Fondsmanager sind auch nur Menschen und beileibe keine besseren Anleger als viele Normalsparer. Zumindest erliegen auch sie Emotionen wie Hoffnung und Gier und setzen bisweilen riskant hohe Summen auf Einzelaktien, mit denen sie im Ernstfall dann hohe Verluste erleiden. Wenigstens dieser Trost bleibt nach der Pleite des Zahlungsdienstleisters Wirecard. Der hat nämlich eines sehr deutlich gezeigt: Viele deutsche Fondsmanager hatten bis zuletzt noch auf die stark schwankende Aktie gesetzt, weil sie sich davon überproportionale Gewinne erhofft hatten. Obwohl die Warnungen immer lauter wurden. Und sogar weit über jenes Maß hinaus, das laut Kapitalanlagegesetzbuch bei der Streuung des Fondsvermögens vorgeschrieben und einzuhalten ist. Oder besser gesagt: eigentlich eingehalten werden sollte. Denn die Worte des Gesetzes sind eine Sache – doch wie sie von Fondsmanagern und Aufsichtsbehörden ausgelegt werden, ist offenbar eine ganz andere Sache.
Seit es den Kurs der Aktie zerlegt hat von 104 Euro auf 2,39 Euro, fühlten sich nämlich auch einige Fondsgesellschaften bemüßigt, ihre Zahlen zum Wirecard-Investment auf den Tisch zu legen. Und die sahen in Einzelfällen wirklich nicht gut aus, sie wiesen ein dickes Minus in mehrstelliger Millionenhöhe aus. Die Fondsgesellschaft DWS etwa, die in mehreren Flaggschifffonds dicke Wirecard-Aktienpakete hielt, büßte bei ihren Fonds zwei bis drei Prozentpunkte Rendite auf Jahresbasis ein, weil sie sich noch im Frühjahr größere Aktienpakete ins Portfolio gelegt hat. Das ist eine Menge: So machte der DWS Deutschland Fonds auf Jahressicht rund minus 3 Prozent Rendite, während der Dax um 0,4 Prozent zulegte. Auf Dreijahressicht steht der Fonds bei minus 5,8 Prozent, der Dax ist rund 0,8 Prozent im Plus.
Vor dem Hintergrund jener Informationen, die Branchendienste und Ratingagenturen zum Exposure von Fondsgesellschaften zusammengetragen haben, sollten Anleger nun erst recht hellhörig werden: Es waren nämlich nicht nur die Aktien von Wirecard, die in den Depots der DWS lagen und zwar bis zu jenem vorgeschriebenen Limit von 10 Prozent des Fondsvermögens. Sondern sie hatte zusätzlich Tracker Zertifikate auf die Wirecard-Aktie von der Schweizer Bank UBS im Bestand – und setzte damit insgesamt noch viel stärker auf den Dax-Konzern als es die Zahlen in den regelmäßigen Fondsberichten auf den ersten Blick vermuten ließen. Insgesamt war der DWS Deutschland – der immerhin drittgrößte Fonds für deutsche Aktien in Europa – mit rund 12,5 Prozent in Wirecard investiert, berichten der Branchendienst Finanzszene und die Ratingagentur Morningstar . Obwohl das Kapitalanlagegegesetzbuch (KAGB) für Fonds die magische Obergrenze von 10 Prozent pro Einzeltitel setzt.
