Wenn die Aktienmärkte einbrechen, berichten auch börsenferne Medien über die Kurskapriolen. Kaum Beachtung findet dagegen die seit Monaten anhaltende Talfahrt am Rentenmarkt. Eine Chance, die sich Anleger nicht entgehen lassen sollten.
Bis vor wenigen Wochen war das Börsenjahr 2023 ungewöhnlich schwankungsarm. Erst seit rund zwei Monaten kommen die Kurse wieder zurück, in der Spitze verlor der Dax ausgehend von seinem Rekordhoch im Spätsommer knapp zehn Prozent. „Historisch betrachtet ist eine solche Korrektur eher gering, im langjährigen Durchschnitt fällt der Markt in der Regel um rund 17 Prozent“, sagt Jürgen Molnar vom Broker Robomarkets. Anleger waren bei Robomarkets daher in den vergangenen Wochen sogar eher pessimistisch gestimmt, was die Grundlage für eine Jahresendrally bei Aktien sein könnte.
Musik machen die Zinsen
Verglichen mit der Situation an den Anleihemärkten ist der Rückgang bei Aktien ohnehin kaum der Rede wert. Viele Anleger haben Anleihen wegen der eher geringen Schwankungen nur selten auf dem Schirm. Als sicherer Hafen gilt die Anlageklasse oft als langweilig. Doch die Realität sieht anders aus. „Zehnjährige Anleihen sind seit ihrem Höchststand im März 2020 um 46 Prozent gefallen, 30-jährige um mehr als 53 Prozent“, so Salah Eddine-Bouhmidi vom Broker IG.
Zur Einordnung: Der aktuelle Absturz hat bereits ähnliche Dimensionen erreicht wie die größten Marktzusammenbrüche in der US-Geschichte. Dazu zählt der Crash von rund 50 Prozent bei US-Aktien nach dem Platzen der Dotcom-Blase um die Jahrhundertwende. „Inzwischen sind die Verluste bei langlaufenden Schuldtiteln mehr als doppelt so hoch wie beim nächstgrößten Crash 1981, Fed-Chef Paul Volcker mit einer ebenfalls sehr straffen Geldpolitik die Inflation bekämpfte und die zehnjährige Rendite auf knapp 16 Prozent trieb“, so Stefan Riße, Kapitalmarktexperte bei Acatis.
Die magische Fünf
Noch vor wenigen Wochen galt es an den Märkten als ausgemachte Sache, dass zehnjährige Anleihen nie wieder mit fünf Prozent rentieren würden. Alle gingen davon aus, dass es nach der globalen Finanzkrise und den massiven Liquiditätsspitzen im Zuge des Coronaschocks ein ewiges Niedrigzinsumfeld geben würde. Wie so oft geht der Markt den Weg des größten Schmerzes. Dabei wird der Renditeanstieg von mehreren Faktoren getrieben. Anders als in den vergangenen Jahrzehnten senkt die US-Notenbank trotz erster konjunktureller Schwächesignale die Zinsen nicht, sondern konzentriert sich weiterhin auf die Inflationsbekämpfung. Da der Arbeitsmarkt überraschend robust ist, kann sie länger als üblich an ihrem Straffungskurs festhalten.
Zudem leiht sich der US-Staat derzeit viel Geld, um seine teuren Infrastrukturprogramme zu finanzieren. Steigt das Angebot an Anleihen, verlangen Investoren höhere Zinsen. „Anders als in den vergangenen Jahren kauft auch die Fed nicht mehr massiv Schuldtitel und fällt als Nachfrager aus“, sagt Robomarkets-Experte Molnar. Hinzu kommt, dass China seine Wertpapierbestände abbaut und auch die schwelenden Ängste vor einer Herabstufung der Kreditwürdigkeit der USA wenig hilfreich sind.
Anleihen zertrümmert
Vor diesem Hintergrund ist der Einbruch an den Anleihemärkten kaum mehr überraschend. Fakt ist aber auch, dass inzwischen viele negative Faktoren eingepreist sein dürften. Schlimmer kann es kaum noch kommen. Die Inflation wird weiter sinken und damit auch der Druck auf die Notenbanker. Zudem zeigt ein Blick in den Rückspiegel, dass auf fast jede geldpolitische Straffung eine Rezession oder zumindest eine spürbare konjunkturelle Abkühlung folgte.
In Deutschland haben wir in Teilen der Wirtschaft bereits rezessive Zustände. Es dürfte daher nur eine Frage der Zeit sein, bis die Notenbanken mit Zinssenkungen auf einen Abschwung reagieren. Der Rentenmarkt wird darauf frühzeitig reagieren und die Renditen dürften spürbar sinken. Sollte die Konjunktur stärker leiden, käme auch eine 180-Grad-Wende der Notenbanken – sprich neue Anleihekaufprogramme – nicht überraschend. Fünfjährige US-Anleihen mit nahezu sicheren fünf Prozent Zinsen oder Unternehmensanleihen, die sieben Prozent abwerfen, sind daher eine seltene Chance für Anleger.