Herr Candela, Sie sind Europachef von Alipay+, ein Zahlungsdienstleister aus Singapur mit chinesischen Wurzeln, der aktuell ganz massiv bei der Fußball-Europameisterschaft wirbt. Was reizt Ihr Unternehmen an der EM?
PIETRO CANDELA: Wir befinden uns in einer sehr wichtigen Phase. Wir haben uns 2014 entschieden, unser Netzwerk global auszurollen, um chinesische Reisende zu bedienen. Europa als beliebtes Reiseziel spielt dabei eine wichtige Rolle. Jetzt weiten wir unser Geschäftsmodell auf andere asiatische E-Wallets aus
…also digitale Geldbörsen, die man auch in Europa mit Paypal oder Android Pay kennt…
Ja, und wir wollen globale Reisende und europäische Händler auf deren Vorteile aufmerksam machen. Deshalb sponsern wir die Europameisterschaft – es ist die größte Bühne in Europa mit einer universellen Sprache, dem Fußball.
Warum Europa? Warum nicht die USA, wo die Wirtschaft doch viel stärker wächst?
Wir sehen langfristig ein riesiges Aufholpotenzial für Europa. Was das digitale Bezahlen angeht, sind die Europäer einfach noch nicht so weit. Das liegt auch daran, dass Europa sprachlich und kulturell sehr fragmentiert ist. Aber ich glaube, dass wir eine Verschiebung sehen werden, und zwar von einer Ökonomie der Größe hin zu einer dezentralen Netzwerkökonomie. Also mehr lokale Kooperationen neben globalen Champions. Das spielt Europa massiv in die Karten, weil wir den dafür notwendigen Interessenausgleich schon lange leben.
Zurück zur EM: Viele Fans sehen derzeit Ihr Logo auf Banden, Fanmeilen oder in TV-Spots – wissen aber gar nichts mit Ihrer Marke anzufangen. Also: Was machen Sie überhaupt?
Während wir in Asien schon extrem verbreitet sind, können wir unsere Marke in Europa noch besser vermitteln. Letztlich geht es um zwei Ebenen: die Ant Group und Ant International sprechen asiatische Konsumenten an, die gerne bei europäischen Händlern einkaufen. Im Rahmen der EM arbeiten aber auch deutsche und österreichische Banken mit uns. Wir bieten letztlich eine QR-Code-Zahlung, und die wollen viele Händler und Kunden ausprobieren. Alipay+ ist ein Konglomerat aus lokalen Geldbörsen und Finanzapps wie Alipay, Bluecode oder Kakao Pay, die es ermöglicht, überall auf der Welt mit einem QR-Code zu bezahlen. Alipay+ mit Sitz in Singapur ist gewissermaßen die Schnittstelle oder Technologie dahinter. Eine Einheit, mit der wir nun global Nutzer und Händler in Partnerschaft mit lokalen Finanzinstituten verbinden. Wir richten uns zum Beispiel an Händler, die asiatische Touristen als Kunden haben, und ihnen eine Zahlplattform anbieten wollen, die auch Marketinginhalte und -dienstleistungen beinhaltet. Unser Ziel ist, dass Touristen überall auf der Welt mit Alipay+ zahlen können und Zugang zu Werbeaktionen und Privilegien erhalten, die von den Marken und Geschäften angeboten werden.
Und was macht Ihre Konkurrenz rund um Visa, Mastercard & Co. schlechter? Auch damit kann ich fast überall auf der Welt zahlen.
Unser Konkurrent ist das Bargeld. Jeder Anbieter digitaler Technologien oder Dienstleistungen ist ein Gleichgesinnter, der Reisenden das Leben leichter machen kann. In Asien war QR-Zahlung entscheidend für die finanzielle Inklusion und bargeldlose Wirtschaft. In Europa ist das anders. Fast jeder Europäer hat ein Bankkonto, fast jeder Händler ein digitales Bezahlterminal mit NFC-Technologie. Wenn ein Europäer in Europa einkauft, ist das nicht unser Fokus. Und trotzdem gibt es eine Menge Möglichkeiten für uns im Handel, die über reine Transaktionen hinausgehen. Hier können QR-Codes und Apps eine Rolle spielen und Anwendungsfälle darstellen. Käufer sind mit den aktuellen Zahlungssystemen zufrieden, können aber dennoch über ihre Finanzapps ein umfassenderes Einkaufserlebnis genießen – vor, während und nach ihrer Reise.
Welche Anwendungsfälle meinen Sie?
