Günter Faltin ist Universitäts-Professor, Business Angel, Buchautor - und Pionier: Er hat das Thema Unternehmertum in Deutschland theoretisch und praktisch bearbeitet, lange bevor die Start-up Ära das Gründen zum Hype gemacht hat. Faltin hat die Stiftung Entrepreneurship gegründet, um junge Gründer bei der Entwicklung eines Geschäftsmodells zu unterstützen. Lange Jahre war er Professor an der Freien Universität Berlin. Bekannt wurde er unter anderem durch ein Praxisprojekt, die Gründung der Teekampagne, einen der größten Importeure von Darjeeling-Tee weltweit. Seit über fünf Jahren lehrt er an der Universität Chiang Mai in Nordthailand. In seinem neuesten Buch "David gegen Goliath – Wir können Ökonomie besser" plädiert Faltin für eine neue Art des Wirtschaftens .
Herr Professor Faltin, in ihrem Buch "David gegen Goliath" schreiben Sie, dass wir Ökonomie besser können. Was läuft falsch in unserer Wirtschaft?
Wir leben ökonomisch über unsere Verhältnisse, wir leben ökologisch über unsere Verhältnisse, wir schädigen die Natur massiv, vielleicht sogar so, dass unser Ökosystem kippt. Und wir leben auch sozial über unsere Verhältnisse, in dem Sinne, dass der Kitt unserer Gesellschaft, das Zusammengehörigkeitsgefühl, durch eine immer extremere ungleiche Vermögensverteilung gefährdet wird.
Fängt das nicht schon in der ökonomischen Grundlehre, im Studium an?
Die BWL lehrt die Studenten, dass Gewinnmaximierung die Normalität sei, um ein Unternehmen erfolgreich zu leiten. Aufwendungen für den Naturschutz stellen dabei einen Kostenfaktor dar, den die BWL, wie alle Kosten, minimieren will. Das ist ein Wertesystem, mit dem wir jetzt an unsere Grenzen stoßen, mit dem wir nicht weitermachen können.
Welche Rolle spielt dabei die Politik?
Die Politik ist zu langsam, der Politik sind in vielen Aspekten die Hände gebunden und die Politik hat Angst vor einem Verlust an Arbeitsplätzen. Diese Priorisierung muss sich ändern. Arbeitsplätze sind ein wichtiges Thema, aber wenn unser Ökosystem kippt, hilft uns auch der Erhalt der Arbeitsplätze nicht. Daher ist es richtig, dem Klimaschutz in Zukunft erste Priorität einzuräumen.
Wie soll es denn Ihrer Meinung nach anders laufen?
Der sicher bedeutendste Ökonom des letzten Jahrhunderts, John Maynard Keynes, hat bereits 1930 dargelegt, dass der Sinn der Ökonomie nicht die Produktion von Waren ist, sondern die Abschaffung des Mangels. Sobald die Versorgung mit Gütern den Mangel gedeckt hat, so Keynes’ Voraussage, können wir uns anderen wichtigen Themen zuwenden, wie Wohlbefinden, Gesundheit, Lebensqualität und Glück. Und diese Werte werden die Themen der Zukunft sein. Wir Ökonomen sind gut beraten, wenn wir diese Werte in unsere Geschäftsmodelle einbauen.
Wie weit entfernt ist diese Zukunft, die Sie da beschreiben?
Die Zeit dafür drängt. Bevor die Ereignisse tatsächlich eintreten, entsteht ein "News Flow", der Nachrichten wie Dürren oder Überschwemmungen auf Klimaveränderungen zurückführt. Dieser "News Flow" erhält sein eigenes Gewicht, das die politische Situation und die öffentliche Meinung verändern wird.
Wie genau können ökologische und soziale Aspekte in die Wirtschaft besser integriert werden?
Die Wiederversöhnung mit der Natur wird zum Thema unserer Generation werden. Und diese Wiederversöhnung mit der Natur können wir mit den alten Werten der Wirtschaft nicht erreichen. Das Umdenken in der öffentlichen Diskussion wird sich auch auf die Verhaltensweisen der Konsumenten auswirken. Deshalb werden ökologische und soziale Themen für die Wirtschaft immer relevanter. Manager müssen überlegen, was das für ihre Unternehmen bedeutet. Wer hier nicht umdenkt, hat das Nachsehen.