Die Regeln werden gedehnt
Denn in den Gesetzen und Fondsrichtlinien heißt es: Maximal 10 Prozent des Fondsvermögens dürfen in Aktien jeweils eines Unternehmens investiert sein. Zudem dürfen alle Positionen, die über fünf Prozent liegen gemeinsam nicht mehr als 40 Prozent des Fondsvermögens ausmachen. Das ist die sogenannte 5-10-40-Regel der Branche. Sie soll eben jene Unwucht in Fonds vermeiden, die durch das übermäßige Wetten auf einzelne Titel entsteht. Und die am Ende für Anleger ein großes Risiko bergen, wie der Kollaps von Wirecard gezeigt hat. Auch – und gerade - Fondsmanager sollen also zum Diversifizieren gezwungen werden. Denn laut dieser Regel müssen mindestens 16 verschiedene Positionen in einem Aktienfonds stecken: vier von maximal 10 Prozent und 12 von über 5 Prozent. Zudem heißt es in der Derivateverordnung: „Bei der Berechnung der Auslastung der Anlagegrenzen sind Derivate einzubeziehen.“
Heißt das nun, dass sich Fondsgesellschaften über diese Regeln hinwegsetzen, wenn sie sich zusätzlich zu den Einzeltiteln noch sogenannte 1:1-Derivate auf dieselben Einzelaktien in die Depots legen? Dazu hat die Ratingagentur Morningstar bei der Finanzaufsicht eine Stellungnahme eingeholt. Mit verblüffendem Ergebnis: Laut deren „ständiger Verwaltungspraxis“ seien nämlich 1:1-Zertifikate „weder Derivate, noch Finanzinstrumente mit derivativer Komponente“, erhielt Morningstar als Antwort. Sondern es seien schlichte Wertpapiere. Was im Klartext heißt: Die Finanzaufsicht schaut bei den Zertifikaten nicht auf die zugrundeliegende Aktie (in diesem Fall Wirecard), sondern nur auf den Emittenten des Zertifikats (in diesem Fall die Schweizer Bank UBS). So gesehen war hier der Risikostreuung Genüge getan, weil es sich bei beiden um verschiedene Parteien handelte.
Ob diese Verwaltungspraxis sinnvoll ist, darüber kann man natürlich streiten. Und wird es gewiss in den kommenden Monaten auch noch tun müssen. Denn eines ist klar: Dies wird nicht der einzige Fall gewesen sein, in dem Fondsmanager die Grenzen des Anlagegesetzes derart gedehnt haben. Und aus den regelmäßigen Berichten der Fonds ist für Privatanleger kaum zu erkennen, welche Basiswerte den Zertifikaten im Einzelfall zugrunde liegen und wie viele 1:1-Zertifikate jeweils darunter sind. Es braucht schon akribische Datensammlungen dafür. Die könnte sich die Aufsichtsbehörde Bafin immerhin vorlegen lassen und regelmäßig auswerten. Schließlich ist sie laut Statuten ebenso dem Verbraucherschutz verpflichtet wie der Marktüberwachung. Auch wenn das gern nur am Rande erwähnt wird.
Ein Fazit daraus hat die Ratingagentur Morningstar gezogen: Sie hat die betreffenden Fonds dadurch abgestraft, dass sie deren Rating herabgesetzt hat. Denn in ihren Augen beweist die Ausdehnung der Grenzen ein sehr schwaches Risikomanagement der jeweiligen Investmenthäuser.
Auf die Streuung kommt es an
Und was könnten Privatanleger tun? Sie sollten sich vor allem an einen alten Grundsatz beim Investieren erinnern: streuen, streuen und nochmals streuen. Also nicht einfach auf einen großen und bekannten Aktivfonds setzen und hoffen, dass das schon gut geht. Denn bei Aktivfonds trägt der Sparer nicht nur das Marktrisiko, sondern auch das Managementrisiko – wenn sich der Fondsmanager im Nachhinein als zu wagemutig herausstellt. Gerade bei Aktivfonds sollte man sich also nicht einfach darauf verlassen, dass die Aktienmischung in den Fonds schon passen wird – und dass ein Deutschlandfonds schon das hiesige Aktienuniversum gut abdeckt. Denn durch die gezielte Auswahl und Übergewichtung einzelner Aktien wollen die Fondsmanager schließlich Überrenditen erzielen, die sie vom Markt abheben.
Das kann gutgehen – muss es aber nicht. Das beweist gerade der Blick auf die Performance sehr deutlich: Auf Dreijahressicht klafft das Feld der Deutschland-Aktienfonds bereits deutlich auseinander. Während die Besten 27 Prozent Plus machten, fuhren die Schlechtesten 25 Prozent Minus ein. Der Median liegt bei minus vier Prozent. Der DWS Deutschland landete übrigens bei rund minus sechs Prozent.
