DIW-Bericht Wie Italien noch zu retten ist

Italiens Ministerpräsident Giuseppe Conte stellte kürzlich Pläne für eine Umweltreform vor
Italiens Ministerpräsident Giuseppe Conte stellte kürzlich Pläne für eine Umweltreform vor
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Hoffnunglos ist die Lage in Italien noch nicht, meint das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in einem neuen Bericht. Die Regierung müsse aber die umstrittenen neuen Schulden in Zukunftsbranchen und Innovation investieren

In diesen Tagen scheint das Maß der Digitalisierung, das Maß aller Dinge zu sein. Schaut man auf eines der schlauen Rankings aus Brüssel, dann liegt selbst Deutschland im europäischen Vergleich der Durchdringung von Wirtschaft und Gesellschaft nur im Mittelfeld. Italien aber ist weit abgeschlagen auf einem der letzten Plätze. Das, so das DIW, ist ein Hauptgrund dafür, dass der Wohlstand beim südlichen Nachbarn – einst in Europas Spitzenliga – sich gefährlich dem Niveau schwächerer Länder wie Spanien nähert. Das sollte Sorgen bereiten. Denn: „Eine positivere ökonomische Zukunft Italiens als Nettozahler in der EU ist für den Fortbestand der EU und des Euroraums von essentieller Bedeutung.“

Haben Spanien und Portugal sich seit der Finanzkrise vor zehn Jahren erholt, so geht es mit Italien eher bergab als bergauf.
Haben Spanien und Portugal sich seit der Finanzkrise vor zehn Jahren erholt, so geht es mit Italien eher bergab als bergauf.
© DIW

Nach einem neuen Bericht des DIW schwächelt Italien gerade in jenen Zukunftsbranchen, die „als Wachstumskerne einer modernen Wirtschaftsstruktur gelten“. Wenn die Regierung in Rom der EU-Kommission schon ein Haushaltsdefizit von 2,04 Prozent abgerungen hat, dann sollte sie das Geld auch sinnvoll ausgeben, schlussfolgern die Experten. Will heißen: gezielt reform- und wachstumsorientiert, und zwar zugunsten der eingebrochenen Baubranche, für Forschung und Entwicklung sowie für die digitale Infrastruktur. „Eine Erhöhung des Staatskonsums um ein Prozent steigert den DIW-Berechnungen zufolge die Wertschöpfung der Unternehmen um 1,8 Prozent im selben Jahr.“ Also überproportional.

Warum aber kommt Italien zehn Jahre nach der Finanzkrise nicht vom Fleck? Die Berliner Forscher zeigen drei Gründe auf, und drei Wege, wie das Land aus der Malaise entkommen kann.

#1 Reformen mit Schieflage zum Arbeitsmarkt

Es ist nicht so, dass Italien die Hände in den Schoß gelegt hätte. Unter wechselnden Regierungen wurde umfassend reformiert, nur gingen sie dabei zu einseitig vor (wie es Rom, Athen oder Madrid von Brüsseler Strukturanpassungsprogrammen auch angetragen war). Weder Lockerungen des Kündigungsschutzes für einen flexibleren Arbeitsmarkt oder höhere Renteneintrittsalter konnten verhindern, dass die Zahl der Beschäftigten in der gewerblichen Wirtschaft (und damit von 31 Prozent der Wertschöpfung im Land) um 1,5 Millionen sank – und das vor allem in kleinen und mittleren Betrieben. „Italien wurde für die Reformen nie belohnt“, sagt DIW-Forschungsdirektor Alexander Kritikos.

#2 Konzentration von Kleinbetrieben vernachlässigt

„Die hohe Arbeitslosigkeit ist strukturell bedingt“, sagt Ökonom Malte Rieth. Was für die deutsche Wirtschaft ein Segen ist – die Kleinteiligkeit des Mittelstands –, ist für Italien von Nachteil. Seine Kleinst- und Kleinunternehmen sind weder wettbewerbsfähig noch innovativ, die Lohnstückkosten gar gestiegen; ihre Wertschöpfung dümpelt unter dem Vorkrisenniveau vor sich hin. Nur mittlere und große Unternehmen produzieren wieder mehr. Betriebe mit zehn Mitarbeitern und weniger stellen aber 46 Prozent aller Beschäftigten. Eingebrochen ist auch das Baugewerbe, das 700.000 Beschäftigte verlor

