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Geldanlage Faire Werte am Ende der Welt

Kurstafel an der Frankfurter Börse
Kurstafel an der Frankfurter Börse
© Getty Images
Die Schwellenländer erlebten im zweiten Quartal einen Einbruch. Geht ihr Aufschwung damit schon zu Ende? Noch stehen sie im Vergleich gut da

Wo auch immer das Wort Herausforderung auftaucht, sollte man auf jeden Fall einmal hellhörig werden. Sei es nun im Beruf, im Umgang mit Freunden, Chefs oder Geschäftspartnern und vor allem im Zusammenhang mit der Börse und den Finanzmärkten. Denn vereinfacht gesagt ist eine Herausforderung heutzutage nichts anderes als ein etwas schöneres Wort für „ein Problem“. Eine neue Herausforderung suchen heißt nichts anders als: Mir gefällt es hier nicht mehr, ich orientiere mich neu. Und wenn Manager ihre Belegschaft auf neue Herausforderungen einschwören, dann bedeutet das übersetzt: Die Zeiten werden hart, wir haben ein Problem. Genau das scheinen die Schwellenmärkte gerade auch zu haben. Zumindest sah es in den vergangenen drei Monaten schwer danach aus. Deswegen widmen sich zurzeit viele Marktbeobachter den Herausforderungen, vor denen die aufstrebenden Staaten gerade stehen.

In den vergangenen drei Jahren entwickelten sie sich im Gesamtpaket noch prächtig. Der MSCI World Emerging Markets Index kam fast 13 Prozent voran. Doch zu Jahresbeginn tauchte der erste Knacks im Index auf. Danach erholten sich die Kurse zwar auf breiter Front wieder. Doch im April, Mai und Juni ging es nun tatsächlich wieder steiler nach unten. Insgesamt verlor der MSCI World Emerging Markets in dieser Zeit gut 140 Punkte, was einem Wertverlust von 12 Prozent seit März entspricht. Nun fragen sich viele Börsianer: Liegt das daran, dass die Schwellenländer derzeit – und zwar rund um den Globus – so viele neue Herausforderungen meistern müssen? Was ja nur ein natürlicher Prozess im ständigen Auf und Ab der Märkte wäre. So gesehen wäre der Zwischenknick wenig bedenklich. Zumal sich das Minus der vergangenen vier Wochen nur noch auf 2,2 Prozent beläuft, der Absturz also zumindest nicht schlimmer geworden ist. Oder haben die Emerging Markets tatsächlich schon ein ernstes Problem?

Letzteres würde heißen, dass die aufstrebenden Staaten demnächst dauerhaft die Länder mit den hinabstrebenden Kurse werden könnten. Und somit wiederum hätten auch bald die entwickelten Staaten und deren Börsen wohl Probleme. Denn wenn das Wachstum in den Schwellenländern zum Erliegen käme, dann würde das auch die Weltwirtschaft bremsen und auf die Konjunktur in den Industrieländern abfärben. Dann wäre es mit dem konjunkturellen Aufschwung und den hohen Börsenkursen bald vorbei. Manche Marktbeobachter sprechen den aufstrebenden Staaten nämlich die Rolle eines Frühindikators zu.

Also: Stehen wir vor einer Herausforderung oder einem echten Problem? Jüngst bereitete der schwelende Handelsstreit, den US-Präsident Trump nun wohl in mehreren Ländern anzetteln will, vielen Anlegern Sorgen. Vor allem China würde darunter leiden. Aber auch Korea könnte trumpbedingt in Mitleidenschaft geraten. Denn solche Handelskriege hätten Auswirkungen auf das Langzeitwachstum der Staaten. Dazu kommt die allgemeine Befürchtung, die Notenbank Fed werde demnächst noch einmal die Zinsen erhöhen und könnte damit die Zahlungskraft einiger Schwellenländer abwürgen. Die nämlich haben sich seit der Finanzkrise üppig in Dollaranleihen verschuldet. Die Fremdwährungskredite der Staaten haben sich seit 2008 etwa verdoppelt auf nunmehr 3,8 Billionen US-Dollar. Steigen die Zinsen, fiele es vielen Staaten schwer, ihre Schulden im Ausland noch zurückzuzahlen, lautet die Angst.

Zu diesen globalen Bedenken kommen nun noch diverse Turbulenzen in den einzelnen Ländern: In Brasilien legte ein Streik weite Teile der Wirtschaft lahm. Argentinien und die Türkei leiden unter einer starken Abwertung ihrer Währung. In Malaysia und Südafrika wanken die Regierungen. Alles in allem keine beruhigenden Zeiten für Anleger. Deshalb zogen viele zuletzt ihr Geld aus den aufstrebenden Staaten ab. Zudem machten die höheren Zinsen in den USA auch Investments auf dem amerikanischen Kontinent wieder attraktiver. Im Vergleich zu einem Schwellenlandinvestment scheint das Anlegen dort auch risikoloser. Weitere Verwerfungen durch Kapitalabflüsse aus den aufstrebenden Ländern seien daher nicht ausgeschlossen, mahnen Emerging-Markets-Experten.

