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Kolumne Zurück zu 2008?

Nicht nur am DAX geht es derzeit turbulent zu. Einige sehen bereits ein Déjà-vu zur Lehman-Krise. Doch diese Sorgen sind übertrieben. Von Holger Schmieding
Holger Schmieding ist Chefvolkswirt der Berenberg Bank
Holger Schmieding ist Chefvolkswirt der Berenberg Bank und schreibt hier einmal im Monat über makroökonomische Themen.
© Berenberg Bank

Und wieder wackeln die Märkte. Nach einem eindrucksvollen Höhenflug hat der DAX nach dem 19. September innerhalb von vier Wochen 12,5% eingebüßt, relativ zum Höchstwert am 3. Juli betrug der Rückgang sogar 14,6%. Trotz eines gewissen Anstiegs danach bleibt die Stimmung labil. Müssen wir uns jetzt Sorgen machen?

An den Finanzmärkten versuchen viele findige Leute, die Zukunft zu erahnen, und möglichst schnell zu reagieren. Sollte sich also ein wirtschaftlicher Auf- oder Abschwung anbahnen, drückt sich dies oftmals in den Aktienkursen aus, lange bevor der Umschwung in der wesentlich trägeren Wirtschaftsaktivität sichtbar wird. Zum anderen kann aber auch eine ausgeprägte Hausse oder Baisse an den Aktienmärkten die Stimmung der Unternehmen und Haushalte prägen und damit die künftigen Investitionen sowie den Privaten Verbrauch beeinflussen.

Unterschiede zwischen Aktien und Konjunktur

Allerdings ist der Zusammenhang zwischen Aktienkursen und der künftigen Konjunktur nicht immer eng. Schnelllebige Märkte übertreiben häufig und gehen gelegentlich komplett in die Irre. Sie zeigen mehr Rezessionen an, als es dann tatsächlich gibt.

Um nur zwei Beispiele zu nennen. Nach dem 14. Oktober 1987 sackte der deutsche Leitindex innerhalb von vier Wochen um 37% ab. Die Konjunktur hat anschließend nicht einmal gehustet. Und auf einen Einbruch der Kurse um ebenfalls 37% innerhalb von sieben Wochen folgte im Sommer 1998 nicht mehr als eine kleine Wachstumsdelle. Wie auch 1987 hat der Aufschwung in den Jahren danach sogar noch an Fahrt aufgenommen.

Andererseits haben Aktienmarktturbulenzen in den Jahren 1990 (ein Minus von 32% beim DAX innerhalb von 14 Wochen ab Mitte Juli) und 2001 (-38%) sowie 2008 (-37%) tatsächlich die dann folgenden Rezessionen angekündigt. Und im Jahr 2011 begann mit den Turbulenzen am Rentenmarkt im Juli und dem anschließenden Rückgang der des Dax um 31% binnen sechs Wochen die heiße Phase der Eurokrise, in der auch Deutschland für fast anderthalb Jahre in eine Stagnation abglitt.

Droht eine Rezession?

Ob einem Marktgewitter eine Rezession folgt, hängt vor allem von zwei Dingen ab. Gibt es eine echtes Problem, beispielsweise eine Inflation, eine Vermögenspreisblase oder einen Verlust an Wettbewerbsfähigkeit, das durch eine Rezession bereinigt werden müsste? Und reagiert die Wirtschaftspolitik angemessen oder falsch auf die Turbulenzen?

In 1990, 2001 und 2008 lagen echte Probleme vor, eine im Vereinigungsboom überhitzte Konjunktur (1990) sowie die Kombination aus Hochkonjunktur und Vermögenspreisblasen (2001 und 2008), wobei es sich 2008 vor allem um eine Immobilienpreisblase in den USA handelte. In 2008 und 2011 kamen schwere wirtschaftspolitische Fehler dazu. 2008 löste die Entscheidung der US-Regierung, Lehman Brothers in eine ungeordnete Pleite zu schicken, statt die marode Bank geordnet und auf Kosten ihrer Eigentümer und Angestellten abzuwickeln, einen unnötigen Weltfinanzinfarkt aus. Im Sommer 2011 zögerte die Europäische Zentralbank auf deutschen Wunsch einen ganzes Jahr lang, bevor sie sich endlich der grassierenden Spekulation auf einen Zerfall des Euro entgegen stellte und damit die konjunkturschädliche Vertrauenskrise eingrenzte.

