Die Zeiten, in denen manch einer die Ostsee vom Strandkorb aus mit einer „lauwarme Badewanne“ verwechselt hat, sind vorbei. Das ruhige Wasser spiegelt für den Politikwissenschaftler Sebastian Bruns etwas ganz anderes wider: „In der Ostsee sehen wir wie unter dem Brennglas die Geopolitik im 21. Jahrhundert“, so der Marine-Experte des Instituts für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel.
Ein Blick auf die Landkarte zeigt: Von den neun Ostsee-Anrainern sind acht Staaten Mitglieder der Nato. Dazu kommt Russland, das neben seiner Küstenlinie bei Sankt Petersburg auch über die Exklave Kaliningrad verfügt. Zu Zeiten des Kalten Krieges sicherte die Nato in der Ostsee die Freiheit der Seewege vor dem Warschauer Pakt, erinnert Bruns im Podcast „Wirtschaft Welt & Weit“. Heute geht es nicht nur um internationales Seerecht, sondern vor allem um den Schutz kritischer Infrastruktur, also um Pipelines, Windparks und Unterseekabel.
Ganz zentral an dieser neuen Lage ist der Umgang mit hybriden Bedrohungen, etwa mit der russischen Schattenflotte: Die veralteten Schiffe, die nach und nach auf Sanktionslisten der EU landen, stehen nicht nur im Fokus, weil Putin auf diese Weise seine Kriegswirtschaft versorgt: „Wir gehen davon aus, dass diese Schiffe auch für andere Aktivitäten genutzt werden“, erklärt Bruns. Spionage mit Drohnen, Sabotage an Unterseekabeln sieht er als zentrale Gefahren, denn die Ostsee ist enorm wichtig ist für die europäische Energie- und Datensicherheit.
Deutschland hat die größte Marine im Ostseeraum
Diese neuen Gefahren haben auch den Fokus des Nato-Manövers „Baltic Operations“ verändert, an dem dieses Jahr 9000 Soldatinnen und Soldaten aus 17 Ländern beteiligt sind: Die Übungen in der Ostsee sind viel komplexer, so Bruns: „Es geht um komplizierte U-Boot-Jagdmanöver und um die Einbindung von Heer und Luftwaffe.“ Die Nato-Übung hat Anfang Juni in Rostock begonnen. Dort ist seit Ende 2024 die „Commander Task Force Baltic“ angesiedelt, ein taktisches Hauptquartier, das von der Deutschen Marine geführt wird.
Deutschland hat die größte Marine aller Nato-Staaten im Ostseeraum. „Daraus leiten wir eine Verantwortung ab“, sagt Bruns – nicht ohne zu betonen, dass das „amerikanische Commitment“ für die europäischen Partner von großer Bedeutung ist. Denn – und auch hier zeigt sich die Geopolitik des 21. Jahrhunderts – der Fokus der USA liegt immer stärker auf dem Pazifik: „Wir werden uns darauf einstellen müssen, dass die Amerikaner jetzt Ernst machen mit ihrem Fokus auf China“, warnt Bruns.
Das Ziel: Mehr Verantwortung tragen, die USA aber trotzdem im Boot behalten. „Wir müssen schneller ausrüsten, aufrüsten, mehr sichtbar tun, ohne die Fahne zu sehr in den Wind zu halten“, erklärt Bruns. Dabei sollten wir aber eines nicht vergessen: Es dauert lange, Schiffe zu beschaffen und Besatzungen zu trainieren. Denn bei der maritimen Sicherheit, so der Experte, sei der Fortschritt kein Sprint, sondern ein Marathonlauf.