Man kann es große Euphorie nennen, aber das wäre noch untertrieben. „Extreme Gier“ sei das, was derzeit die Märkte treiben, sagen Marktexperten. Der Angst-und-Gier-Index – ein beliebter Börsenindex, auf den viele Großanleger schauen – schlägt zurzeit sehr weit aus, und mit jedem Schwung Aktien, der trotz bedenklicher Nachrichten gekauft wird, bewegt sich der Zeiger noch ein Stückchen weiter in den Extrembereich. Werte über 75 von 100 gelten als Alarmsignal, dass die Börsen zu euphorisch sind. Derzeit steht der Indikator bei 77 Punkten.
Diese Woche stand nun ein größerer Test der Börsen an: Nordamerika legte seine jüngsten Inflations- und Konjunkturzahlen vor – beide verraten, wie es um die Wirtschaft derzeit steht und signalisieren, was das für die Politik der Notenbank Fed bedeuten könnte. Die wichtigste Botschaft: Die Inflation sank weniger als erwartet. Das ließ die Börsenkurse im Verlauf des Dienstags kräftig dahinbröseln, denn eine zähe Inlfation bedeutet: Die Notenbank wird wohl doch nicht so schnell die Zinsen senken. Genau darauf aber hatten die Marktbeobachter mit überwältigender Mehrheit zuletzt gesetzt.
Damit ist auch keine zusätzliche Entlastung für die Aktienmärkte in Sicht. Folglich gaben die amerikanischen Aktienindizes S&P 500 und der Nasdaq 100 ziemlich nach. Schon tags darauf aber setzten beide wieder zur Erholung an und bis Freitag hatten die Leitindizes den Verlust wieder ausgeglichen und lagen auf Wochensicht leicht im Plus. Und das, obwohl auch die Konjunkturzahlen vom Januar eher bescheiden ausfielen. Das große Wachstum der Wirtschaft aus dem vierten Quartal setzte sich nur noch in erheblich kleinerem Maß fort. Auch Auftragseingänge und Ausblicke fielen verhaltener aus. Das unterstreicht, was viele Ökonomen erwarten: Die Wirtschaft legt zwar noch zu, aber sozusagen nur noch mit angezogener Handbremse.
Und was taten die Börsianer? Richtig, sie kauften Aktien, vorwiegend solche von Technologieunternehmen, nach dem Motto: „Never change a winning team“, hat ja bisher auch geklappt. Das katapultierte die Kurse wieder nach oben. Das Problem dabei ist allerdings, gibt David Meyer, Portfoliomanager von Taunus Trust, zu bedenken: „Die Konjunkturlage müsste sich noch einmal deutlich dynamisieren, damit die derzeitige Kurshöhe gerechtfertigt ist.“ Das wird sie aber wahrscheinlich nicht. In den Kursen seien derzeit weitere Gewinnsteigerungen um rund 13 Prozent im Mittel eingepreist. Die Frühindikatoren jedoch belegen: Es wird zu einer Abkühlung des Wachstums kommen.
Bewegten sich die konjunkturellen Frühindikatoren im negativen Bereich, so wie jetzt, dann sei danach in aller Regel nur mit niedrigen einstelligen Gewinnen zu rechnen. Derzeit aber gingen viele Börsianer besonders bei den Tech-Firmen von hohen zweistelligen Zuwachsraten aus. „Da ist derzeit zu viel Euphorie eingepreist im Verlauf der letzten drei Monate“, sagt Meyer.
Aufschlag so hoch wie zuletzt bei Dotcom-Blase
Auch die Leitzinserwartung der Akteure scheint ihm deutlich zu hoch: Der Markt rechne im Prinzip fest damit, dass die Fed die Zinsen um eine halben Prozentpunkt stärker absenken werde, als es die Aussagen der Notenbanken derzeit vermuten lassen. Jerome Powell und seine Kollegen arbeiteten nämlich in den vergangenen Wochen kräftig daran, die großen Hoffnungen der Aktionäre in dieser Hinsicht zu dämpfen. Das alles ignorieren die Marktbeteiligten aber bisher offenbar.