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Kolumne Kein Grund zur China-Panik

Die Angst vor einem China-Crash ist übertrieben. Das Land hat die Mittel, seine Probleme zu bewältigen. Von Holger Schmieding
An der Börse in Shanghai spielen die Kurse zurzeit verrückt – Foto: Getty Images
An der Börse in Shanghai spielen die Kurse zurzeit verrückt – Foto: Getty Images
Holger Schmieding ist Chefvolkswirt der Berenberg Bank
Holger Schmieding ist Chefvolkswirt der Berenberg Bank

Holger Schmieding ist Chefvolkswirt der Berenberg Bank. Er schreibt hier regelmäßig über makroökonomische Themen.

Ach ja, die Märkte. Wie im richtigen Leben geht es dort manchmal drunter und drüber. Schließlich sind Anleger und Investoren ja auch nur Menschen wie Du und ich. Manchmal verhalten sie sich ganz vernünftig, manchmal feiern sie eine Party und manchmal lassen sie sich bereits von kleinen Anlässen aus der Ruhe bringen. In den letzten Tagen hat eine chinesische Panik die Finanzmärkte der Welt ergriffen und den deutschen Leitindex auf eine atemberaubende Achterbahnfahrt geschickt. Was steckt dahinter? Und müssen wir uns jetzt große Sorgen machen?

Schauen wir zunächst einmal auf den eigentlichen Anlass. Am 11. August hat China seine Wechselkurspolitik geändert. Innerhalb von drei Tagen hat der Yuan gegenüber dem US Dollar und sage und schreibe 3,1 Prozent abgewertet. Richtig: um 3,1 Prozent. Für flexible Wechselkurse ist das eigentlich kaum der Rede wert. Solche Bewegungen legt der Euro gegenüber dem US Dollar oder dem britischen Pfund immer mal wieder hin. Solche Bewegungen beeinflussen die Handelsströme kaum. Aber im Falle Chinas hat der Finanzmarkt panisch reagiert. Warum? In den Jahren nach der großen Finanzkrise von 2008 hatte sich China zu einer Lokomotive der Weltkonjunktur entwickelt. Jetzt verliert das Wachstum in China spürbar an Schwung.

Viele Beobachter sehen darin ein großes Risiko für die Weltkonjunktur. Und da sie den offiziellen chinesischen Wirtschaftsdaten zu Recht nicht trauen, haben sie Chinas unerwartete Abwertung als Zeichen genommen, dass die Wirtschaft dort in einer viel tieferen Krise stecken könnte als gedacht. Warum sonst würde China einen solch außergewöhnlichen Schritt tun?

China braucht ein neues Geschäftsmodell

Seit wir im Herbst 2008 einmal erleben mussten, dass der falsche Umgang mit einer eigentlich kleinen Krise, der Pleite einer Investmentbank namens Lehman Brothers, die schärfste Rezession in der westlichen Welt seit 80 Jahren auslösen konnte, sind Anleger besonders nervös. Frei nach dem Motto „wer zuerst in Panik verfällt, schafft es noch rechtzeitig zum Ausgang“ neigen sie dazu, erst zu verkaufen und sich danach zu fragen, ob es eigentlich einen echten Grund dafür gegeben hat.

China hat durchaus Probleme. Nach dem Wirtschaftswunder der letzten beiden Jahrzehnte lässt das Trendwachstum spürbar nach. Das Land ist bereits weitgehend industrialisiert ist, die Zahl der Erwerbstätigen nimmt kaum noch zu. Statt einfach nur ausländische Waren zu kopieren oder zusammenzuschrauben, muss China eigene Ideen und Marken entwickeln. Die Billigproduktion wandert nach Vietnam ab. Zudem möchte China nicht mehr so dreckig und industrielastig wachsen wie bisher. Beim Übergang zu einer besseren Qualität des Wachstums, zu mehr Innovationen und zu einem weniger reglementierten Finanzsektor ist China auf Probleme gestoßen. Einer völlig überdrehten Aktienmarktpartie folgte ein Crash wie aus dem Bilderbuch. Je moderner Wirtschaft und Finanzmärkte werden sollen, desto schwerer fällt es der Partei, die Kontrolle zu behalten und diese Kontrolle halbwegs sachgerecht auszuüben.

Was hypernervöse Anleger rund um die Welt als mögliches Zeichen einer verzweifelten Lage gewertet haben, war vor allem ein missglückter Versuch, den Wechselkurs besser zu justieren. China hat seine Währung traditionell stark an den US-Dollar gebunden. Da die US-Notenbank bei solider US-Konjunktur langsam auf einen ersten Zinsschritt nach oben zusteuert, hatte die chinesische Währung in der letzten Zeit mit dem US Dollar kräftig an Wert gewonnen. Gegenüber dem Euro notierte der Yuan Anfang August 2015 um knapp zehn Prozent höher als im Mai 2014. Im Ergebnis war die chinesische Währung überbewertet, zwar nicht gegenüber dem US Dollar aber eben gegen viele andere Währungen.

