Wer eine Erbschaft erhält, zu der auch Schulden gehören, der bekommt es oft mit der Angst zu tun. Unberechtigterweise, sagt Jan Roth, Fachanwalt für Erb- und Insolvenzrecht bei der Kanzlei Wellensiek. Denn oft ist das vorhandene Vermögen größer als die Verbindlichkeiten, erst recht bei Unternehmern. Viele Erblasser halten größere Besitztümer selbst vor engsten Familienmitgliedern geheim.
Herr Roth, wenn ich etwas erbe, aber wenig über den Verstorbenen weiß – und daher keine Ahnung habe, was sich hinter der Erbschaft verbirgt. Was sollte ich tun?
Dann gibt es generell zwei Schwierigkeiten: Erstens weiß ich nicht, ob der Erblasser Verbindlichkeiten hatte, also Schulden. Und zweitens ist oft nicht klar, welche positiven Gegenstände zum Nachlass gehören. Selbst wenn der Erblasser aus dem engeren Familienkreis stammt, tauchen oft Vermögensgegenstände auf, die er bis dahin verborgen gehalten hat: Etwa das berühmte Konto in der Schweiz, von dem niemand etwas wusste. Oder die Eigentumswohnung in einer anderen Stadt, die der Belustigung diente. Das kommt häufiger vor, als man denkt. Es gilt auf jeden Fall, zügig herauszufinden, was alles dazugehört – sonst freuen sich Dritte, vor allem, wenn es um Auslandsimmobilien geht.
Und wie mache ich das? Muss ich das Arbeitszimmer des Verstorbenen umkrempeln oder einen Detektiv anheuern?
Je nach Lebenslage des Verstorbenen gibt es verschiedene Möglichkeiten: Die persönlichen Unterlagen verraten, ob es laufende Lebensversicherungsverträge gibt oder ruhende. Auch alte Kaufverträge findet man so meist. In früheren Testamenten, die bei den Gerichten hinterlegt sind, können weitere Vermögensgegenstände erwähnt worden sein. Notare halten in aktuellen Testamentsfassungen ohnehin gerne fest, was den Mandanten alles gehört. Grundsätzlich muss man eins und eins zusammenzählen und das Bauchgefühl sprechen lassen: Für einen 62-jährigen Unternehmer wäre es höchst ungewöhnlich, wenn er nicht zusätzlich fürs Alter vorgesorgt hätte. Also muss man suchen, bis man etwas gefunden hat. Über private und öffentliche Quellen, Notariate, Banken, Kontoauszüge, Steuerberater und alte Laptops findet man schon sehr viel. Notfalls hilft auch der Fachanwalt für Erbrecht bei der Ermittlung.
Was, wenn der Verstorbene höhere Schulden hatte?
Das ist der gefährlichste Fall, denn Verbindlichkeiten treten oft erst nach und nach zutage. Gönnerverhalten ist übrigens sehr oft auf Pump finanziert, da sind wir wieder bei der Wohnung zur Belustigung. Früher oder später taucht oft der Darlehensgeber auf, oder die Bank, die einen Kredit vergeben hat. Augenfälliger ist es, wenn schon ein Inkassobüro in Erscheinung getreten ist. Oder wenn das Finanzamt die Einkommensteuervorauszahlung angemahnt hat. Wenn man dann feststellt, dass die Vorauszahlungen über Jahre hinweg nicht geleistet worden sind, wird es wirklich gefährlich.
Was heißt das für die Erben? Müssen sie für die Schulden geradestehen?
Die Erben treten in die Verbindlichkeiten des Erblassers ein, so sagt es das Gesetz, aber: Es gibt eine Erbenhaftungsbeschränkung. Damit kann man die Ansprüche von Gläubigern auf den Nachlass beschränken, so bleibt das Privatvermögen des Erben also geschützt. Wer als Erbe nicht sicher ist, ob bei einer Erbschaft das positive Vermögen oder die Verbindlichkeiten überwiegen, der sollte unverzüglich Möglichkeiten zur Erbenhaftungsbeschränkung ergreifen. Droht der Nachlass, zahlungsunfähig zu sein, sollte man unverzüglich ein Nachlassinsolvenzverfahren einleiten. Allein schon, um sein eigenes Vermögen zu schützen. Ein Nachlassinsolvenzverfahren heißt nicht: Der Erbe ist insolvent – sondern das Insolvenzverfahren wird klären, ob der Nachlass in der Lage ist, die Verbindlichkeiten zu bedienen. Das ist so, als ob der Verstorbene noch zu Lebzeiten einen Insolvenzantrag gestellt hätte, weil Bank, Inkassobüro oder Finanzamt mehr Geld von ihm fordern, als er zahlen kann.
Welche Art von Schulden erleben Sie am häufigsten?
Der häufigste Fall sind Steuerverbindlichkeiten. Und bei Unternehmern geht es sehr häufig um Bürgschaften, die sie für andere geleistet haben. Oder sie haben privat die Schulden für betriebliche Kredite übernommen. Oft sind es auch viele kleine Posten, die sich auf erhebliche Summen addieren.
Ich hätte eher Immobilienkredite erwartet.
Immobilienkredite sind in der Regel voll werthaltig besichert. Die sind in der Regel nicht notleidend, denn die Immobilie dahinter hat ja einen Wert. Von den Immobilienkrediten wissen Angehörige auch meist, davon wird man selten überrascht.
Kann ich als Erbe solche Vermögensgegenstände versilbern, um die Schulden zu bedienen?
