Geldanlage Anleihen verraten mehr als manche denken

Fed-Chef Jerome Powell
Fed-Chef Jerome Powell
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Die Zinsaussagen des amerikanischen Notenbankchefs Jerome Powell haben die Aktienkurse beflügelt. Viel spannender aber ist momentan ein Blick auf die Anleihenmärkte. Sie senden Warnsignale für die Konjunktur

Wenn man Beweise dafür sucht, dass an den Börsen manchmal sehr viel passieren kann, ohne dass dazu tatsächlich etwas passieren muss – also auf reale Vorfälle bezogen – dann war die abgelaufene Woche ein sehr guter Beweis für dieses Phänomen. Denn größere Vorfälle gab es zwar nicht, wenn man einmal von ein paar Äußerungen des amerikanischen Notenbankchefs Jerome Powell absieht. Die aber genügten, um die Märkte gehörig in Aufruhr zu versetzen. Momentan bedarf es gar keine großen Taten mehr, Worte sorgen für größere Marktbewegungen. Nach den Aussagen Powells sprangen die Leitindizes sofort an: Der amerikanische S&P 500 legte 100 Punkte zu, der Dax kletterte sogar 400 Punkte. Er kratzt nun wieder an der 12.000-er Marke. Wodurch hat Powell das ausgelöst?


DAX Index


DAX Index Chart
Kursanbieter: L&S RT

Ganz deutlich drückt sich so ein Notenbankchef ja selten aus, daher sagte Powell es so: Die amerikanische Fed werde „angemessen“ auf die Auswirkungen der anhaltenden Handelsstreitigkeiten reagieren. Und das deuteten die Marktbeobachter wie folgt: Es wird wohl zu einer Leitzinssenkung kommen – vermutlich noch in diesem Jahr. Denn der Handelsstreit zwischen den USA und dem Rest der Welt schwelt zwar schon länger. Seit Monaten liegt US-Präsident Trump mit China im Clinch wegen der Zölle und Einfuhrbeschränkungen, die er dauernd neu ankündigt und auch bereits erhoben hat. Die Volksrepublik antwortet darauf zunehmend mit Gegenmaßnahmen und ebenfalls mit Extrazöllen. Auch mit Europa hat sich Trump schon angelegt und mit höheren Zöllen für die heimischen Autobauer gedroht. All diese Tiraden sind also nicht neu. Doch sie lähmen zusehends die Wirtschaft und die Märkte, selbst ohne große Taten.

Allein die dauernden Zoll-Ankündigungen entfalten bereits seit einer Weile eine lähmende Kraft, vor allem weil sie Investitionen verzögern. Welcher Unternehmen steckt schon sein Geld in den Ausbau einer Fabrik oder in den Kauf von neuen Maschinen in einem fremden Land, wenn er nicht weiß, wie sich die Absatzmärkte demnächst entwickeln? Und ob nicht ein Großteil der Käufer dort oder anderswo wegfällt, wenn die eigenen Produkte künftig mit hohen Sonderzöllen belegt werden? Drohgebärden reichen, um die Reste des derzeitigen Aufschwungs zu gefährden. So jedenfalls sieht es auch die US-Notenbank: Weil sich die Wirtschaft in absehbarere Zeit angesichts des Streits abkühlen könnte, will sie diesem Umstand nun vorauseilend begegnen.

Euphorieschub bei Aktienanlegern

Im Mai hatten sich die Zins- und Stabilitätshüter noch „geduldig“ gegeben. Doch zuletzt stieg bereits die Nervosität im Markt deutlich, was sich auch an den Volatilitätsindizes ablesen lässt. Das beweist eine zunehmende Unruhe unter den Marktteilnehmern. Nach Powells Ankündigung gehen Analysten und Ökonomen nun von einer Absenkung des Leitzinses um jeweils 0,25 Prozent in zwei Schritten aus. Einer davon werde wohl noch 2019 erfolgen. Derzeit steht der US-Zinssatz bei 2,25 bis 2,5 Prozent, bis zum Jahresende könnte er also bei 2 Prozent oder leicht darunter liegen.

Die Wirkung dieser Ankündigung war ein sofortiger Euphorieschub bei den Aktienanlegern. Denn wenn die Notenbank die Zügel bei den Zinsen wieder lockerer lässt und damit mehr Geld in den Markt pumpt, um die Wirtschaft anzuheizen, dann belebt das wieder die Börsen. Das zusätzliche Geld wird vermehrt in Unternehmenspapiere fließen, weil die Firmen wieder mit höheren Gewinnen rechnen können, was die Aktienanlage attraktiv macht. Zudem fehlen mangels Zinshöhe die Alternativen. Also werden die Kurse erst einmal wieder steigen. Das sorgt für ein kleines Aufatmen. Doch das betrifft nur die eine Seite des Markts, die Aktienseite. Und es könnte ein Aufschwung für kurze Zeit sein.