Hätte China dagegen seine Währung frühzeitig an einen Warenkorb aus Dollar, Euro und Yen statt weitgehend an den US Dollar gebunden oder die einmal entstandene Überbewertung durch eine Vielzahl kleiner Schritte korrigiert, hätte dies vermutlich kaum Wellen geschlagen. Mit seinem überraschenden Schritt hat China dagegen viele Anleger auf dem falschen Fuß erwischt und eine Panik an den Märkten ausgelöst.

Konjunkturschwäche aber kein echter Einbruch

Müssen wir uns deshalb um China große Sorgen machen? Wahrscheinlich nicht. Niemand weiß, wie es genau um die chinesische Wirtschaft steht. Die verfügbaren Daten deuten auf eine Konjunkturschwäche aber keinen echten Einbruch hin. Aber in einem Punkt können wir uns relativ sicher sein. Im Falle eines Falles hätte China mehr Möglichkeiten, seine Konjunktur schnell und wirksam zu stützen, als nahezu alle anderen Länder der Welt. China sitzt auf den weltweit größten Devisenreserven, knapp 3,7 Billionen Dollar. Es erwirtschaftet einen Überschuss in seiner Außenbilanz und ist nicht auf einen Kapitalzustrom aus dem Ausland angewiesen.

Stattdessen kann es bei einer privaten Sparquote von mehr als 40 Prozent der verfügbaren Einkommen einen der gewaltigsten Kapitalströme der Welt im Inland weitgehend so lenken, wie es den wirtschaftspolitischen Prioritäten entspricht. Staatlich beeinflusste Banken machen das möglich. Bevor China einen Anstieg der Arbeitslosigkeit zulässt, der die Legitimität der herrschenden Partei untergraben könnte, wird es lieber ein Konjunkturprogramm auflegen. Im Herbst 2008 hat China das schon einmal eindrucksvoll gezeigt. Kein Land reagierte auf die Lehman Krise so kraftvoll und erfolgreich.

Anders gesagt: Wir wissen, dass China über ein Sicherheitsnetz für seine Konjunktur verfügt. Entweder ist die Konjunktur nicht so schwach, wie nervöse Anleger es befürchten. Dann gibt es weder einen großen Grund zur Sorge noch einen Anlass für massive Konjunkturprogramme, die über ein vorsichtiges Lockern der Geld- und Kreditpolitik hinausgehen. Oder es gibt größere Probleme, als die Behörden bisher offiziell zugeben. Aber dann könnte und würde China von sich aus die rein konjunkturelle Krise rasch durch entsprechend aggressive Stimuli in den Griff bekommen können.

Nur ein paar Kratzer für die deutsche Konjunktur

Unsere Ausfuhren nach China mögen jetzt nach einem grandiosen Höhenflug der Vorjahre für einige Zeit schwächeln. Aber ein längerer Einbruch zeichnet sich nicht ab. Zeitweilige Verluste können wir durch mehr Ausfuhren in die USA und unsere Partner in Europa ausgleichen, die sich immer mehr von der vormaligen Eurokrise erholen.

Dennoch könnte unsere Konjunktur ein paar Kratzer abbekommen. Anders als China verfügen viele andere Schwellenländer nicht über ein gutes Sicherheitsnetz. Der massive und übertriebene Abfluss von Kapital der letzten Monate kann auch einige Länder dazu zwingen, den Gürtel enger zu schnallen, die ansonsten halbwegs gesund sind. Das wird unseren Export etwas dämpfen. Dazu kommt, dass die heftigen Ausschläge an den Finanzmärkten und die übertriebene Diskussion über chinesische und andere Risiken gerade im ausfuhrorientierten und konjunkturell sensiblen Deutschland für einige Monate etwas auf den Geschäftserwartungen lasten könnte. Das wiederum kann das eine oder andere Unternehmen dazu veranlassen, einige Investitionen um einige Monate zu verschieben.

Aber sofern die Finanzmärkte nicht völlig verrückt spielen und die Wirtschaftspolitik in China und anderen großen Schwellenländern keine groben Fehler macht, dürfte dieser Einfluss verhalten bleiben. Das Ende der Eurokrise, die angemessen niedrigen Leitzinsen der Europäischen Zentralbank, die robuste Nachfrage aus den USA sowie die niedrigen Ölpreise geben unserer Konjunktur einen spürbaren Rückenwind. Letztlich dürften die fundamental weiterhin erfreulichen Aussichten für die deutsche Wirtschaft auch wieder an den Finanzmärkten Niederschlag finden, trotz mancher Turbulenzen zwischendurch.

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