich mit dem Preisauftrieb weiter, wie Ökonomen für 2017 und 2018 prognostiziert hatten? Schließlich knickten die Kurse im Sommer wieder ein, um rund sechs Prozent auf breiter Front. Selbst Erze und Metalle kosteten plötzlich zwei Prozent weniger. Es sieht aber so aus, als sei das eine vorübergehende Delle gewesen, zumindest wenn man die Augustzahlen ansieht: Die legten nämlich wieder um 4,5 Prozent zu. Die Metallpreise stiegen besonders. Und selbst Großinvestoren verkündeten zuletzt, sie glaubten nicht, dass die Rohstoffpreise wieder nachgeben würden. Lithium würde von der Weltwirtschaft ebenso vermehrt gebraucht wie Kupfer oder Stahl in China. Die Verbrauchsmengen steigen, weil es der globalen Konjunktur gut geht und sie stabil ist. Das Tal sei vorerst endgültig durchschritten. Vorerst.
Aussichten auf lohnende Erträge
Die IKB Bank geht ebenfalls davon aus, dass der Auftrieb bei den Rohstoffen anhalten wird. Die „kräftige Preisbelebung“, die man im August gesehen habe, werde sich aus diversen Gründen fortsetzen, gerade bei den Metallen. Das Hamburgische Weltwirtschafts Institut (HWWI) stellt zumindest fest, dass die Preise momentan wieder steigen nach den zwei Minusmonaten im Sommer. Wer darauf setzen möchte, der ist sicherlich nicht schlecht beraten, sich auf Metalle zu konzentrieren. Denn die Nahrungsmittelpreise zeigen sich derzeit recht unstet und wohin das Öl noch strebt, bleibt abzuwarten. In die Höhe schießen wird sein Kurs sicherlich eher nicht. So gesehen wären Aktien der großen Minenkonzerne sicher nicht die schlechteste Idee.
Natürlich erreicht man mit ihnen keine breite Streuung des Geldes über eine neue Anlageklasse, denn auch Rohstoffaktien korrelieren letztlich deutlich mit dem Gesamtmarkt. Das heißt: Ändert der Aktienmarkt irgendwann rasant seine Richtung, wären auch die Kurse der Rohstoffkonzerne betroffen. Mit einem reinen Rohstoffinvestment hätte man jedoch eine stärkere Diversifikation erreicht. Aber vor allem jetzt, wo die Rohstoffaktien noch so günstig sind, sind die Aussichten auf lohnende Erträge gut. Anleger müssen sich nur im Klaren sein, dass sie für ein solches Investment auch viel Zeit und gute Nerven brauchen. Auf Jahressicht hat die Aktie von Rio Tinto zum Beispiel knapp 29 Prozent zugelegt, davor standen eher maue Jahre. Wer sie jedoch seit 1998 gehalten hat, der kann heute ein Kursplus von 300 Prozent verbuchen. Allerdings stürzte sie auch 2008 von 75 Euro auf unglaubliche 15 Euro ab, binnen kürzester Zeit. Wohl dem also, der das ausgehalten hat.
Was aber in solchen Zeiten für Anleger in Trost sein kann: Immerhin kommen Rio Tinto und BHP auf eine Dividendenrendite von rund 4,5 Prozent. Das entschädigt dann vielleicht für das ein oder andere magere Jahr, in dem die Kurse nicht so glänzen.
Nadine Oberhuber ist Wirtschafts- und Finanzjournalistin. Sie schreibt auf Capital.de über Geldanlagethemen