Nun ist es aber auch so, dass sich ebenfalls dieses Muster beobachten lässt: Immer wenn Zinsanhebungen der Notenbank befürchtet werden, kommt es zu starken Marktschwankungen in den Emerging Markets. Nämlich zu Ausschlägen nach unten. Vollzieht die Notenbank den Zinsschritt dann aber tatsächlich, so erholten sich die Kurse auch stets wieder recht schnell von diesen Abschwüngen. Die Märkte nehmen also nur eine Anhebung der Zinsen bereits vorweg. Bisher jedenfalls ließen sie sich davon nicht wirklich in die Tiefe reißen.

Warum, das erklären Fondsmanager großer Investmentgesellschaften so: Den vielen Fremdwährungskrediten der aufstrebenden Länder stünden schließlich auch viele Staatsanleihen gegenüber, die Schwellenländer in ihren eigenen Lokalwährungen ausgegeben haben. Und dass sie zudem durch staatliche Einnahmen in US-Dollar etwa durch Rohstoffverkäufe und Handel auch gegen steigende Zinsen abgesichert sind. Die meisten Schwellenländerwährungen floaten zudem mit flexiblen Wechselkursen. Und die Länder haben insgesamt einen Leistungsbilanzüberschuss zu verzeichnen, der sie recht robust macht. Ein Leistungsbilanzdefizit haben nur die Türkei, Argentinien und Südafrika, bei ihnen würde es also etwas kritischer. Doch würden sie allein nicht gleich den ganzen Index nachhaltig in die Tiefe reißen.

Neben den Exportüberschüssen steigt nun aber auch die Binnennachfrage in jenen Ländern kräftig weiter an. Und das seit Jahren. Das liegt daran, dass der Gesamtwohlstand der Bevölkerung langsam aber sicher wächst, was eine kaufkräftige Klientel heranreifen lässt. All das sehen die Marktbeobachter auch noch nicht in Gefahr. Sie rechnen nicht mit einer „Entgleisung der Fundamentaldaten“, so sagen führende Fondsmanager.

Schließlich sind die Analysten besonders mit Blick auf China optimistisch: Sie glauben mehrheitlich an Chinas Marktstärke und daran, dass es weiter solide zulegt. Die Regierung habe zuletzt die Risiken des Finanzsystems durch einige Reformen reduziert. Außerdem habe der Staat jetzt die Kapitalflüsse im Land und ins Land besser unter Kontrolle. Das sind Gründe, weswegen viele nicht recht glauben, dass sich diese positiven Vorzeichen so bald ins Negative drehen.

Momentan verweisen manche eher auf einen anderen temporären Effekt: Vergleicht man die relative Kursperformance der Schwellenländer mit den Industriestaaten, dann zeigt die Kurve der Emerging Markets ziemlich steil nach unten. Das heißt nichts anders als: Die Aktien der Schwellenländer sind zurzeit an den Weltbörsen unterbewertet. Das ergibt auch eine andere Auswertung: Ihr KGV liegt bei 11, das der restlichen Weltaktien bei über 15. Setzt man die heutige Aktienbewertung nämlich in Beziehung zu den geglätteten Gewinnen mehrerer Jahre, dann notiert der Emerging-Markets-Index derzeit in einem Bereich, der einer absolut fairen Bewertung entspricht. Genau in dem Bereich also, in dem jeder Value-Investor sagen würde: Halten – oder sogar zukaufen, wenn sich eine Gelegenheit ergibt.

Von daher können Anleger den künftigen Herausforderungen ruhig entgegensehen. Wer bereits mit einem Indexfonds auf den MSCI Emerging Markets Index setzt, der sollte sich die langfristigen Aufwärtschancen bewusst machen. Wer überlegt, einen zu kaufen, der erwirbt ihn selbst jetzt nicht mit Prämienaufschlag, also nicht zu teuer. Vielleicht wäre es clever, noch ein wenig abzuwarten, ob sich die Kurse demnächst wieder beruhigen oder noch ein wenig nach unten streben. Und erst dann zu kaufen. Aber nicht zu lang warten. Denn eines ist bei den Emerging Markets sicher, sagen Analysten: Wenn es wieder bergauf geht, dann wachsen sie schnell. Am schnellsten von allen.

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