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Finanzmärkte Coronavirus und Rekordschulden – wer kriegt demnächst die Krise?

Leere Geschäfte: Apple muss wegen Coronavirus-Epidemie Umsatzeinbußen in China hinnehmen
Leere Geschäfte: Apple muss wegen Coronavirus-Epidemie Umsatzeinbußen in China hinnehmen
© Getty Images
Nicht nur die weltweiten Staatsschulden wachsen, sondern auch die Kredite von Unternehmen, die kaum noch wettbewerbsfähig sind. Das könnte zu einer toxischen Mischung werden, wenn das Coronavirus die Weltwirtschaft schwächt

Aus der Nähe betrachtet ist derzeit alles im grünen Bereich: Die Börsenkurse jedenfalls sind es, sie stehen sie legen kräftig zu. Der Dax pendelt um seinen jüngsten Höchststand von 13.800 Punkten herum. Auch wenn er zum Ende der Woche hin kurzfristig um 200 Punkte nach unten wegsackte. Aber scheint er nicht eher Anlauf zu nehmen, bald die 14.000er-Marke in Angriff zu nehmen? Auch der amerikanische S&P 500 und der MSCI World kletterten auf Monatssicht weiter bergauf.

Das Wirtschaftswachstum in Europa und Amerika geht auch weiter. Die USA legten zudem jüngst Zahlen vor, die weitere Hoffnung auf Gewinne schüren. Und überhaupt heißt es ja, Wahljahre seien in Amerika stets gute Jahre. Wo also ist das Problem? Das Problem könnte sich tatsächlich gerade am anderen Ende der Welt zusammenbrauen. Und das kurzzeitige Wegknicken des Dax am Freitagmorgen war vielleicht ein erstes Anzeichen dafür.

Denn wenn es zurzeit – angesichts der allgemein guten Stimmung – etwas gibt, was das Zeug dazu hat, die gut laufenden Börsen so richtig nervös zu machen, dann sind es zwei Dinge: Zuerst einmal das Coronavirus, das noch immer in China grassiert. Inzwischen hat es rund 80.000 Menschen infiziert und 2000 das Leben gekostet. Und nun zeigt es tatsächlich erste Auswirkungen auch auf den Rest der Welt: Die Gewinnwarnung des Technologiegiganten Apple war ein deutliches Zeichen dafür. Zuvor hatten sich eher kleinere und mittelgroße Konsumartikelhersteller Sorgen gemacht, dass ihr Absatz in Asien einbrechen könnte, wie Burberry, Adidas oder Nike. Nun stutzt bereits das zweitgrößte Unternehmen der Welt – nach Börsenkapitalisierung liegt Apple ja neuerdings hinter Saudi Aramco – wegen Corona seine Geschäftsaussichten. Und es wird natürlich bei weitem nicht die einzige Firma sein, die leidet.

Hierzulande dürfte es vor allem die Branche der Autobauer und Chip- oder Halbleiterhersteller treffen. VW und BMW etwa fahren rund ein Drittel ihres Umsatzes in China ein. Infineon ebenso. Bei Dialog Semiconductor entfallen sogar 71 Prozent des Absatzes auf die Volksrepublik. Und die ersten Lieferprobleme oder Ausfälle von Lieferanten spüren viele Firmen schon, seit in China die Bänder stillstehen. Weltweit brechen die Frachtraten ein, Container stecken fest, Teile für die Produktion fehlen. Sogar Medikamente. Zurzeit rechnen Ökonomen daher mit dem schwächsten Wachstumsszenario seit Ende der Finanzkrise 2009.

Und nun kommt noch ein zweiter Faktor dazu, der nachdenklich stimmen sollte: Der wachsende Schuldenberg der Welt nämlich. Die Schulden der Staaten schwellen nämlich unaufhörlich an. Vor allem befeuert durch die Niedrig- und Negativzinsen, die das Aufnehmen von frischem Geld am Kapitalmarkt so billig machen wie noch nie. Dadurch hat die globale Staatsverschuldung eine noch nie dagewesene Rekordsumme erreicht:

Mit insgesamt 53 Billionen US-Dollar sind allein die Regierungen rund um den Globus zurzeit bei jeweils ausländischen Investoren verschuldet. Das sind fünf Prozent mehr als noch im Jahr zuvor. 8,1 Billion Dollar nehmen die Staaten zusammen in diesem Jahr an neuen Schulden auf. Diese Summe stieg sogar um 21 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Und es ist dabei nicht so, dass sich nun alle Länder gleichermaßen stärker verschulden, so weisen es die aktuellen Zahlen der Ratingagentur Standard & Poor’s aus. Sondern es leihen sich ausgerechnet diejenigen mehr frisches Geld, die ohnehin schon die weltweit größten Schuldner sind, allen voran Amerika und Japan. Diese beiden nehmen zusammen 60 Prozent der Neuschulden auf. Weitere rund 20 Prozent gehen auf das Konto von China, Großbritannien, Brasilien und Frankreich. Auch die Schwellenländer saugen so viel Geld wie nie auf den internationalen Kapitalmärkten ein.

