Gute Stimmung an Amerikas Börsen zum Wahlstart: Der breite Index S&P 500 und der Technologie-Index Nasdaq 100 haben leicht im Plus eröffnet. Extreme Bewegungen verzeichneten Analysten zunächst keine, vielmehr herrscht auf dem Parkett eine angespannte Ruhe – auch bei europäischen und deutschen Anlegern: Der Dax stand am Vormittag deutscher Zeit zunächst bei 19.175 rund 0,15 Prozent im Plus, der Euro rund 0,21 Prozent gegenüber dem Dollar und der chinesische SSE Index legte um 2,32 Prozent zu. Alle drei Werte würden wohl von einem Harris-Sieg profitieren.
Zu eng scheint das Rennen zu sein, das sich zwischen Kamala Harris und Donald Trump abzeichnet, um auf einen Ausgang zu spekulieren. Wenn überhaupt, dann preisen die Kapitalmärkte ein leichtes Momentum für Harris ein, die in jüngsten Umfragen zulegte.
Größere Bewegungen gab es an den Kryptomärkten, wo viele auf einen Sieg von Donald Trump setzen. Der Bitcoin-Kurs stieg zum Nachmittag deutscher Zeit deutlich, was für eine Überreaktion zu Wahlbeginn sprechen kann, vor allem aber für neuen Rückenwind für Trump. Nachdem die als Wahl-Orakel berühmte Meinungsforscherin Ann Selzer aus Iowa am Wochenende einen Sieg von Kamala Harris prognostizierte, stürzte die wichtigste Asset-Klasse, der Bitcoin, um etwa drei Prozent ab. Trump hatte im Juli auf einer Bitcoin-Konferenz gesprochen, seitdem ist der Bitcoin-Kurs stark mit Trumps Umfragewerten korreliert.
Der Bitcoin hängt auch stark mit Technologiewerten zusammen. Die guten Zahlen vom Überwachungssoftware-Unternehmen Palantir könnten risikoreichen Werten Auftrieb gegeben haben, und damit auch dem Bitcoin. „Die Wettmärkte preisen am Dienstag wieder etwas größere Chancen für Donald Trump ein. Das schlägt sich auch beim Bitcoin nieder“, sagt Harm Bandholz, Professor an der FH Kiel und ehemaliger US-Chefökonom der Unicredit, zu Capital.
Ruhiger Start an der Wall Street
Trotz des ruhigen Starts müssen Anlegerinnen und Anleger damit rechnen, dass die Märkte nicht so ruhig bleiben. Nahezu alle Analysten erwarten heftige Bewegungen in den kommenden 24 bis 48 Stunden, je nachdem, ob und wann sich ein Wahlsieger oder eine Wahlsiegerin abzeichnet. „Wir erwarten, das sich die globalen Märkte um bis zu zwei Prozent bewegen werden – nach oben oder nach unten“, so George Saravelos, Head of FX Research bei der Deutschen Bank, bei „Bloomberg“.
In die ohnehin hohe Volatilität durch die US-Wahlen spielt auch noch ein Zinsentscheid der US-Notenbank Fed am Donnerstag hinein. Der Termin mag überraschen, ist für Harm Bandholz aber naheliegend, „da die Termine lange feststehen, und man bei der Fed die Unabhängigkeit demonstrieren will“. Nahezu alle Marktteilnehmer gehen hier von einer Senkung um 25 Basispunkte auf dann 4,75 Prozent aus. Deutlich spannender als das ist aber, wie sich Fed-Chef Jerome Powell zum weiteren Weg äußert – ob er erneute Senkungen in Aussicht stellt oder nicht. Aktuell gehen die Märkte von vier bis fünf weiteren Zinsschritten nach unten bis Ende 2025 aus.
Aktienmärkte hoffen kurzfristig auf Trump
Trump gilt gegenüber Harris als größeres Risiko für die Preisstabilität in den USA, da seine angekündigten Strafzölle von 60 Prozent gegen chinesische Importe und zehn Prozent gegen restliche Importe inflationstreibend wirken würden. Auf der anderen Seite sollen Steuerentlastungen inflationshemmend wirken, die wiederum durch die Zölle finanziert werden sollen. Allerdings sind diese Entlastungen so teuer, dass die USA in Summe deutlich höhere Staatsschulden anhäufen würden – was wiederum die Anleihenrenditen in die Höhe treibt, da Investoren ein höheres Ausfallrisiko einpreisen.
Ein erster Stimmungstest hierfür könnte bereits am Mittwoch erfolgen, wenn die USA eine neue 30-jährige Anleihe ausgeben. „So lange der Dollar die Weltreservewährung ist, ist das aber beinahe zu vernachlässigen, da es so immer eine kräftige ausländische Nachfrage nach amerikanischen Staatsanleihen gibt“, sagt Bandholz. Unter Harris dürfte zwar höhere Sicherheit einkehren. Doch auch ihre Pläne für soziale Sicherungssysteme sind teuer und würden die Anleihenrenditen am Ende in die Höhe treiben.
Kurzfristig rechnen Analysten bei einem Harris-Sieg mit einer neutralen oder negativen Reaktion an den Aktienmärkten. Bei Trump könnte die kurzfristige Reaktion positiver aussehen. Im ersten Schritt würden Krypto, Banken und fossile Energien profitieren. Außerdem würde der Dollar aufgrund der erwartbar höheren Zinsen (durch die höhere Inflationserwartung) aufwerten. Langfristig könnten sogar beide Kandidaten positiv für die Märkte sein. „Wichtig ist nicht nur, wer Präsident wird, sondern auch, an wen Kongress und Senat gehen“, so Bandholz. „Historisch sind die Märkte bei einem demokratischen Präsidenten und einem republikanischen Kongress am besten gelaufen – und darauf deuten die letzten Umfragen hin.“
Für Europa wäre Harris unzweifelhaft die bessere Kandidaten, da sie für Stabilität steht und weniger für Handelsbarrieren als Donald Trump. Allerdings, so meint Bandholz, wäre Trumps Wirtschaftspolitik nicht das Ende der Welt für Europa. Vor allem die angekündigten Strafzölle von zehn Prozent sieht er weniger dramatisch als andere Analysten. „Wenn der Euro um zehn Prozent aufwertet, von 1,09 auf 1,2 Dollar, würden wir auch keinen Abgesang auf die deutsche Wirtschaft anstimmen. Das hätte aber einen ähnlichen Effekt. Außerdem könnte der Dollar bei diesen Strafzöllen um fünf bis sieben Prozent aufwerten, so dass die Zollwirkung fast aufgebraucht wäre.“ Volkswirtschaftlich wären Strafzölle jedenfalls verkraftbar, solange es bei zehn Prozent bleibt, glaubt Bandholz.