Verglichen mit den genannten Einbrüchen am Aktienmarkt ist der jüngste Rückgang bisher eher milde. Auch gibt es derzeit in Deutschland und der Eurozone keine Übertreibung in der Realwirtschaft oder an Vermögensmärkten, die eine reinigende Rezession erfordern würde. In den außerordentlich niedrigen Renditen an den Rentenmärkten drückt sich vor allem der außerordentlich geringe Inflationsdruck sowie die angemessene Reaktion der Zentralbank auf diesen mangelnden Inflationsdruck aus, am deutschen Immobilienmarkt sind die Bewertungen im internationalen Vergleich trotz des Anstiegs der letzten Jahre noch moderat. Zwei unserer wichtigen Nachbarn, Frankreich und Italien, stecken tief im Reformstau. Das taten sie aber schon vor einem halben oder einem Jahr. Für unsere Exportwirtschaft gleichen gute Nachrichten aus anderen wichtigen Handelspartnern wie den USA, Großbritannien und Spanien die Schwäche in Frankreich und Italien aus.

Weder aus dem fundamentalen Umfeld noch aus dem Ausmaß der bisherigen Korrektur an den Aktienmärkten lässt sich damit eine echte Rezessionsgefahr ablesen. Stattdessen spricht das Umfeld eher dafür, dass sich die Aktienmärkte auf Sicht von sechs bis zwölf Monaten wieder deutlich erholen sollten.

Stimmungseffekte verfliegen schnell

Aber leider ist dies nicht die ganze Geschichte. Schon Ludwig Erhard wusste, dass Konjunktur zur Hälfte Psychologie ist. Die Stimmung kann das Verhalten prägen. Und die Stimmung ist nun einmal labil. Die direkten Kosten des aktuellen Rückgangs im Handel mit Russland sind gering, sie dämpfen das deutsche Wachstum nur um gut 0,2% Prozentpunkte. Aber Russlands Angriff auf die Ukraine hat bei uns die Stimmung belastet. Andere geopolitische Risiken kommen dazu. Einmal nervös geworden reagieren Unternehmen jetzt vermutlich wesentlich stärker auf kleinere Störungen, als dies sonst der Fall wäre.

Vor diesem Hintergrund ist es zumindest denkbar, dass auch die vergleichsweise milde Korrektur an den Aktienmärkten jetzt dazu führt, dass vorsichtig gewordene Unternehmen einige Investitionen zurückstellen und Lagerbestände abbauen. Die Nachrichten über eine rückläufige Industrieproduktion können dann wieder den Pessimisten an den Finanzmärkten einen neuen Ablass geben, Aktien abzustoßen. Für einige Monate ist eine Abwärtsspirale, in der nervös gewordene Anleger und Unternehmer vor allem auf negative Nachrichten achten und damit solch negative Nachrichten zum Teil selbst produzieren, durchaus denkbar. Eine kurzzeitige Rezession können wir deshalb nicht ausschließen.

Aber reine Stimmungseffekte währen nicht lange. Fundamental ist die deutsche Wirtschaft weiterhin gut aufgestellt. Selbst in Europa geht es voran, da nach Spanien, Portugal, Griechenland und Irland nun endlich auch Italien auf den Reformzug aufgesprungen ist. Auch wenn es für die unmittelbare Zukunft noch einige Abwärtsrisiken für Konjunktur und Märkte geben könnte, spricht vieles dafür, dass sich die Lage im kommenden Jahr wieder spürbar bessern wird.

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