Noch laufen die Maschinen der Industrie hierzulande weitgehend auf Hochtouren. Doch mehren sich an den Finanzmärkten die Stimmen, die fragen: Wie lange noch? Jüngste Konjunkturprognosen befeuern zudem gehörig diese Zweifel. Der Index des Wirtschaftsforschungsinstituts ZEW zeigt schon etwas länger nach unten, mehrere Monate in Folge ist er bereits gesunken. In seinem Ausblick auf den Monat Juli stellt das ZEW nun fest, der Konjunkturausblick verschlechtere sich erneut – und zwar deutlich. Mit minus 16 Punkten hat der Index den schlechtesten Wert seit 2012 erreicht. Sein langfristiger Durchschnitt liegt immerhin bei 23 Punkten im Plus.
Auch das Wirtschaftsforschungsinstitut Ifo – üblicherweise nicht für Pessimismus bekannt – schraubte seine Prognose für das laufende Jahr zuletzt deutlich zurück. Das Wachstum im Jahr 2018 werde nicht, wie gedacht 2,6 Prozent betragen, sondern nur 1,8 Prozent. Bereits das erste Halbjahr fiel schlechter aus als gedacht. Zudem sieht das Ifo „Gewitterwolken am deutschen Konjunkturhimmel“ aufziehen. Erwischt dieses Unwetter bald auch die Aktienanleger? Schließlich drehen traditionell bereits die Aktienkurse nach unten, bevor die Konjunktur es tut.
Eines scheint klar: Der Konjunkturzyklus ist zumindest in seiner Spätphase angekommen. Und das nicht nur hierzulande. Auch in der Eurozone trübe sich die Stimmung der Wirtschaft ein, warnt das ZEW. Für Amerika sei man derzeit ebenfalls skeptisch und entsprechend vorsichtig. Manche Ökonomen sehen die Vereinigten Staaten bereits kurz vor einer Überhitzung. Schließlich sei beinahe Vollbeschäftigung erreicht, die Inflationsgefahr steige zurzeit stark an. Und wenn künftig weitere Unternehmen ihre Niederlassungen und ihre Produktion in den USA ausbauen würden, so wie Präsident Donald Trump es ja anstrebt, könne die Inflation sprunghaft ansteigen und die Stimmung auch dort kippen. Dunkle Wolken ziehen also derzeit zur Genüge auf.
Spannende Übergangsphase für Anleger
Zudem entsprechen die derzeitigen Marktentwicklungen sehr genau den üblichen Schemata: Sieht man sich an, welche Stadien ein Konjunkturzyklus normalerweise durchläuft, so drehen in Phase vier üblicherweise die Anleihenkurse nach unten (so wie sie es inzwischen tun), die Zinsen steigen (was zumindest für Amerika bereits stimmt), während Aktien- sowie Rohstoffkurse noch eine Weile steigen. Genau in dieser Phase befinden wir uns derzeit. Die Aktienkurse bewegen sich nach wie vor auf hohem Niveau und seit einem Jahr steigen auch wieder die Rohstoffpreise merklich, auf Dreimonatssicht taten sie es erst recht.
Auf diese Phase vier folgt die Phase fünf: Da beginnen dann die Aktienkurse zu fallen, die Bondkurse fallen ebenfalls, nur die Rohstoffkurse steigen zunächst einmal weiter. Bevor auch sie in Phase sechs nach unten drehen. Spätestens dann befinden sich die Märkte mitten im Abschwung und alle Kurse fallen. So lange, bis wieder Phase eins einsetzt, die einen erneuten Konjunkturaufschwung ankündigt. Bereits vor der Konjunktur beginnen dann zuerst die Anleihenkurse wieder nach oben zu drehen, bevor in der nächsten Phase allmählich wieder alle Kurse beginnen zu steigen.
Von allen Phasen ist der Übergang von Phase vier zu fünf tatsächlich die aufregendste Zeit für Anleger. Denn zuerst steigen noch die Kurse aller Assetklassen – bis auf die Anleihen. Letzteres ignorieren viele Anleger vorerst, weil es sie wenig betrifft. Schließlich schielen die meisten Privatleute ohnehin nicht auf die zwischenzeitlichen Kursgewinne bei Anleihen, weil sie vielmehr aus den Zinszahlungen Erträge ziehen und das vorzeitige Verkaufen der Bonds meist so hohe Nebenkosten verursacht, dass es sich nicht lohnt. Daher halten Privatsparer meist ihre Anleihen bis zum Laufzeitende, bis der Nominalwert der Bonds wieder ausgezahlt wird. Da aber das Abknicken der Anleihenkurse auch bereits ein späteres Absinken der Aktienkurse andeutet und damit letztlich den Konjunkturabschwung einläutet, sollte man als Investor bereits diese Phase nutzen, um sich auf die Folgephasen einzustellen. Damit der Abschwung das eigene Depot nicht zu unerwartet trifft.