Nun kann man sich all das schönreden und argumentieren: Das sei alles gar nicht so schlimm. Schließlich bestünde der Großteil dieser 8 Billionen Dollar Neuschulden gar nicht aus zusätzlichen Krediten, die sich die Länder noch aufhalsen. Sondern sie legten bloß neue Staatsanleihen auf, um damit Altschulden zu tilgen. Was natürlich angesichts der niedrigeren Zinsen clever ist. Dieses Umschulden zum günstigeren Zinssatz kennt man ja auch von Konsumenten- oder Immobilienkrediten. Nur 2,27 Billionen Dollar der Weltgesamtschulden sind wirklich Kredite, die es vorher nicht gab. Die also auf die gut 50 Billionen Dollar noch zusätzlich obendrauf gepackt werden. Sie entsprächen etwa drei Prozent der gesamten Weltwirtschaftsleistung. Und das ist etwas weniger als noch 2019. Soweit so gut.

Das Anleihenrisiko

Trotzdem darf all das nicht darüber hinwegtäuschen, dass die 53 Billionen Dollar Gesamtschulden 60 Prozent der Weltwirtschaftsleistung entsprechen. Damit liegt die globale Staatsschuldenquote nun genau an der Schwelle, wo die EU-Länder sie als Maximalverschuldung gedeckelt haben. Und während die guten Schuldner, also die Triple-A-Länder (wie Deutschland, Australien, Kanada, Schweiz, Dänemark, Niederlande und Schweden) die Minizinsen wirklich dazu benutzen, ihre Kreditberge abzutragen, laden sich die schlechten Schuldner noch höhere Lasten auf, die Staaten mit AA-Rating nämlich, die USA, Japan und Großbritannien, diejenigen mit B-Rating ebenso. Und gerade bei den schlechten Schuldnern beträgt die Kreditlast damit nicht mehr rund 40 Prozent der Wirtschaftskraft, wie zuvor, sondern inzwischen 50 Prozent.

Zudem warnen Analysten, dass die offiziellen Staatsschuldenhöhen in manchen Staaten nur schwer einzuschätzen seien. Das gilt vor allem für China, wo Lokal- und Provinzregierungen ebenfalls Schulden aufnehmen, die aber von außen kaum zu erfassen sind und daher nicht in die Statistiken eingehen. Ein Großteil der chinesischen Kredite wird nämlich an den Banken vorbei vergeben. Sie werden finanziert über ein System an Schattenbanken, warnen die Experten von S&P-Global Ratings. Und über Vermögensverwaltungsprodukte, die an die Bevölkerung ausgegeben werden. Auch die Immobilienmärkte gelten als überhitzt. Den Banken und Investoren kann man daher nur wünschen, dass sie die Wirtschaftsdelle durch das Coronavirus unbeschadet überstehen, sonst nämlich steigt in China das Risiko am Anleihenmarkt beträchtlich.

Diese Mahnung muss man nun doppelt ernst nehmen. Denn weil hier eben beide Risiken zusammentreffen, die hohe Verschuldung einerseits und die Gefahr eines coronabedingten Wirtschaftsabschwungs andererseits, hätte eine Krise, die sich dadurch ergibt, tatsächlich das Potenzial, sich um die ganze Welt auszubreiten. Hinterließe das Virus also tatsächlich tiefere Spuren in der chinesischen Ökonomie, könnte die Zahl der ausfallenden chinesischen Anleihen groß sein. Und das würde alle Investoren treffen, die der Volksrepublik größere Summen geliehen haben.

Zwar ist China im Ausland nicht allzu üppig verschuldet, es würde also vornehmlich die eigenen Bürger treffen, doch die Volksrepublik selbst ist wiederum der größte Geldgeber für die USA: Sie hält das Gros der US-Staatsanleihen. Man müsste also außerdem hoffen, dass der Staat die US-Bonds im eigenen Krisenfalle weiter behielte und nicht massenhaft auf den Markt würfe. Sonst nämlich würde sich eine Krise, die auf den Anleihemärkten ihren Ursprung nähme, um die ganze Welt fressen.