Anleihekurse streben seit 2000 bergauf

Es lohnt sich an dieser Stelle, einmal tiefer ins Geschehen auf der anderen Seite des Marktes abzutauchen. In die Anleihenwelt nämlich. Denn es sagt einiges darüber aus, wie nachhaltig dieser Kursanstieg an den Aktienbörsen letztlich sein könnte. Was also löste der Fed-Chef mit seinen Worten am Anleihenmarkt aus? Einen größeren Aufruhr, so jedenfalls titelten einige Marktberichte in den vergangenen Tagen.

Es kam nach Powells Rede zu einem größeren Run auf die Anleihenmärkte. Staatsanleihen waren bei den Käufern wieder gefragt, vor allem amerikanische, aber auch deutsche. Und auch das ist nicht erstaunlich. Denn einerseits bedeuten die nahen Zinssenkungen, dass die Kupon-Zinsen der aktuellen Staatspapiere wieder attraktiver werden. Die Zinsen künftiger Anleihen werden schließlich niedriger ausfallen. Andererseits bedeutet die Zinssenkung aber auch, dass sich die Notenbank Sorgen – oder zumindest Gedanken – über die Konjunktur macht – die Wirtschaft also schwächeln könnte. Das treibt die Anleger wieder in etwas sicherere Staatspapiere und drückt deren Kurse hoch – die gegenläufigen Renditen der Anleihen rutschen dadurch allerdings ab. Denn die Flucht in die Anleihen bedeutet nicht, dass sich Anleger von den – noch immer kleinen – Renditen dort nun die großen Erträge erhoffen. Sondern es zeigt vielmehr zusätzlich, dass die Angst wieder ansteigt und das Bedürfnis nach Stabilität wächst.

Derzeit rentieren die zehnjährigen US-Staatsanleihen mit 2,13 Prozent. Noch im April warfen sie für Anleger 2,53 Prozent ab, fast einen halben Prozentpunkt mehr also. (Zum Vergleich: Italien notiert übrigens bei 2,55 Prozent, Portugal und Spanien liegen derzeit bei rund 1,1 Prozent). Bei den deutschen Bundesanleihen dagegen kann man von Rendite gar nicht mehr reden: Sie notieren inzwischen bei minus 0,21 Prozent, kosten ihre Besitzer also sogar Geld, wenn die einfach nur auf das Einstreichen der Zinsen setzen. Noch im April waren wenigstens homöopathische 0,01 bis 0,09 Prozent Rendite mit ihnen zu holen. Zwischenzeitlich aber rutschte die Rendite der Bundesanleihen in den vergangenen Tagen sogar auf ein historisches Allzeittief von minus 0,22 Prozent ab. So rot wie jetzt sahen sie bisher noch nie.

Rendite zehnjähriger US-Staatsanleihen

source: tradingeconomics.com

Nun heißt das aber nicht, dass mit Anleihen derzeit kein Geld zu verdienen ist, im Gegenteil: Seit der Jahrtausendwende konnten Anleger mit Anleihen sogar mehr Geld machen als mit Aktien. Klingt unglaublich? Ist es auch – aber nur, wenn man sich die dahinschrumpelnden Zinsen ansieht. Und wenn man davon ausgeht, dass ein Privatanleger seine Papiere jeweils bis zur Endfälligkeit gehalten hätte und lediglich auf die Verzinsung setzte. Doch die Kurse der Anleihen bewegen sich ja gegenläufig zu den Zinsen und streben seit 2000 bergauf.

Das Zusammenspiel aus Kurs, Zins und Rendite, also die Gesamtperformance über die Zeit bildet zum Beispiel der REXP-Index ab , der die Gesamtperformance deutscher Staatsanleihen wiedergibt. Der REXP-Index legte seit der Jahrtausendwende von 225 Punkten auf heute 495 Punkte zu. Das heißt: In den vergangenen 19 Jahren waren mit deutschen Staatsanleihen 6,3 Prozent Rendite jährlich drin. Mit Aktien, also mit einem ETF auf den Dax, dagegen schafften Anleger in derselben Zeit nur 1,5 Prozent pro Jahr. Um derart auf Anleihen zu setzen müssen Anleger jedoch einem aktiven Fondsmanager ihr Geld anvertrauen oder Zertifikate auf den REXP kaufen, weil es keinen Eins-zu-eins-Indexfonds auf den Index gibt. Denn der REX ist im Grunde ein künstlicher Index, der die hypothetischen Werte aller deutschen Rentenpapiere angibt. Allenfalls der ETF eb.rexx von Ishares kommt dem Index nahe, er bündelt die 25 meistgehandelten deutschen Staatsanleihen. Er bleibt jedoch mit knapp 70 Prozent Plus seit 2003, was einer Performance von 3,6 Prozent jährlich entspricht, hinter dem REXP zurück. Der hat im selben Zeitraum immerhin knapp 79 Prozent geschafft, also 4,1 Prozent jährlich.