Nein, sobald Sie als Erbe erkennen, dass die sofort flüssigen Mittel aus dem Nachlass nicht ausreichen, um die aktuell fälligen Verbindlichkeiten zu bedienen, sind Sie verpflichtet, einen Nachlassinsolvenzantrag zu stellen. Und zwar ab dem Moment, in dem Sie es erkennen, oder erkennen können. Der Rest ist die Sache des Insolvenzverwalters, der dann vom Gericht bestellt wird. Er übernimmt das Verwerten der vorhandenen Vermögensgegenstände. Damit sind Sie als Erbe auch selber auf der sicheren Seite, etwa in diesem Fall: Sie haben eine verschuldete Immobilie und ein Wertpapierdepot im Wert von einer Million Euro geerbt, aber auch 300.000 Euro an weiteren Verbindlichkeiten. Um die Schulden zu bedienen, wollen Sie die Wertpapiere und die Immobilie veräußern. Doch bevor Ihnen das gelingt, brennt die Immobilie ab und ein Börsencrash dezimiert den Wert des Depots auf 200.000 Euro. In so einem Fall müssten Sie mit Ihrem Privatvermögen haften.
Ich müsste also das Geld nachschießen, das nun fehlt?
Ganz genau, das bedeutet es. Und so etwas kann schneller passieren, als man denkt. Gerade bei Erbengemeinschaften dauert es häufig länger, bis sie vollen Zugriff auf die Vermögensgegenstände erhalten. Da kann oft ein Schwebefall eintreten. Und was ist, wenn sich die Beteiligten nicht einig sind, das Wertpapierdepot aufzulösen, um die Schulden zu begleichen? Dann gilt der Nachlass als zahlungsunfähig, damit hat jeder Erbe die Pflicht, eigenes Geld nachzuschießen, um den Gläubigern den Schaden zu ersetzen – wenn zuvor kein Insolvenzantrag gestellt worden ist, um die Haftung der Erben zu begrenzen.
Sollte man also vorsichtshalber sofort einen Insolvenzantrag stellen, wenn man nicht sicher ist?
Nein, das nun auch nicht. Der Insolvenzantrag setzt ja voraus, dass die Zahlungsunfähigkeit eingetreten ist oder zumindest droht. Sie muss also erst einmal festgestellt werden. Erben haben aber die Pflicht, den Wert des Nachlasses permanent zu monitoren. Das ist zugegebenermaßen schwerer als man denkt: Wenn der Unternehmer etwa eine Witwe hinterlässt und zwei Kinder, von denen eines bereits aus dem Haus ist und das andere noch zu jung – dann hat oft niemand einen kompletten Überblick über die Finanzen. In der Regel bestehen Erbengemeinschaften aus Ehegatten und Kindern, und zu den Verbindlichkeiten des Erblassers kommt noch hinzu: Die Erben müssen die Erbschaftssteuer zahlen. Wir erleben etliche Fälle, bei denen der Insolvenzantrag gestellt werden muss, weil die Erbschaftssteuer nicht bezahlt werden kann.
Wie oft kommt das vor?
Zehn bis 20 Prozent der Fälle sind es bestimmt. Oder nehmen Sie den Pflichtteilsanspruch: Jemand hat zwei Kinder, eines davon enterbt er, dem anderen Kind überträgt er per Testament das Familieneigenheim. Dennoch muss das begünstigte Kind dem Geschwisterteil den Pflichtteil auszahlen. Allein das kann schon eine Insolvenzgefahr bergen, wenn dann ein Viertel des Hauswerts auszuzahlen ist – der kann in Städten wie München, Frankfurt oder Düsseldorf weit über einer Million Euro liegen.
Gibt es für Erben, die sich angesichts komplizierter Nachlässe überfordert fühlen, noch andere Möglichkeiten, das Erbe zu managen?
Denen empfehle ich gern die Nachlasstreuhandschaft. Ich hatte zum Beispiel den Fall eines 50-jährigen Unternehmers, der unerwartet verstarb. Er hielt viele Beteiligungen an Firmen, hatte etliche Darlehen und Bürgschaften übernommen. Keiner wusste genau, wie die finanziellen Verhältnisse waren. Oder ob das Unternehmen noch genügend Gewinne abwarf, oder nicht. Um die Familie aus der Schusslinie zu bringen, haben wir eine Gesellschaft gegründet und die übertragenen Erbteile in die Gesellschaft eingebracht. Damit waren die Familienmitglieder aus dem Risiko und ich als Anwalt konnte die Gesellschaft führen. Sobald der Nachlasstreuhänder dann die drohende Zahlungsunfähigkeit erkennt, kann er für Liquidität sorgen, indem er über die Gesellschaft ein Darlehen aufnimmt. Oder er kann Vergleiche mit den Gläubigern schließen. In solchen Fällen braucht man ein professionelles Management.
Wann sollte man besser ein Erbe ausschlagen?
Hier lasse ich mich zu der Aussage hinreißen: Ausschlagen ist immer falsch. Fast immer jedenfalls. Nur dort, wo sonnenklar ist, dass der Erblasser keine nennenswerten Vermögensgegenstände gehabt haben kann, aber hohe Schulden, sollte man das erwägen. Wenn beispielsweise jemand vor zehn Jahren ein Verbraucherinsolvenzverfahren abgeschlossen hat, seitdem Rentner ist und zum exzessiven Homeshopping auf Rechnung neigt. In allen anderen Fällen ist Ausschlagen selten die bessere Idee als die Erbschaft anzunehmen und passende Maßnahmen zur Haftungsbeschränkung zu ergreifen.
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