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Gastbeitrag Bargeld ist eine Taktik, keine Strategie

Christine Novakovic
Christine Novakovic
© UBS
Nach den jüngsten Zinsschritten in Europa und den USA ist klar: Die Niedrigzinsphase wird noch lange anhalten. Christine Novakovic erklärt, wie Anleger sich auf diese Situation einstellen können und warum sie mit Bargeld schlecht beraten sind

Führende Zentralbanken haben die Märkte in diesem Sommer überrascht, indem sie die Zinsen früher als erwartet gesenkt und damit im September die Europäische Zentralbank (EZB) zur Wiederaufnahme der radikalen monetären Lockerungen veranlasst haben. Niedrigere Zinsen sollen das festgefahrene Wirtschaftswachstum wiederbeleben - und stellen Anleger vor neue Herausforderungen. Investoren sind nun mit Marktschwankungen und niedrigeren – sogar negativen – Renditen auf sicheren Anlagen wie Staatsanleihen konfrontiert.

Die Zinskürzung der Federal Reserve , die erste seit mehr als einem Jahrzehnt, erfolgte nur sechs Monate nachdem die politischen Entscheidungsträger Zinserhöhungen signalisiert hatten – was diese Umkehr zu einem der schnellsten Turnarounds in der Geschichte der Zentralbank macht. Die EZB hat daraufhin die Negativzinsen für Banken auf minus 0,5 Prozent gesenkt und ihr Programm der quantitativen Lockerung neu gestartet.

Dieser Schritt scheint mehr als nur eine vorübergehende Anpassung zu sein. Prominente politische Entscheidungsträger auf beiden Seiten des Atlantiks haben sich zusätzlich dafür ausgesprochen, ein höheres Inflationsziel anzustreben. Sollte es den Zentralbanken tatsächlich gelingen, die Inflation zu erhöhen, würde dies die reale Rendite risikofreier Anlagen, gemeint ist also die Rendite abzüglich der Inflation, weiter drücken – vorausgesetzt, die Zinsen bleiben niedrig.

Weniger Bargeld, mehr Sachwerte

Ich sehe mehrere Möglichkeiten, wie sich Anleger auf diese neue Realität einstellen müssen:

  • Erstens: Die Bargeldbestände in den Anlegerportfolios müssen sinken. Die Anleger mögen in den kommenden Jahren etwas Liquidität für ihre Ausgaben benötigen, aber eine möglicherweise höhere Inflation und niedrigere oder negative kurzfristige Zinsen machen Bargeld langfristig sehr ungeeignet. Unsere jüngste Umfrage zur Anlegerstimmung zeigt, dass Anleger in Europa außerhalb der Schweiz 22 Prozent ihres Vermögens in bar angelegt haben. Das ist viel.
    Die Mehrheit sagt, dass sie Sicherheit sucht oder auf die richtige Investitionsmöglichkeit wartet. Dies scheint kurzfristig durchaus vernünftig zu sein. Aber Risiken entstehen, wenn die kurzfristig hohen Bargeldbestände auch langfristig hoch bleiben, weil eben dadurch real das Vermögen schrumpft. Bargeld ist eine Taktik, keine Strategie.
  • Zweitens: Die Nachfrage nach Sachwerten wird steigen. Sparer müssen eine angemessene Verteilung auf reale Vermögenswerte – wie Aktien oder Immobilien – sicherstellen, um zu gewährleisten, dass ihre Portfolios mit den Lebenshaltungskosten Schritt halten. Wer als Investor wie etwa gemeinnützige Stiftungen Verpflichtungen bedienen muss, kann auch an weniger liquide Anlagen denken, etwa Private-Equity-Fonds, die eine Überrendite gegenüber öffentlichen Märkten wie Börsen bieten. Dies bedeutet natürlich eine höhere kurzfristige Volatilität. Die Erfahrung zeigt allerdings, dass die Volatilität im Rest eines Portfolios psychologisch leichter zu tolerieren ist, sobald der Liquiditätsbedarf eines Anlegers gedeckt ist. Und das ist er in den meisten Fällen ja bereits, wie unsere Zahlen zeigen.
  • Drittens: Globale Diversifizierung ist entscheidend. Die Geldpolitik verschiebt sich weltweit, und es ist schwer im Voraus zu bestimmen, welche Entscheidungsträger erfolgreich sein werden und welche nicht. Dadurch wird es naturgemäß noch unsicherer, langfristig zu prognostizieren, wie sich die Inflation, die Währungen untereinander und die regionalen Börsen entwickeln. Durch eine globale Diversifikation können Anleger das Risiko verringern, auf der falschen Seite des geldpolitischen Versagens in irgendeiner einzelnen Region zu stehen.

Die Zentralbanken passen ihre Politik an – möglicherweise langfristig. Mit der richtigen Finanzstrategie und einem ausreichenden Zeithorizont sind weiterhin positive reale Renditen erzielbar. Das erfordert jedoch von vielen Anlegern, dass sie ihre Haltung und Portfolios entsprechend anpassen.

Christine 'Christl' Novakovic ist CEO der in Frankfurt am Main ansässigen UBS Europe SE und Head of Wealth Management der UBS Group in Europa, dem Mittleren Osten und Afrika

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