Frei, oder nicht frei? Das war hier die Frage. Zumindest war sie es bis Anfang der Woche, dann entschied sich die chinesische Zentralbank für „frei“, oder wenigstens „ein bisschen frei“ und wertete ihre Währung ab. Der Yuan ging auf Talfahrt, mehrere Tage nacheinander. Es war der tiefste Kurseinbruch der chinesischen Währung Renminbi seit 21 Jahren. Und was machten die Weltbörsen? Die sanken gleich mit. Der japanische Index drehte ins Minus, die MSCI-Index der asiatischen Regionalbörsen sank gar auf ein Eineinhalbjahrestief, der Dow Jones verlor 400 Punkte und der deutsche Leitindex Dax gab sogar fast 700 Punkte ab. Es schien, als hätten viele nach den Kursstürzen an Chinas Börsen nur auf so etwas gewartet. Bisher betraf der Absturz nur die dortigen Indizes, nun aber hörten viele Börsianer bloß das Wort „abwerten“ und flohen sofort aus ihrem eigenen Markt. Und die warnenden Stimmen aus aller Welt ließen nicht lange auf sich warten.
China habe damit den Abwertungswettlauf eröffnet, so lauteten noch die harmloseren Deutungen, der eine Gefahr für das Weltwachstum werden könnte. Weniger zimperliche Marktbeobachter riefen schon den Beginn eines Währungskrieges aus. Wieder andere beschworen gar einen globalen Deflationsschock, der nun drohe. Ihre Begründung geht so: Wenn China seine Währung billiger macht, dann kann es seine eigenen Produkte im Ausland zu niedrigeren Preisen verkaufen. Also nicht nur die Konsumgüter wie Elektronik und Kleidung, sondern vor allem auch Maschinen, Stahl, Industriemetalle und Rohstoffe. Sinken also die Preise für Produkte auf breiter Front, die China in Mengen auf den Weltmarkt wirft, geraten die übrigen Herstellerländer unter Druck. Sie müssen ebenfalls ihre Preise senken, um überhaupt weiter konkurrenzfähig zu bleiben. Die Folgen werden sinkende Margen sein, schrumpfende Gewinne für alle und der Beginn einer Abwärtsbewegung, bei der sich alle gegenseitig zu unterbieten versuchen werden. Das könnte die Welt von einer Deflations- in eine Rezessionsspirale treiben. Soweit das Horrorszenario.
Doch ist die Angst berechtigt? Zum einen ja. Zuletzt hatte China für März einen überraschenden Einbruch der Exporte vermeldet. Einen weiteren Schwund wird die Regierung unbedingt verhindern wollen, denn dadurch gerät ihr erklärtes Ziel in Gefahr, ein Wirtschaftswachstum von wenigstens sieben Prozent zu halten. Und da Chinas Wirtschaft nur zum Teil marktgetrieben ist, zum anderen Teil aber stark staatlich gelenkt, darf man den Eingriff der Notenbank als erste Intervention sehen, um den schwächelnden Export wieder anzukurbeln. Die Volksrepublik kann nun tatsächlich ihre Produkte billiger in aller Welt verkaufen. Aber: Die Einfuhr von Waren wird für sie dadurch auch deutlich teurer. Und die Konsumgüter aus dem Ausland, die Chinas Händler in ihren Läden verkaufen.
Die Frage ist also, ob es nicht auch die Binnenkonjunktur bremst, wenn die chinesische Bevölkerung weniger Waren aus aller Welt shoppt, weil sie sich weniger leisten kann. Außerdem werden fremde Kredite und Firmenübernahmen im Ausland dadurch deutlich teurer. Und gerade solche Zukäufe waren es, mit denen sich China zuletzt mehr Einfluss in der Weltwirtschaft verschaffte. Ganz ungefährlich ist der Eingriff ins Währungssystem deshalb beileibe nicht.
Kurswechsel in Peking
Zum anderen kann man den Staatslenkern an dieser Stelle aber nur bedingt vorwerfen, dass sie es dennoch tun. Denn 20 Jahre lang haben sie ihre Währung stabil gehalten und eng an die amerikanische Währung gekoppelt. Der Yuan hat sich kaum vom Dollar wegbewegt – obwohl er zwischendurch allen Grund dazu gehabt hätte. Zuletzt 2009 in der großen Finanz- und Wirtschaftskrise, in der plötzlich der Dollar kräftig stieg und mit ihm der Yuan, wodurch sich auch Chinas Produkte erheblich verteuerten. Doch die Chinesen hielten am Kurs fest. Dafür ernteten sie weltweites Lob, vor allem vom Internationalen Währungsfonds (IWF): Sie seien in dieser Situation der Stabilitätsanker für die Weltwirtschaft gewesen, hieß es.