Es geht allgemein darum, die Bedürfnisse der Händler und ihrer Kunden besser zu verstehen. Da ist niemand perfekt. Was uns angeht: Wir können zum Beispiel einen Mehrwert für Touristen oder Studenten bieten, die aus Asien nach Europa reisen. Allein dieser Markt ist interessant genug. 99 Prozent aller chinesischen Touristen in Europa nutzen Alipay. Wenn es Alipay+ jetzt auch noch in europäischen Läden gibt, schafft das einen Wiedererkennungswert und erhöht den Kaufanreiz. Davon abgesehen bieten wir einen besseren Wechselkurs als die Konkurrenz, Kunden können „Buy-now-pay-later“ im stationären Handel nutzen und sofort Steuerrückerstattungen erhalten, wenn sie zollfrei einkaufen.
Sie sprechen bislang vor allem von Reisenden. Geht es nur darum?
In erster Linie schon. Unsere Zielgruppe sind Menschen aus anderen Weltregionen, die auf ihren Reisen eine einheitliche Zahlungsumgebung suchen, einen einfachen QR-Code. Dafür brauchen wir die Händler in Europa, und nicht, wie gesagt, die Europäer, die in Europa einkaufen. Die sind nur dann für uns interessant, wenn sie in andere Weltregionen reisen.
Und das ist Ihnen ein 200 Mio.-Euro-Uefa-Sponsoring für acht Jahre wert?
Von der Zahl habe ich auch nur gehört. Aber ja, der Fußball ist definitiv die richtige Werbeplattform dafür. Deshalb haben wir auch die Asienmeisterschaften gesponsert. Jetzt wollen wir aber in Europa wachsen, und keine andere Plattform bietet uns dafür so viel Sichtbarkeit und ein so positives Umfeld wie die EM. Global gesehen vielleicht noch die Formel 1, aber in Europa ist es eben die EM.
Generell ist das chinesische Interesse an der EM auffällig. 5 der 13 globalen Sponsoren kommen aus China. Warum ist das so?
Das können wir nur für uns selbst beantworten. Wir sind ein globales Unternehmen, das – ja, aus China kommt – aber seinen Hauptsitz in Singapur hat. Wir sind international aufgestellt, also suchen wir immer nach Möglichkeiten mit anderen Weltregionen zu kommunizieren. Das macht jedes global aufgestellte Unternehmen so. Ich finde, die Frage sollte daher nicht sein, warum eine einzelne Region so stark vertreten ist, sondern: warum Europa? Und hier kann ich nur wiederholen, was ich schon gesagt habe: die Vielfalt ist Europas große Stärke. Deshalb sind wir hier.
Beim Thema Geld spielt Vertrauen eine wichtige Rolle. Haben Sie es als chinesisches Unternehmen schwieriger, hierzulande Vertrauen aufzubauen?
Vertrauen ist das entscheidende Kriterium in unserer Branche. Ganz klar. Insofern werden wir genau überprüft. Das heißt aber auch, dass unser Wachstum ein Stück weit für sich selbst spricht.
Sie sehen kein Vertrauensproblem?
Nein, ein Vertrauensproblem haben wir definitiv nicht. Wir können zeigen, was wir in China erreicht haben. Letztlich haben wir es dort geschafft, die Bezahlung im E-Commerce zu standardisieren – was das Wachstum dort erst ermöglicht hat. Das ging im Kern über Vertrauen. Zum anderen glauben wir an die lokalen Akteure. Wir arbeiten in einzelnen Ländern mit unterschiedlichen Partnern zusammen. In Deutschland zum Beispiel mit der Sparkassen-Gruppe, Nexi und Bluecode. Wenn ein Händler uns Sichtbarkeit gibt, zeigen wir auch die Logos dieser Partner. Dieses Markendach schafft bei Nutzern Vertrauen.
Sie sind seit 2016 bei Alipay+ und haben entsprechend alle Höhen und Tiefen der Europa-Expansion erlebt. Wo stehen Sie gerade?
Wir kommen gerade aus einer sehr komplizierten Phase, in der wir unser Geschäftsmodell umgestaltet haben, während die Covid-Pandemie das Travel-Shopping-Geschäft herausgefordert und die gesamte Offline-Einzelhandelslogik verändert hat. Jetzt sehen wir, dass sich die Welt langsam auf Mobile eingestellt hat. Das ist ein Wandel, von dem wir profitieren wollen. Und deshalb ist die aktuelle Phase auch so entscheidend für uns. Wir sehen riesige Chancen, hier einen Mehrwert zu generieren – zum Beispiel durch geringere Kosten für Händler und ihre Kunden.