Geschichten nach dem Prinzip „David gegen Goliath“ haben von je her ihren Reiz. Weil wir es normalerweise gewohnt sind, dass stets die Großen die Welt beherrschen. Und weil uns Geschichten mit kleinen Angreifern deshalb umso überraschender vorkommen. So sind uns kleine Sieger ungleich sympathischer. Normalerweise. An der Börse allerdings, da schrecken viele Anleger vor den Kleinen zurück, vor den Small-Cap-Aktien nämlich. Zu windig, zu unberechenbar und zu riskant erscheinen vielen diese Unternehmen. Das aber ist eine Denke, die uns im Ernstfall um eine ansehnliche Rendite bringt. Und die schlicht falsch ist, entlarven neue Auswertungen. Nicht nur zuletzt waren Kleinunternehmen nämlich die großen Gewinner.
Aktien von kleineren Firmen erzielen oft eine viel größere Rendite als die Papiere der ganz großen Flaggschiffe. Und zwar in fast jedem Markt. Das haben etliche Studien von Kapitalmarktwissenschaftlern bereits durchgerechnet. Auswertungen, die in Amerika etwa bis in die 30er Jahre zurückgingen und die Wertentwicklung von Klein- und Großunternehmen verglichen. Aber auch Studien, die deutsche Aktien betrachteten, wie die Dax-30-Papiere im Vergleich zum SDAX. Alle kamen zum Ergebnis: Klein schlägt Groß. Vor allem in den vergangenen Jahren siegten die kleinen Herausforderer sogar um Längen.
Während der deutsche Leitindex DAX auf Zehnjahressicht ein Plus von 76 Prozent einfuhr, also 7,6 Prozent Rendite pro Jahr machte, schaffte der SDAX sogar 155 Prozent, also 15 Prozent jährlich. Auf Fünfjahressicht lagen die Kleinfirmen sogar noch deutlicher vorn: Sie erzielten 20 Prozent pro Jahr, gegenüber zehn Prozent, die der Dax schaffte. Solche großen Unterschiede bei der Wertentwicklung müssten allein schon ein Grund für Anleger sein, sich die Papiere der kleineren Wettbewerber ins Depot zu legen.
Viele tun es aber dennoch nicht. Warum? Zum einen, weil sie die Namen vieler Kleinunternehmen oft nicht kennen – und deshalb Angst haben, dass sie deren künftige Entwicklung noch schlechter einschätzen könnten als jene von Daimler, Bayer, Münchener Rück und Co.. Oder was macht noch mal Bertrandt? Oder Grenke? Und wer ist eigentlich Encavis? Wie es dagegen augenblicklich um VW steht, hören die meisten regelmäßig in den Nachrichten. Dabei ist es oft ein Trugschluss, dass sich aus solchen Rumpfinformationen auch tatsächlich ableiten ließe, ob der Aktienkurs künftig steht oder fällt, mahnen Verhaltensökonomen allzu oft. Man könnte also ruhig auch unbekannte Werte kaufen. Oder einen Affen die entsprechenden Papiere auswählen lassen. Auf den Anlegererfolg hätte das wenig Einfluss. Wurde alles schon erprobt.
Zum anderen lautet das klassische Gegenargument: Die Aktien von Small Caps bergen ein viel zu hohes Risiko. Schließlich schwankten ihre Kurse nicht nur stärker nach oben – sondern auch nach unten. Sie brächten also sehr viel Volatilität ins Depot. Dazu gesellt sich die Befürchtung, dass Kleinunternehmen in Krisenzeiten eher leiden als große. Und deswegen die Kurseinbußen in Crash- und Abschwungphasen größer sein müssten. Nun ist die Frage: Stimmt das? Diese Frage haben die Analysten einer Privatbank jetzt näher untersucht.
Der reine Blick auf die jüngsten Kurszahlen widerlegt diese These eindrucksvoll. Nun haben wir zwar noch keinen wirklichen Crash und keine Wirtschaftskrise erlebt, aber einen veritablen Kursabschwung. Er machte zumindest beim DAX jene Gewinne wieder wett, die der Leitindex im vergangenen Jahr eingefahren hatte. Ja, er vernichtete sogar den Wertgewinn der vergangenen drei Jahre. Die Performance des DAX liegt daher auf drei Jahre gesehen bei Null. Beim SDAX sieht die Sache anders aus: Stolze 15 Prozent Plus kann er auch auf Jahressicht noch vorweisen. Auf Dreijahressicht immerhin 37 Prozent, also gut 12 Prozent pro Jahr. Von Abschwung keine große Spur. Gut, auf Fünfjahressicht waren es auch schon mal 20 Prozent, aber wir wollen ja nicht gleich größenwahnsinnig werden. Von 12 Prozent Rendite pro Jahr jedenfalls können selbst DAX-Anleger derzeit nur träumen.