Anleihenanleger unter Spannung

Was die Anleger an den Anleihemärkten aber tatsächlich in Aufruhr versetzte, war neben den tiefen Renditen vielmehr die Tatsache, dass die kürzer laufenden Staatspapiere zwischenzeitlich höhere Renditen aufwiesen als die länger laufenden. Die amerikanische Zinsstrukturkurve wird also steiler, so drücken es die Fachleute aus. Und das heißt für gewöhnlich nichts Gutes, so ist die Lehrmeinung der Ökonomen. Wenn die Renditen der kurzlaufenden Anleihen nämlich jene der lang laufenden überflügeln, dann gilt das vielmehr als Frühindikator für einen drohenden Abschwung.

Schon im Dezember warfen die dreijährigen US-Staatsanleihen etwas mehr Rendite ab als die fünfjährigen. Das wurde bereits als Warnzeichen gedeutet, doch die Marktbeobachter beschwichtigten: Solange die zehnjährigen Staatspapiere noch immer höhere Erträge abwürfen als die Kurzzeitpapiere, befänden sich die Märkte sozusagen gerade noch im grünen Bereich. Im März diesen Jahres aber erzielten die dreimonatigen US-Staatsanleihen dann kurzfristig höhere Renditen als die zehnjährigen Papiere und der Spread zwischen den zweijährigen und den zehnjährigen war auf dem Weg, sich immer weiter zu schließen. Das letzte Mal, als er es tatsächlich tat und die Zinsstrukturkurve invers wurde – also als die Renditen zugunsten der Kurzläufer ausschlugen – das war im Jahr 2006/2007. Kurz danach brach die Weltfinanzkrise aus.

Momentan herrscht daher Anspannung bei den Anleihenanlegern. Aktuell ist der Spread zwischen Kurzläufern und Langläufern noch 0,28 Prozentpunkte groß: Die zehnjährigen (rund 2,1 Prozent) liegen noch vor den zweijährigen (1,85 Prozent). Man könnte also sagen: Die Gefahr scheint noch recht weit weg zu sein. Doch bereits zuletzt sackten die zehnjährigen Treasuries immer mal wieder auf 2,0 Prozent ab. Und die Zweijahrespapiere hielten sich zuletzt um die 1,9-Prozent-Marke herum. Zudem haben die Zweijahrespapiere bereits die dreijährigen und die fünfjährigen Treasuries überholt. Von daher bleibt abzuwarten, ob ihre Renditen demnächst weiter zulegen und sie noch zum Sprung über die Langläufer ansetzen.

Die EZB hat keinen Spielraum mehr

Wenn das passiert, dann heißt es: festhalten! An den Anleihe- wie an den Aktienmärkten. Denn dann ist der Abschwung in beiden Marktbereichen nicht weit. Wie arg sie in solchen Situationen korrelieren und dann im Gleichlauf nach unten drehen, haben schließlich die vergangenen Crashs gezeigt. Das Ende des konjunkturellen Aufschwungs hatte überdies die Mehrheit der Volkswirte für Ende diesen Jahres erwartet, spätestens aber fürs kommende Jahr. Nur rund zehn Prozent glaubten daran, dass er weder 2019 noch 2020 passieren werde. Dagegen könnte die Fed dann nur noch eines tun: Ihren Worten müsste sie noch größere Taten folgen lassen. Sie müsste also die Zinsen noch weiter senken. Ein bisschen Spielraum hätte sie dafür schließlich zum Stand jetzt noch.

Für Europas Notenbank sähe die Sache anders aus. Bei ihr stellt sich die Frage, was sie überhaupt noch tun kann, wenn tatsächlich Dinge passieren, die der Markt derzeit nur theoretisch durchspielt. Wenn also der Abschwung kommt. Eine Zinsanhebung jedenfalls, von der zumindest einige Marktbeobachter immer noch annahmen, dass sie demnächst noch kommt, wird damit immer unwahrscheinlicher. Aber vielleicht muss ja auch gar nicht viel passieren – damit sich die Vorzeichen von alleine wieder ins Positive drehen? Wahrscheinlich ist das nicht. Aber zumindest in die andere Richtung hat es ja schon ein paar Male geklappt.

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