Daniel Saurenz betreibt das Investment- und Anlageportal Feingold Research. Der Journalist hat unter anderem für Börse Online und die Financial Times Deutschland geschrieben
Zeit kaufen. In dieser Disziplin sind sich die großen Führungspersönlichkeiten weltweit momentan sehr nahe. Ob Mario Draghi und Janet Yellen als Banker oder Angela Merkel als Kanzlerin, alle kaufen sich Zeit. Im Falle der EZB kommt gelegen, dass es momentan zwar brennt, aber niemand das Feuer sehen will – nämlich am italienischen Bankensektor.
Die EZB hält sich zurück und lockert ihre Geldpolitik nicht weiter. Das sorgte am Markt kurzzeitig für etwas Irritation, denn viele Investoren hatten zumindest eine Verlängerung des bisherigen Programms erwartet. Dabei weiß die EZB bald schon nicht mehr, was sie vom restlichen Geld der 1,7 Billionen kaufen soll. Der Anleihemarkt ist schon nahezu ausgetrocknet. Wie geht es also weiter am Zins- und Finanzmarkt?
Die Ausrichtung bis Jahresende dürfte klar sein - Mario Draghi will nicht das gesamte Pulver zu einem Zeitpunkt verschießen, zu dem sich die Märkte wieder einigermaßen beruhigt haben, was zuletzt vor allem die gesunkene Volatilität signalisierte. „Die EZB ist der Meinung, dass die aktuelle Geldpolitik für ausreichend Stimulierung sorgt, allerdings ist es fraglich, ob die EZB ihr Anleihenkaufprogramm aufgrund der zunehmenden Konjunkturrisiken im März 2017 beendet“, glaubt Klaus Bauknecht, Chef-Volkswirt der IKB Deutsche Industriebank. Dass die Zinsen im Keller bleiben, bezweifelt ohnehin niemand - und auch 2017 wird sich in Europa daran wohl nichts ändern.
Das gilt auch für die USA, denn Fed-Präsidentin Janet Yellen handelt weiter nach der Prämisse „alles kann – nichts muss“. Nach Einschätzung der US-Währungshüter ist die amerikanische Wirtschaft im Juli und August „moderat“ gewachsen. Eine Zinserhöhung auf der nächsten Sitzung am 21. September ist nach den zuletzt schwachen Konjunkturdaten aber nahezu vom Tisch, selbst für 2017 sind die Erwartungen deutlich gesunken.
Zwei schwierige Börsenmonate
Am Aktienmarkt kam Stützung zuletzt dank sinkender Vola und höherem Risiko ausgerechnet von Bankaktien wie Deutsche Bank oder Unicredit, dazu von den Auto-Titeln, die von guten Absatzzahlen in China profitieren. Wenig Begeisterung löste hingegen die Vorstellung von Apples iPhone 7 aus. Das neue Gerät sieht ähnlich aus wie die Vorgänger-Version, allerdings fällt die klassische Kopfhörerbuchse weg.
Dabei haben die zwei schwierigsten Börsenmonate gerade erst begonnen. Überraschenderweise weist der als Crashmonat bekannte Oktober insgesamt eine bessere Gesamtperformance auf als der September. Auf lange Sicht schafft es der Monat immer noch mit einem Turnaround sich in positives Terrain zu retten während der September im Schnitt im Minus landet – im Dow Jones über die letzten 100 Jahre übrigens als einziger Monat. Im Schnitt erleidet der Monat ein Minus von einem Prozent, daher spricht die Saisonalität für den September als schwierigster Börsenmonat.
Drei Firmen planen derweil Übernahmen. Bayer möchte den großen US-Saatguthersteller Monsanto übernehmen und hat sein Übernahmeangebot noch einmal aufgebessert. 127,50 US-Dollar werden nun geboten, aktuell steht der Aktienkurs von Monsanto bei knapp über 107 Dollar. Das wäre die größte Übernahme in der Geschichte von Bayer. In solchen historischen Dimensionen denkt derzeit auch Fresenius, die den spanischen Krankenhausbetreiber Quironsalud für 5,76 Mrd. Euro übernehmen wollen, ebenfalls eine Rekordübernahme für Fresenius.
Unsicherheitsfaktor US-Wahl
Und auch VW macht mit Übernahmegerüchten wieder positive Schlagzeilen. Nach einem Bericht des Wall Street Journal will der Automobilkonzern knapp 20 Prozent an dem Lkw-Hersteller Navistar aus den USA erwerben. Damit würde VW einen Fuß in den lukrativen US-Lkw-Markt bekommen.
All das könnte aber schon bald überlagert werden von zwei Fakten, die doch wieder für steigende Volatilität sprechen und die momentan noch keiner hören will: Zum einen könnte in den TV-Duellen Donald Trump noch näher an Hillary Clinton heranrücken, wenn man sich vor Augen führt, wie er seine republikanische Konkurrenz nahezu zerlegte. Das würde manchen sicher verunsichern. Dazu steht in Italien im November die Abstimmung über Matteo Renzis Reformpaket an. Scheitert es, wäre es ein schlechtes Signal für die Wahlen in Frankreich und Deutschland nächstes Jahr und könnte vor allem wieder für Unruhe in Italien, der Wirtschaft und damit im Bankensektor sorgen. Dann wäre man wieder bei der EZB und ihrem trockenen Pulver.
Mehr von Daniel Saurenz: Keine Zinsen? Kein Problem!, Falsches Spiel mit Strafzinsen, Verkaufen Sie alles! und Heißer Sommer an der Börse