Wie sieht es also mit der stärkeren Schwankung aus? Tatsächlich schlugen die Aktien der Kleinunternehmen laut Auswertung der Analysten etwas stärker aus. Vergleicht man den europäischen Stoxx 200 Small Caps mit dem großen Stoxx 50, dann kamen die Großfirmen auf 17,5 Prozent Volatilität im Zehnjahreszeitraum, die Kleinfirmen auf 20,3 Prozent. Das sind drei Prozentpunkte Differenz. Das kann man nun beängstigend finden. Oder sagen: Ob eine Aktie im Verlauf von zehn Jahren in turbulenten Zeiten auch mal um durchschnittlich 20 Prozent schwankt, oder ob es nur 17 Prozent sind, macht den Kohl letztlich auch nicht fett. Denn schließlich schlägt sie ja wirklich nicht nur nach unten aus, sondern in guten Zeiten auch nach oben.
Wie steht es nun um das Risiko – und steckt hinter den Kursschwankungen letztlich der Grund, dass bei Kleinfirmen nicht nur die Börsenbewertung stärker schwankt als bei Großunternehmen, sondern auch die Fundamentalzahlen in Sachen Umsatz, Geschäftserfolg und Gewinn? Genau das haben sich die Analysten angesehen und dazu über 1000 europäische Aktien gecheckt – Small Caps wie Large Caps. Sie verglichen dabei sämtliche Quartalszahlen seit 2006 mit den jeweiligen Werten des Unternehmens zwei Jahre zuvor. Gab es häufiger große Abweichungen, oder waren die Unternehmenszahlen eher stetig? Und entwickelten sich Kleinunternehmen nun volatiler als Großkonzerne? Das waren die Forschungsfragen. Was sie fanden, überraschte sie selbst: Es gab keinen eindeutigen Zusammenhang zwischen der Firmengröße und der Stabilität. Anders gesagt: Es gibt immer Firmen, deren Geschäftsverlauf sehr stetig ist und andere, deren Geschäftszahlen arg schwanken. Nur hängt das überhaupt nicht davon ab, wie groß sie sind. Es liegt eher daran, ob ihr Geschäftsmodell sehr störanfällig ist. In der Chemiebranche etwa oder bei den Rückversicherern kann schon ein Wirtschaftsereignis oder eine Naturkatastrophe zum Knick in den Geschäftszahlen führen. Bei einem Internet-Ticketverkäufer, Pizzalieferdienst oder Nahrungsmittelhersteller dagegen verlaufen die Verkaufszahlen eher linear. Fundamental gesehen sind Kleinfirmen also bei weitem nicht schwankungsanfälliger als große. Soweit, so beruhigend.
Warum aber schwanken die Kurse kleinerer Firmen dann trotzdem etwas stärker? Sind die Märkte so blind oder ineffizient, dass sie das nicht zur Kenntnis nehmen? Dazu sahen sich die Analysten langfristig an, wie groß der Unterschied in den Kursschwankungen von Großunternehmen im Verhältnis zu Kleinunternehmen war. Das zweite spannende Ergebnis, auf das sie dabei stießen: Die Differenz zwischen beiden nahm nicht nur über die Jahre stark ab. Noch 2010 lag die Volatilitätsdifferenz bei über vier Prozent, seitdem ist der Abstand enorm geschrumpft. Sondern mehr noch: Seit Mai 2016 schwanken die Kurse der Kleinunternehmen sogar weniger als jene von Konzernen. Zuletzt drehte die Kurve im November 2017 deutlich zugunsten der Kleinstfirmen ab.
Nun hieß das aber beileibe nicht, dass sie damit auch ihren Renditevorsprung abgaben. Der nämlich besteht bei den Kleinen weiterhin, was ja auch die beachtliche Kursentwicklung von 15 Prozent beim SDAX auf Jahressicht zeigte. Er sackte innerhalb der vergangenen drei Monate auch weniger stark nach unten als der DAX, nämlich nur 3,85 Prozent gegenüber den 9 Prozent, die der große DAX verlor. Zudem beruhigen Fondsmanager und Analysten in schweren Zeiten gern, dass Small Caps sich nach einem Absturz klassischerweise schneller erholen als die Flaggschiff-Aktien. Der Grund ist einleuchtend: Kleine Boote können flexibler auf Veränderungen reagieren und kommen deshalb schneller wieder auf Touren als große Tanker. So gesehen wären mehr Small-Cap-Aktien erst recht eine Idee fürs Depot, falls es wirklich zum Abschwung käme. Zumal ihre Kursbewegungen insgesamt weniger miteinander korrelieren, das heißt: Bei Schwächephasen oder Crashs stürzen gerade große Aktien alle im Gleichlauf ab. Während sich Kleinwerte unabhängiger vom Markt bewegen.
Einen starken Zusammenhang fanden die Analysten in ihrer Auswertung jedoch: Auch wenn Firmengröße und fundamentale Beständigkeit nicht miteinander zusammenhängen, so galt doch, dass die beständigeren Firmen auch auf Dauer die erfolgreicheren waren. Wer daher nach Small Caps fürs eigene Depot sucht, der sollte nicht nach jenen suchen, die mit wechselnden Überraschungsnachrichten von sich reden machen, nicht nach den Aktien mit Zickzack-Fundamentaldaten. Sondern nach jenen, deren Geschäfte sich gleichmäßig entwickeln – und deren Fundamentaldaten sich entwickeln, wie am Schnürchen gezogen. Das nämlich schlägt früher oder später auch aufs Gewinnwachstum durch. Solche Davids werden tatsächlich zu Goliaths.