#3 Sparpolitik trug keine Früchte

Von vielen nicht wahrgenommen, hat Italiens Staatshaushalt durchgängig seit 2009 einen Primärüberschuss erzielt – also mehr eingenommen als abzüglich der Zinskosten ausgegeben, betont Kritikos. Für den Preis eines ausgeglichenen Haushalts gab es Steuererhöhungen, Schuldenbremse und Privatisierungen, aber keine öffentlichen Investitionen. „Die Sparpolitik hat keine Früchte getragen“, so der Forschungsdirektor. Der Anstieg der öffentlichen Schuldenquote von 102 Prozent 2007 auf 130 Prozent: ein Desaster! Aber woran hat es gelegen? Italiens Zinskosten seien fünf Prozent höher gewesen als die Deutschlands; bei schrumpfendem BIP steige die Schuldenquote automatisch. Das wiederum hätten die Finanzmärkte nicht honoriert.

Was also tun, damit es mit Italien wieder aufwärts geht?

#1 Mehr „Gazellen“ von Mailand bis Palermo

„Es bedarf einer neuen Fokussierung bei der Fortsetzung der Reformen“, rät Kritikos. „Wissen fällt nun einmal nicht vom Himmel.“ Anders als etwa in Spanien tragen die wissensintensiven Dienstleistungen nicht zum Wohlstand bei. In Deutschland haben sie sowohl in der Wertschöpfung wie gemessen in Jobs um je 50 und 40 Prozent zugelegt. In Italien stagnieren Hightech (IKT), freiberufliche und technische Dienstleistungen mit hohem Innovationspotenzial laut der Analyse bei 82 bis 96 Prozent des Vorkrisenniveaus. Folglich brauche es Förderung für forschungsintensive Zukunftsbranchen und für die nach europäischem Maßstab unterdurchschnittlich vertretenen „Gazellen“ – schnell wachsende junge Unternehmen.

Neuland: Bei der Digitalisierung ist Italien im EU-Vergleich weit abgehängt.
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© DIW

#2 Besseres Umfeld für moderne Wachstumskerne

Finanzieren, Betriebe gründen oder schließen, Rechte durchsetzen, wenn es hakt: in all diesen „Ease of doing Business“-Faktoren schneidet Italien schlecht ab. Der Anteil staatlicher und privater Ausgaben für Forschung und Entwicklung am BIP liegt näher an dem von Spanien und Portugal als von Frankreich oder Deutschland. Im Innovations-Ranking muss Italien raus aus dem Mittelmaß, so das DIW, um die Transformation in zukünftige Wachstumsbereiche zu vollziehen. „Die Innovatoren verlassen das Land, weil die Rahmenbedingungen ihre Freiheit rauben“, sagt Kritikos.

#3 Haushaltsspielraum sinnvoll einsetzen

„Die Idee ist, aus der Not eine Tugend zu machen“, sagt Malte Rieth. Wenn Italien schon die Staatsquote erhöhe, dann doch bitte produktiv: Statt Transfers in Form von Bürgergeld, die wohl den Handel stützen, nicht aber die Gesamtwirtschaft, sollte die Regierung der brachliegenden Baubranche aufhelfen, F+E-Ausgaben steigern und Defizite in Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT-Infrastruktur) beseitigen. Das würde die Konjunktur überproportional ankurbeln und – eingebettet in einen Reformprozess – auch das Vertrauen der Finanzmärkte steigern.

Und da die DIW-Forscher sich auch Italiens Euro-Kritikern stellen müssen, hat Forschungsdirektor Kritikos noch einen Rat: Das Land sollte nicht verkennen, dass die in weiten Teilen der Bevölkerung als Wachstumskiller verrufene Gemeinschaftswährung dem Land die Chance biete, für wachstumsstarke Investitionen attraktiver zu sein. Geldpolitik sei eben nicht alles. Dennoch müsse auch Europa sich Gedanken machen, was es selbst dazu tun könne, um die Rahmenbedingungen für die Ansiedlung von Innovationen zu verbessern.

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