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Kolumne Zentralbank-Götter mal ganz irdisch

Notenbanker gelten als unangefochten und unfehlbar. Doch nun hat es einer ausgesprochen: Wir wissen auch nicht, was wir tun. Von Ines Zöttl
Ines Zöttl
Ines Zöttl schreibt an dieser Stelle über internationale Wirtschafts- und Politikthemen
© Trevor Good

Dass mit diesem Mann etwas nicht stimmt, war schon nach den ersten paar Sätzen klar. Der neue Chefökonom der britischen Notenbank begann seine Ausführungen zur Geldpolitik jüngst weder mit makroökonomischen Kennzahlen noch mit einer Fußballmetapher. Stattdessen rekurrierte Andrew Haldane auf Cricket – doch seine Analogie ließ auch die nicht im Zweifel, denen dieser Sport fremd ist. Die Geldpolitik stecke in einem „Korridor der Unsicherheit“, sagte Haldane. Das ist die vertrackte Ballposition, bei der der Schlagmann nicht weiß, ob er besser vor- oder zurücktritt. Ein Albtraum für den Spieler. Soll er warten, bis sich die Situation geklärt hat? Damit riskiert er, zu spät zu handeln. Oder soll er schlagen, auf die Gefahr hin, dass sich die gewählte Schrittfolge als falsch erweist?

Genau in diesem Dilemma steckt die Bank of England ihrem obersten Ökonomen zufolge.

Andrew Haldane
Andrew Haldane
© Getty Images

Ein bemerkenswertes Eingeständnis. Denn keine Institution kultiviert das eigene Allwissen so wie die Zentralbanken. Das gehört zur Rolle und das Publikum verlangt es. Notenbanker sind nicht gewählt und trotzdem angesehener als jeder Regierungschef der Welt. Investmentbanker sind von ihren Entscheidungen ebenso abhängig wie der Besitzer des Tante-Emma-Ladens vor ihrer Tür. Denn die Geldpolitik steuert die Volkswirtschaft – oder erhebt zumindest den Anspruch. Und weil das so ist, ist sie der einzige Lebensbereich, wo die Macht des Wortes wirklich an die der Tat heranreicht.

Unsicherheit ist nicht vorgesehen

Man erinnere sich nur an den Aufruhr, den die Fed auslöste, als sie andeutete, sie werde nicht ewig Anleihen aufkaufen. Die Märkte erzitterten. Sogar ein eigener Begriff entstand dafür: Taper Tantrum, ein Wortspiel, das das englische „Tapering“, die allmähliche Abschwächung expansiver Geldpolitik, verbindet mit dem „Temper Tantrum“, dem Wutanfall von Kindern, die nicht bekommen, was sie wollen.

Unsicherheit am Quell der Erkenntnis ist in diesem Szenario nicht vorgesehen. Alan Greenspan, das „Finanz-Orakel“ hatte die Methode vermeintlicher Unfehlbarkeit perfektioniert. Wenn die Zuhörer nicht verstanden, was er sagen wollte, zweifelten sie nicht an ihm, sondern an sich.

Ganz anders Haldane. Die Lage der britischen Wirtschaft sei für ihn „ein Rätsel innerhalb eines Geheimnisses umgeben von einem Mysterium“, bekannte er offen. Tatsächlich hat Großbritannien ein spektakuläres Comeback hingelegt, das niemand vorhergesehen hat. In diesem Jahr wird die Wirtschaft voraussichtlich um rund drei Prozent wachsen – stärker als jede andere in der G7 und mehr als die deutsche, die laut Prognosen nicht einmal zwei Prozent zulegen wird.

Haldane ist unorthodox

So feiert sich die britische Regierung dafür, dass nun der Beweis für die Wirksamkeit ihrer Austeritätspolitik erbracht sei. Währenddessen der König der Keynesianer, Paul Krugman, die Entwicklung mit der These sein Weltbild einpasst, dass gar nicht mehr gespart werde. Haldane dagegen verweist so ungerührt wie unideologisch darauf, dass a) volkswirtschaftliche Daten sowieso chronisch unzuverlässig seien, b) irgendwas bei der Produktivität stattgefunden habe, das man nicht verstehe und c) man eigentlich keine Ahnung habe, was passieren werde, wenn die BoE die Zinsen erhöhe.

Der Ökonom hat schon in seiner bisherigen Laufbahn kein Blatt vor den Mund genommen. Er gab der Occupy-Bewegung recht und stellte sich auf die Seite von Studenten, die gegen die orthodoxe Lehre in der Wirtschaftswissenschaft aufbegehrten. Er warnte die Zentralbanken davor, dass sie „die größte Staatsanleihe-Blase in der Geschichte“ geschaffen hätten. Und zugleich lehnte er zu viel Regulierung im Finanzsektor ab. Denn das sei, erklärte er der ehrbaren Gemeinde der Notenbanker bei ihrem Traditionstreffen in Jackson Hole, doch wie mit dem Frisbee. Das fange man am besten, wenn man es nicht zu kompliziert mache.

Sowas hat man selten gehört. Und freut sich auf mehr davon aus London.

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