Nur Tech-Aktien sorgen noch für steigende Kurse
Kündigt sich der Abwärtsdrall also an? Manche Analysten meinen, ja, das tut er. Noch befinden sich die Aktienkurse zwar grob gesehen im Aufwärtsdrall, aber seit dem Herbst 2017 laufe der Deutsche Aktienindex Dax nur noch seitwärts. Schaut man genau hin, sind es hauptsächlich die Tech-Aktien, die derzeit noch für insgesamt steigende Kurse im Index sorgen, während vor allem die defensiveren Werte bereits schwächer laufen. Auch das gilt als Zeichen für einen nahenden Abschwung. Manche Marktbeobachter fühlen sich derzeit sogar ans Jahr 1999 erinnert. Da konnte man genau diese Entwicklung ebenfalls deutlich beobachten: Den enormen Anstieg der Tech-Werte, während viele übrige Aktien sich schon nach unten abgekoppelt hatten. Kurz danach riss der Dotcomcrash auch die Wachstumsaktien und vor allem die Technologiewerte in die Tiefe.
Nun muss es nicht gleich zu einem ähnlichen Marktbeben kommen wie damals. Die meisten Analysten rechnen eher mit einem moderaten Abschwung – sofern keine größeren Verwerfungen durch massive wirtschaftliche oder politische Krisen passieren. Aber dass die Finanzwelt nicht ewig in der Phase vier verharren wird, ist auch diesmal klar. Was also tun Privatanleger jetzt am besten? Wenn sie ihr Depot neu ausbalanciert haben , um den Aktien- und Anleihenanteil wieder in ein stabileres Verhältnis zu bringen, dann sollten sie sich nun den Aktienanteil im Depot ansehen. Wer Kurzfristanleger ist, der kann sich auch fragen, ob er noch ein wenig Kapital in Rohstoffe investieren mag. Denn die werden wohl noch eine Weile gut laufen, selbst wenn Bonds und Aktien bereits fallen bevor auch sie nach unten drehen – wenn sich die Märkte an den üblichen Zyklus halten.
Wie also sieht der Aktienanteil zurzeit aus? Besteht er vorwiegend aus breit gestreuten, aktiv gemanagten Aktienfonds, weil man Langfristanleger ist? Dann muss man hoffen, dass der Fondsmanager nun die Arbeit macht und von Wachstumsaktien in defensivere Papiere umschichtet. Besteht der Aktienteil vorwiegend aus Indexfonds (ETFs), weil man als Langfristanleger die Dinge selbst in die Hand genommen hat, gilt eher die Devise: „Augen zu und durch“, also: Abwarten und Ruhe bewahren. Stecken dagegen auch viele Einzelaktien oder Spezialfonds im Depot, mit denen man auf kürzere Sicht Kursgewinne einzufahren plante, dann sollte man jetzt darüber nachdenken, diese entstandenen Gewinne mitzunehmen und stattdessen Cash zu halten. Oder zumindest Stopp-Kurse zu setzen und die bestehenden Stopp-Loss-Marken, die man vor Monaten gesetzt hat, nach oben anzupassen. Damit verkauft man erst einmal nichts, aber es geschieht automatisch, sobald der Abschwung einsetzt.
In defensive Titel investieren
Gegebenenfalls kann man auch neue Gewinne generieren, die Formel dafür heißt: Tech-Werte und Wachstumsaktien jetzt lieber verkaufen und defensive Titel zukaufen. Warren Buffet wurde einst belächelt, als er das 1999 tat und auch danach. Die Geschichte gab ihm später Recht. Denn gerade die derzeit unterbewerteten Standardwerte sind noch immer einen Kauf wert. Eine Reihe von Blue-Chips im Dax notiert derzeit unter der 200-Tage-Linie. Das heißt: Sie laufen derzeit dem langfristigen Trend hinterher und eigenen sich daher zum Kauf auch auf kurze Sicht. Der Gesamt-Dax dagegen lag zuletzt meist über der Durchschnittslinie.
Setzt ein früher Bärenmarkt ein, dann sind Anleger mit Aktien aus dem Bereich Nahrung, Getränke, Kosmetika und Gesundheit (also Pharma, Biotech und Medizintechnik) gut beraten. Sie entwickeln sich im Vergleich am stabilsten in solchen Phasen. Später dann sind es die Versorgeraktien von Strom-, Wasser- oder Telefonanbietern. Und schaut man sich die aktuellen Kurse an, dann sind es tatsächlich die Aktien von Merck, Bayer, Fresenius und Henkel, die sich im Gegensatz zu den anderen auf Jahressicht am schwächsten entwickelt haben, viel schwächer als der Gesamt-Dax – deshalb könnten sie noch Nachholpotenzial bergen, so lange der Aufschwung läuft.
Auch der Vergleich mit der 200-Tage-Linie zeigt: Bayer, Merck, Henkel, Osram und Metro werden zurzeit günstiger an den Börsen gehandelt als es ihrem längerfristigen Kurstrend entspricht. Osram ist dabei allerdings extrem hoch bewertet mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von 33. Wer aber zum Beispiel auf Metro oder Bayer setzt, der kann sich selbst dann, wenn tatsächlich der Abschwung eintritt, damit trösten, dass sie immerhin eine Dividendenrendite von zurzeit knapp drei oder über vier Prozent versprechen. Damit kann man schon einmal einen zwischenzeitlichen Börsenknick aussitzen. Wenn er denn kommt.