Capital: Herr Neumann, der chinesische Nationale Volkskongress hat am Montag einen neuen Vizepremier für Wirtschaft und Finanzen benannt. Die Financial Times spricht bereits von Chinas neuem „Wirtschaftszar“. Wer ist Liu He?
Frederic Neumann: Liu He ist schon lange Präsident Xi Jinpings rechte Hand in Wirtschaftsfragen. Er hat seinen Master an der Harvard Kennedy School gemacht und wohl schon seit Jahren dafür plädiert, die Verschuldung einzudämmen und stärkere Reformen durchzusetzen.
Welche Reformen sind jetzt zu erwarten?
Die Finanzmarktregulierung und der Umweltschutz sind Felder, wo die Chinesen wirklich anziehen. Für die Industriepolitik gilt: weg vom Bauwesen, hin zu neuen Technologien. Dazu wollen sie die Urbanisierung etwas reduzieren. Seit vier, fünf Jahren reden wir über diese Dinge, aber es gab immer ein Implementierungsproblem. Jetzt kommt das alles.
Apropos Neuerungen: Xi hat die gesetzliche Begrenzung seiner Amtszeit abschaffen und seinen Namen in die Verfassung schreiben lassen. Ist das gut für die Stabilität der Volksrepublik?
Ob das langfristig Probleme mit sich bringt? Kann sein. Ich bin kein Politologe.
Sondern Ökonom.
Aus ökonomischer Sicht sind diese Entwicklungen zumindest kurz- bis mittelfristig positiv. Am Tag, als verkündet wurde, dass die Begrenzung der Amtszeit abgeschafft wird, ist der Aktienmarkt gestiegen. Die historische Frage in China ist immer gewesen, wie viel Kontrolle Peking über das Land hat. Es gibt dieses alte Sprichwort: Der Kaiser ist fern...
...und der Himmel weit.
Die Amerikaner sagen „the sky is the limit“, aber ich glaube, die meinen etwas Anderes. ( lacht ) Im Ernst: Seit den 90er-Jahren hatte Peking ein Stück weit die Kontrolle über die Provinzen verloren – was die Verschuldung angeht, die Umweltverschmutzung , die Korruption.
Verloren – oder abgegeben? Es gab ja auch Ansätze, die Macht zu dezentralisieren.
Das stimmt. Ich würde aber sagen, es war eher ein Zeichen der Schwäche als des politischen Willens. Xi hat sich zum Ziel gesetzt, die Zügel wieder fester in die Hand zu nehmen. Jetzt sind wir an einem Punkt, wo jede Reform, die er ansetzt, mit viel größerer Wahrscheinlichkeit auch wirklich im ganzen Land umgesetzt wird.
Zu den Reformen, die Deutschland sich schon lange wünscht, gehört ein besserer Marktzugang für deutsche und europäische Unternehmen in China. Ist da was zu erwarten?
China will weiterhin, dass einheimische Firmen an Industrien mit hoher Wertschöpfung beteiligt werden. In strategischen Bereichen wird es weiterhin Joint-Ventures geben müssen, das ist einfach chinesische Politik. Momentan herrscht gerade unter amerikanischen Unternehmen der Eindruck vor, dass alle Möglichkeiten vorbeigezogen seien und man in China im Grunde kein Business mehr machen könne. Das sehe ich anders. Man muss sich eben kooperativ verhalten und den Weg pragmatisch über Joint-Ventures suchen.
Angeblich machen sich die Chinesen große Sorgen, weil chinesische Investitionen hierzulande inzwischen kritischer betrachtet werden. Deutschland und die EU erweitern ihr Instrumentarium, Investitionen zu durchleuchten und gegebenenfalls abzuwehren.
Wenn nun alle FDI abgeblockt werden, wird dies China hemmen. Es wird aber nicht verhindern, dass China eigene Technologien entwickelt. Wie hoch innovativ das Land inzwischen ist, wird immer noch unterschätzt. Wenn die Chinesen etwas nicht kaufen dürfen, machen sie es einfach selbst. Sie setzen eigene Standards, und sie haben den größten Markt.
Wo zeigt Chinas Innovationsförderung die größten Erfolge?
Ich habe kürzlich einen CEO aus dem Silicon Valley gefragt, was er von Shenzhen hält. Er hat geantwortet: Die Ideen, die dort entstehen, werden doppelt so schnell umgesetzt wie im Valley. Im IT-Bereich passiert sehr viel, etwa bei der Gesichtserkennung. Auch in der Pharmazie: Die Chinesen entwickeln zum Beispiel eigene Krebsmedikamente. Im Bereich der Künstlichen Intelligenz gibt es eine Firma aus Peking, die macht einen KI-Chip, den man jetzt auch beim autonomen Fahren einsetzt. Eine ganz andere Technologie, als wir sie benutzen, mit visueller Erkennung, keine Laserabtastung. Das ist sehr vielversprechend. Es brodelt in China nur so von Ideen.
Wie bewerten Sie die Entwicklung der Beziehungen zwischen China und dem Westen seit dem Antritt von Donald Trump? Der hat während des US-Wahlkampfs ja sehr deutlich gesagt, er werde eine harte Chinapolitik fahren. Kommt der befürchtete Wirtschaftskrieg?
Nichts wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Wenn man sich das vergangene Jahr anguckt, da gab es nicht viele Friktionen. Jetzt gibt es mit den US-Zöllen auf Stahl und Aluminium zwei Fälle, vielleicht kommen in diesem Jahr noch ein, zwei weitere hinzu. Aber im Großen und Ganzen glaube ich nicht, dass es zur Eskalation kommt.
Woher nehmen Sie diese Zuversicht?
Die Chinesen sind sehr pragmatisch. Sie verstehen, dass der Freihandel im Westen an Unterstützung verloren hat. Sie versuchen jetzt, das abzufangen, indem sie ihre Währung steigen lassen oder höhere Importe fördern. Übrigens: Auch die Amerikaner verstehen, dass die Verbindungen zu China zu eng sind, um radikal vorzugehen. GM verkauft mehr Autos in China als in den USA. Wirtschaftskrieg, das ist ein bisschen weit hergeholt.
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Chinesische Übernahmen in Deutschland