Nun geben sie ihre Währung frei, zumindest zum Teil. Auch dafür gibt es gute Gründe, denn schon wieder ist der Dollar stark gestiegen, er hat im vergangenen Jahr rund 15 Prozent zugelegt. Amerikas Wirtschaft ist stark, freut sich über eine robuste Konjunktur und einen Boom am Arbeitsmarkt. Das alles gibt dem Dollar Auftrieb. Aber warum soll sich China weiter an etwas koppeln, was seinem eigenen Wachstum so wenig weiterhilft? Was den Dollar noch zusätzlich beflügelte war auch der schwache Euro und das Handeln der Europäischen Zentralbank EZB. Seit die massenhaft Staatsanleihen aufkauft, um Europa zu stützen, sinkt Europas Währung deutlich und hievt den Dollar dementsprechend in die Höhe. Noch steckt Amerikas Wirtschaft sogar den starken Dollarkurs unbeeindruckt weg.
Dagegen profitieren andere längst davon, dass ihre Währung gegenüber dem Dollar abwertet – vor allem Deutschland. Als Exportnation nutzt uns der schwache Euro derzeit sehr. Wir nutzen ihn nämlich genauso zu unseren Gunsten, um Waren im Ausland billiger anbieten zu können, so wie es China künftig gern tun würde. Im Grunde muss man also sagen: Wenn jemand den Währungskrieg eröffnet hat, dann doch am ehesten die EZB. Die Volksrepublik pariert diesen Angriff jetzt bloß. Kann man den anderen also die Abwertung verübeln, die heimische Notenbanken selber betreiben?
Dazu kommt noch etwas anderes: Dass China den Yuan jetzt ein gutes Stück frei lässt, ist ja gerade das Gegenteil von Intervention. Bisher hat die chinesische Führung mit ihren Eingriffen ins Währungssystem tatsächlich oft dafür gesorgt, dass der Yuan weniger stark aufwertete, als er es nach Marktprinzipien hätte tun müssen. Sie hat ihn künstlich niedrig gehalten, um ihre Exporte anzukurbeln. Zuletzt aber war genau das Umgekehrte der Fall: Da hätte der Renmimbi im Vergleich zum Dollar erheblich schwächer werden müssen und somit die Wirtschaft von selbst angeheizt. Nur, er tat es wegen der künstlichen Dollarbindung nicht. Wenn China also nun loslässt, ist das ein Schritt in Richtung Freiheit. Damit will die Volksrepublik vor allem auch dem IWF beweisen, dass seine Wirtschaft und Währung auf dem Weg in die Liberalisierung sind.
Chinas Währung hat rasant an Einfluss gewonnen
Denn vom IWF erwartet sich China noch etwas ganz anderes: Es will zum Weltgeld werden, zur fünften Reservewährung weltweit. Bisher sind der Dollar, Euro, Yen und das britische Pfund die vier anerkannten Leitwährungen der Welt. Derzeit denkt aber der IWF darüber nach, den Yuan ebenfalls in diese Liga zu befördern, womöglich noch in diesem Jahr. Denn Chinas Währung hat rasant an Einfluss gewonnen. Global gesehen ist ihr Anteil am Kapitalverkehr mit zwei Prozent noch sehr klein, während es der Dollar auf 44 Prozent bringt. Doch in Asien wird bereits ein Drittel des gesamten Kapitalverkehrs in Yuan abgewickelt. Vor wenigen Jahren waren es erst magere 7 Prozent. Und die Kapriolen von Dollar und Euro bestärken nun den IWF in der Idee, dass eine weitere Reservewährung nicht schaden könnte.
Chinas Finanzwirtschaft würde das vor allem mehr globales Ansehen verschaffen. Für die Beförderung in den IWF-Währungskorb müsste China aber seinen Finanzmarkt noch weiter reformieren und seine Banken kapitalisieren. Es müsste seine Anleihenmärkte liquider machen und der Yuan müsste frei konvertibel sein. Wann und wieweit das alles passieren wird, ist die Frage. Zumindest ist aber klar: An der Freiheit des Yuan arbeitet die Führung jetzt.