„Hier werden die Taxis vorfahren“, ruft Alexander Zinell und dreht sich um. „Da kommen die Check-in-Schalter hin. Da die Security und da die Lounges.“ Zinell deutet auf noch nicht vorhandene Straßen, auf kahle Wände, auf Arbeiter, die Rohre anstreichen.
Er ist noch eine Baustelle: der neue Terminal am Flughafen von Thessaloniki, das Großprojekt des neuen deutschen Betreibers Fraport. Aber Fraport-Manager Zinell hat genau im Kopf, wie es hier bald aussehen wird. „Hier war im Herbst 2018 noch absolut nichts“, schreit er gegen den Lärm der Flexmaschine an. „Eine unglaubliche Leistung!“

Alexander Zinell, 52, hochgewachsen, kahl rasiert, Dreitagebart und Lachfalten, will liefern. Der Chef von Fraport Greece hat sich vorgenommen, diesen Terminal zu einem Vorzeigebau zu machen – und zu einem Beweis aus Stahl, Glas und Beton, dass Fraport gut ist für Griechenland. Dass die Entscheidung des fast bankrotten Staates richtig war, den Betreibern des Frankfurter Flughafens 14 heimische Airports anzuvertrauen. Dass die Deutschen keine Krisenprofiteure sind, die Griechenlands Staatseigentum ausschlachten. Sondern Partner, die mithelfen, das Land aus der Misere zu holen.
Griechenland ist im Umbruch. Mal wieder. Im Sommer haben die Griechen den linken Premierminister Alexis Tsipras abgewählt, nun hat Kyriakos Mitsotakis in Athen übernommen. Der Politiker der konservativen Nea Dimokratia versucht, Aufbruchstimmung zu verbreiten – und ein Schlüssel dabei sind große Privatisierungsprojekte. Teils lange geplant, sollen sie weiter Geld ins Land spülen und Arbeitsplätze schaffen.
Aber wenig hat in Griechenland in den letzten Jahren die Gemüter derart erhitzt wie der Verkauf von Staatseigentum. Hat sich die Stimmung mit der Wahl gedreht? Sind die Griechen nun bereit, sich auf Investoren einzulassen? Fraport ist da nur eines von vielen Beispielen. Aber eines, das zeigt: Es kommt darauf an.
40 Jahre Flugbetrieb
Alexander Zinell hat hier viele Hüte auf. Er ist nicht nur Manager, Bauherr, Repräsentant. Er ist auch Diplomat, seit seinem ersten Tag. Kaum ein Privatisierungsprojekt in Griechenland wurde so kontrovers diskutiert wie dieses: Der griechische Staat verpachtete 14 Flughäfen von Thessaloniki über Mykonos bis Korfu, über vier Jahrzehnte, mitten in der Schuldenkrise, ausgerechnet an ein deutsches Unternehmen.
Der Deal sah Folgendes vor: Das Fraport-Konsortium zahlt dem griechischen Staat 1,24 Mrd. Euro und überweist nach der Übernahme 40 Jahre lang eine jährliche Abgabe, zunächst 22,9 Mio. Euro. Dazu verpflichten sich die Deutschen, mindestens 330 Mio. Euro in die maroden Airports zu investieren. Dafür bekommen sie das Gros der Passagierabgaben – und die unternehmerische Kontrolle über die 14 Flughäfen. Das missfiel vielen Griechen.
„Besatzer“ seien die Deutschen, schimpfte ein Gewerkschaftsboss – und rief Flughafenmitarbeiter zum Streik auf. „Als wären wir eine Kolonie“, zürnte der Bürgermeister von Korfu. Kritikpunkte unter anderem: Fraport bekäme ausgerechnet die einzigen griechischen Flughäfen, die ohnehin profitabel seien. Während die Gewinne nach Deutschland abflössen, müsse der griechische Staat Flughafenmitarbeiter entschädigen, die Fraport nicht weiterbeschäftigt. Nicht einmal Steuern müsse Fraport zahlen, und überhaupt: Was für eine „Privatisierung“ sei das? Tatsächlich ist Fraport ja selbst mehrheitlich in Staatsbesitz.