#6 Ledvance: 2015 war es beschlossene Sache: Die Osram Licht AG lagert ihr traditionelles Lampengeschäft mit rund einem Drittel der Belegschaft aus. Im Juli 2016 ging das eigenständige Unternehmen Ledvance an den Start. Wenige Tage später wurde bekannt, dass die Firma verkauft wird. Seit 3. März 2017 gehört Ledvance dem chinesischen Investmentkonsortium, bestehend aus dem strategischen Investor IDG Capital, dem LED-Hersteller MLS CO., LTD. und Yiwu State-Owned Assets Operation Center. Kostenpunkt: rund 500 Millionen Euro.

#5 Krauss-Maffei: Es war der bis dato teuerste Kauf eines deutschen Unternehmens durch chinesische Investoren und läutete das große Übernahmejahr 2016 ein. Im Januar verkaufte der kanadische Finanzinvestor Onex den Münchener Spezialmaschinenbauer Krauss-Maffei für 925 Millionen Euro an die staatliche chinesische National Chemical Corporation (ChemChina). Dabei handelte es sich wohlgemerkt nicht um den Panzerhersteller Krauss-Maffei Wegmann, sondern um den Kunstoffmaschinenspezialisten, der mit dem Rüstungskonzern lediglich gemeinsame Wurzeln teilt. 2016 gaben chinesische Unternehmen in Deutschland die Rekordsumme von rund 13 Milliarden Dollar aus, im Jahr zuvor waren es gerade einmal 900 Millionen Dollar gewesen. Das ergab eine Analyse der Beratungsgesellschaft Ginkgo Tree für die „Welt am Sonntag“. Demnach gingen über 50 Prozent der Investitionen in die traditionell starken deutschen Branchen der Industrieausrüster und Maschinenbauer.

#4 Wind MW: Nach Solarzellen nun die Windkraft: Im Sommer 2016 übernahm China Three Gorges den Offshore-Windpark „Meerwind“ nördlich von Helgoland. Der weltweit größte Wasserkraftproduzent kaufte der US-Beteiligungsfirma Blackstone ihre 80 Prozent der Anteile an der Betreibergesellschaft Wind MW ab. Der Vertrag wurde in Anwesenheit von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und des chinesischen Ministerpräsidenten Li Keqiang in Peking unterzeichnet. Der Wert des Deals wird auf etwa 1,2 Milliarden Euro geschätzt.

#3 EEW Energy from Waste: Bereits im Februar 2016 gab es einen neuen Übernahmerekord zu vermelden. Die chinesische Holding Beijing Enterprises kaufte für 1,438 Milliarden Euro den Abfallkonzern EEW Energy from Waste aus Helmstedt. Das war nach Angaben des bisherigen Eigentümers, des schwedischen Investors EQT, die bislang größte chinesische Direktinvestition in ein deutsches Unternehmen.

#2 Ista International: Ganz andere Dimensionen hatte der Kauf des Energiedienstleisters Ista International mit Sitz in Essen. Der ging im Sommer 2017 für 4,5 Milliarden Euro an zwei Unternehmen des chinesischen Milliardärs Li Ka-shing. Der Unternehmer wird aktuell vom Wirtschaftsmagazin „Forbes“ als der 19. reichste und 33. mächtigste Mensch der Welt geführt. 2017 war eine solche gewaltige Übernahme allerdings kein Schock mehr. Den hatte es bereits ein Jahr zuvor gegeben.

#1 Kuka AG: Diese Übernahme schreckte auf. Im Sommer 2016 übernahm der chinesische Midea-Konzern für 4,5 Milliarden Euro rund 95 Prozent der Anteile am Augsburger Roboterbauer Kuka. Der Mega-Deal schürte Befürchtungen, hier werde strategisch wichtige Technologie einfach an die ausländische Konkurrenz verkauft. Schließlich setzt die chinesische Regierung mit ihrem Modernisierungsprogramm „Made in China 2025“ verstärkt auf Übernahmen auch in Deutschland. Zumindest für die Belegschaft war der Deal offenbar kein Weckruf mit Folgen. „Nach einem Jahr mit dem neuen Eigentümer Midea ist von Angst bei Kuka nichts zu spüren“, berichtete der Bayerische Rundfunk Ende 2017.