Auf Zehnjahressicht sind die Zahlen noch dramatischer: Während die besten Deutschlandfonds rund 200 Prozent Plus machten, brachten die Schlechtesten gerade einmal 41 Prozent. Der Mittelwert liegt hier bei rund 100 Prozent. Man kann diese Zahlen ebenso für amerikanische, europäische, internationale und branchenbezogene Aktienfonds durchspielen. Bei amerikanischen Aktien etwa spaltet sich das Feld noch viel weiter auf: Die Besten schafften auf zehn Jahre 500 Prozent Plus, die Schlechtesten machten knapp 100 Prozent Minusrendite. Wer will da also sicher sein, dass der eigene Fondsmanager auch in zehn Jahren noch zu den Topanlegern gehört und nicht zu den Letzten in der Liste? Im Median waren es hier immerhin rund 200 Prozent.
Diversifikation ist kein Allheilmittel
Man müsste sich also mal dringend fragen, ob es nicht clever wäre, mehr auf diese Mittelwerte zu setzen. Zumindest sollte man nicht nur Aktivfonds halten, sondern auch Passivfonds im Depot haben, die notfalls die Rendite retten, wenn der nächste Fondsmanager mit einer gewagten Einzelwertwette baden geht. Der Fall Wirecard zeigt mal wieder, dass niemand weiß, an welcher Ecke des Kapitalmarktes mit dem nächsten Einbruch zu rechnen ist. Die Corona-Krise macht es nun noch schwieriger abzuschätzen, zu welchen Folgen die Rezession der Wirtschaft noch führen wird: Welche Unternehmen könnten in den kommenden Jahren in eine Schieflage geraten? Und welche kommen dagegen zügig aus der Krise? Oder welche wachsen gar unbeirrt bis 2030 weiter? Es gibt keinen Fondsmanager, der das wirklich verlässlich einschätzen kann. Im Grunde genommen schließen alle nur Wetten auf die Zukunft ab.
Wer sich dagegen wirklich sicherer aufstellen will, der sollte also vor allem breiter investieren in der kommenden Zeit. Und laut Umfrage der Investmentgesellschaft Columbia Threadneedle planen das ja auch viele. Derzeit bedauert rund die Hälfte der Privatanleger nach eigenen Aussagen, sich zuletzt zu wenig abgesichert und zu kurzfristig gedacht zu haben. Und immerhin knapp jeder Dritte hat sich demnach vorgenommen, besser zu diversifizieren. Das hieße aber nicht nur breiter über Branchen und Länder, sondern auch über verschiedene Assetklassen. Sie alle müssten also neben den Aktienfonds auch Anleihenfonds oder Mischfonds in Betracht ziehen, die es jeweils auch in Form von Indexfonds gibt. Auch Immobilieninvestments gehören dazu, wenn man breit denken will.
Eines sei klar gesagt: Auch Diversifikation ist natürlich kein Allheilmittel. Und sie schützt nicht vor Verlusten, wenn der Markt kracht. Sie kann diese höchstens abmildern. Aber sie bewahrt zumindest vor dem Übermut einzelner weniger Marktteilnehmer, die einen sonst im Ernstfall tief mit in die Krise reißen. Weil man mit einem breit aufgestellten Portfolio immer auch auf sehr viele andere Unternehmen, Fondsmanager oder Länderindizes setzt. Oder wie Altmeister Warren Buffet so schön sagte: „Diversifikation ist eine Vorsichtsmaßnahme gegen Ignoranz.“ Denn zumindest das konnten Privatanleger wie Fondsmanager schon immer gleich gut: Von den großen Gewinnen mit Einzelaktien träumen, indem sie die Zahlen der Vergangenheit einfach in die Zukunft fortschrieben. Und die großen Gefahren und Risiken dabei einfach ignorieren.
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