Pleitewelle bei Hochzinsanleihen

Die amerikanischen Staatsanleihen nämlich liegen in vielen Investorendepots vor allem auch in denen von Europas Banken. Zudem haben sich beiderseits des Atlantiks auch immer mehr Unternehmen verschuldet, die sich das eigentlich gar nicht leisten könnten, so warnen Anleiheexperten schon lange. Viele bonitätsschwache Firmen haben die Minizinsen ebenfalls genutzt, um sich mit Kapital vollzusaugen und sich so künstlich am Leben zu halten, obwohl sie vielleicht längst nicht mehr wettbewerbsfähig sind. Denn sie hätten damit nicht ihre Leistungsfähigkeit gesteigert, sondern nur ihre Schuldenquoten erhöht. Zombiefirmen nennt die Finanzbranche sie. Und sie sind samt ihrer Anleihen bei den Investoren dennoch beliebt, weil sie vergleichsweise üppige Zinsen zahlen.

Solche Hochzinsanleihen, sogenannte Junk-Bonds haben viele Kapitalanlagegesellschaften in Nullzinszeiten reichlich und dankbar aufgekauft. Daher nehmen sie inzwischen einen immer größeren Anteil im Anleihensektor ein: Noch 2009 lag der Prozentsatz der hochspekulativen Werte bei den Anleihen bei unter 5 Prozent, heute dagegen sind es schon rund 15 Prozent. Zudem ist die Verschuldung der bonitätsschwachen Firmen deutlich gestiegen. Vor zehn Jahren standen sie im Schnitt noch mit drei Jahresgewinnen (vor Steuern und Abschreibungen) in der Kreide, heute sind es fünf Jahresgewinne.

Deshalb warnen Experten der Ratingagentur Moody´s eindringlich: Eine Wirtschaftskrise könnte auch zu einer großen Pleitewelle bei den Hochzinsanleihen führen. Selbst wenn es nur eine milde Rezession gäbe, würden die Ausfallraten in diesem Bereich wohl höher sein als bei der Finanzkrise 2008 und beim Dotcom-Crash 2001. Jedes sechste Papier könnte dann betroffen sein, schätzt Moody´s. Vor allem in der Auto-, Chemie- und Industriebranche lauerten Gefahren.

Experten warnen vor Anleihen-Crash

Warum die Gefahr weiter steigt? Weil Zentralbanken zurzeit nur ein Gegenmittel gegen all diese Risiken kennen, oder zumindest anwenden: Sie fluten den Markt mit noch mehr Geld. Die chinesische Zentralbank hat es gerade getan. Die amerikanische Fed könnte ihre Zinsen angesichts der eingetrübten Lage auch noch einmal senken. Nur für die EZB würde es dann eng. Sie könnte aber immerhin noch mehr Anleihen kaufen und dadurch ihre Bilanz weiter aufblähen als ohnehin schon. Das würde die Märkte dann noch weiterhin gefährlich befeuern. Und was würden die Anleger tun? Sie würden nachkaufen, darauf sind viele Investoren und automatische Handelsprogramme programmiert: Sobald es eine Delle gibt – nachkaufen, denn die Kurse werden ja bald wieder steigen.

Genau das führt momentan eben dazu, dass die Kurse weiter nach oben streben. Nun muss man auch nicht gleich in Panik verfallen, aber spätestens jetzt sollte man sich die Einschätzungen zweier Branchengrößen zu Herzen nehmen, die von Mohamed El-Erian, dem Ex-Pimco-Vorstand , der jetzt die Allianz berät und ganz klar sagt: Wenn der Weltfinanz das Platzen einer Blase droht, dann ist es die bei den Staatsschulden, also im Anleihenbereich. Und ferner den jüngsten Ratschlag von JP Morgan Chef Jamie Dimon, der sagt: Wer derzeit noch Anleihen kaufen oder halten will, der sollte sich zumindest dringend nach Investmentgrade-Anleihen umsehen. Also nach jenen Papieren von Schuldnern mit guter Bonität. Denn nicht immer zahlt es sich aus, gerade den chronisch klammen Firmen und Staaten noch mehr Geld zu leihen. Wenn sie nämlich aus dem grünen Bereich hinausrutschen, sehen ihre Anleger vermutlich rot.

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