Wo sehen Sie die größten Veränderungschancen?
Wir müssen gerade in den reichen Ländern einen Konsum- und Lebensstil entwickeln, der zukunftsfähig ist. Der Umbau einer Wirtschaftsgesellschaft bietet nicht nur Risiken, sondern auch Chancen für Unternehmen und Gründer. Wir brauchen Entrepreneure, die die großen Probleme der Zeit im Auge haben statt allein auf Gewinnmaximierung zu setzen.
Und hier kommt vermutlich Unternehmertum ins Spiel oder?
Wir brauchen unternehmerische Ideen, die deutlich weniger Ressourcenverbrauch verursachen. Dazu werden sogar Ideen gehören, die den Verzicht auf Konsum attraktiv machen. Das ist ein Thema, das vor allem die jungen Menschen stark beschäftigt. Carsharing ist ein gutes Beispiel: Wenn ich auf ein eigenes Auto verzichte und stattdessen Carsharing-Dienste nutze, hat der Verzicht etwas Angenehmes, weil ich mich nicht um die Versicherung oder Steuern kümmern muss und dadurch mehr Zeit für andere Dinge wie zwischenmenschliche Beziehungen oder Engagement für die Zivilgesellschaft habe.
Welche Vorteile bietet ein solches ökologisch orientiertes Wirtschaftssystem?
Auf Dauer ist eine naturverträgliche Ökonomie die intelligentere und gewinnbringende Alternative. Wir haben in der Vergangenheit durch die Externalisierung von Kosten große Umweltschäden verursacht. Es ist sicher effizienter, wenn wir Kosten, die durch Schäden verursachende Produktion entstehen, etwa die Verschmutzung von Wasser oder Luft, im Vorhinein vermeiden, statt solche Schäden im Nachhinein reparieren und bezahlen zu müssen. Es würde auch die Akzeptanz unseres Wirtschaftssystems erhöhen.
Alle Weisheitslehren und Religionen der Welt sagen, dass ein Mehr an Besitz nicht zum geglückten Leben führt. Es ist daher nicht sinnvoll, immer wieder neue Bedürfnisse herauskitzeln, um sie mit neuen Produkten und Dienstleistungen stillen zu können. Wir können es uns auf Dauer nicht mehr leisten, künstlichen Mangel zu schaffen, nur damit die Unternehmen wachsen und ihre Gewinne steigern können.
Sie kritisieren auch immer wieder das Marketing. Welche Rolle spielt das in diesem Kontext?
Wir erleben immer höhere finanzielle Aufwendungen für das Marketing – Ausgaben für Markenaufbau, Markenpflege, Verkaufsförderung, Promotion von Warenabsatz. Diese Tendenz des Marketing führt zu einer permanenten Eskalation zwischen den Konkurrenten: Ohne dass eigentlich mehr Aufmerksamkeit erreicht wird, sind Unternehmen gezwungen, immer mehr aufzuwenden, um mit der Konkurrenz mithalten zu können und nicht Marktanteile zu verlieren. Diese Eskalation des Marketings resultiert in einem immer höheren Ressourcenverbrauch. Auch dies können wir uns nicht länger leisten.
Stichwort: David gegen Goliath – was sind die Vorzüge von Entrepreneurship gegenüber Großkonzernen?
Mit der Größe eines Unternehmens kommt ganz zwangsläufig auch eine Hierarchisierung. Es braucht einfach mehrere Entscheidungsebenen, und Größe bringt auch regelmäßig mehr Bürokratie mit sich.
Das sieht bei einem Startup natürlich ganz anders aus. Veränderungsprozesse sind hier deutlich schneller umsetzbar. Auch Sympathie und Authentizität sind wichtige Faktoren. Große Unternehmen sind anonymer als kleine. Startups greifen wissenschaftliche Neuentwicklungen rascher auf; die Gründergeneration ist jünger und mit den Formen und den Chancen der Digitalisierung besser vertraut. Sie sind auch an Stimmungen in der Bevölkerung näher dran, und somit an den großen Themen der Zeit.