Teile von Tsipras’ Partei Syriza wollten nach ihrer Wahl 2015 den von der Vorgängerregierung eingeleiteten Deal rückgängig machen. „Anfangs wussten wir gar nicht, ob es weitergeht“, sagt Zinell. „Das Projekt stand kurzzeitig auf der Kippe.“
Dass die neue Regierung doch davor zurückschreckte, lag wohl daran, dass Tsipras kaum anders konnte. Griechenland stand vor dem Staatsbankrott. Und die Geldgeber, allen voran Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, knüpften ihre Rettungsmilliarden an die Privatisierungen und andere Leistungen. Sie forderten explizit, den Fraport-Deal bestehen zu lassen. Am Ende gab Tsipras nach. Er hatte keine Wahl.
Einfach wurde es für Fraport auch danach nicht. Verkehrsminister Christos Spirtzis (parteilos) erklärte, er hätte sich gewünscht, dass „dieser Notverkauf nie durchkommt“. Die Luftfahrtgewerkschaft Osypa trommelte zum Kampf gegen die Deutschen. Ihr Chef Vassilis Alevizopoulos reichte Klage beim griechischen Verwaltungsgericht ein.
Die Fraport-Leute mussten Überzeugungsarbeit leisten. 2017 sollten die Flughäfen übernommen werden, schon Monate davor sprachen sie mit Politikern und Bürokraten. Vor allem aber veranstalteten sie Bürgerversammlungen, bei allen 14 Flughäfen. Jeder konnte kommen und Einwände vortragen. „Es war das erste Mal überhaupt, dass sich jemand mit der Bevölkerung zusammengesetzt hat“, sagt Zinell. Er und andere Fraport-Manager tourten herum, hörten zu und stellten ihre Renovierungs- und Ausbaupläne vor. „Wir haben den Leuten erklärt, dass wir alle dasselbe wollen: Wachstum und mehr Touristen“, erzählt Zinell.
Das beste Argument der Fraport-Leute waren die Flughäfen selbst. Die belegten bei Passagierumfragen Spitzenplätze – allerdings in der Kategorie der schlechtesten Flughäfen. Als Beispiel eine Bewertung von der Website „The Guide to Sleeping in Airports“: „Das ist kein Flughafen, das ist eine Notevakuierungsszene aus dem Film ‚World War Z‘.“
Der Chef von Aegean Airlines erinnert sich noch gut an die Zeiten. „Wir haben damals in den Flughäfen unsere Stationsmanager zu den Toiletten geschickt, um sie mit Papier und Seife auszustatten“, sagt Dimitrios Gerogiannis. „Sonst hätte das niemand getan.“ Der ehemalige Daimler-Manager, 58, hat Aegean zur führenden Airline Griechenlands gemacht. Die private Fluggesellschaft hat die Griechenlandkrise ohne betriebsbedingte Kündigungen überstanden. Und dabei sogar den einstigen staatlichen Rivalen Olympic geschluckt. Aegean ist ein Krisengewinner – genau wie Fraport.
Als die Übernahme näher rückte, wurden die Deutschen überflutet von Bewerbungsschreiben. Rund 80.000 Menschen wollten bei ihnen arbeiten, erzählt Alexander Zinell. Viele Kandidaten hätten sich aus sicheren Jobs heraus beworben. „Die Leute wollen hier etwas aufbauen. Zeigen, dass etwas möglich ist.“
Am 11. April 2017 um Mitternacht dann bekamen die Deutschen das Kommando über die 14 Airports. Wenige Minuten später verwehrte die neue Sicherheitsmannschaft des Flughafens Chania auf Kreta einem Pizzaboten die Einfahrt zum Rollfeld. Der hatte bis dato manchmal mit dem Motorroller Pizza an Piloten geliefert – und die Security hatte ihn durchgewunken. Die neue Sicherheitsmannschaft schickte ihn zurück.

In den ersten Tagen räumten die Fraport-Leute vor allem auf. Sie sammelten Müll ein, der herumlag. Erfassten Uraltgeräte, bestückten Toiletten mit Sitzen, Klopapier, Handtüchern und Seife. Dann nahmen sie sich die Klimaanlagen vor. Und die IT: Auf Mykonos liefen die Computer noch auf Windows 3.1, dem Betriebssystem von 1992. Die neuen Eigentümer brachten Ordnung in die Abläufe, lernten Mitarbeiter an, ließen Fassaden streichen. Dann fingen sie an umzubauen: Allein auf zehn Flughäfen will Fraport die Terminals neu bauen oder runderneuern; insgesamt haben die Deutschen schon mehr als 400 Mio. Euro für Investitionen bereitgestellt.
Aegean-Chef Gerogiannis ist der wichtigste Fraport-Kunde in Griechenland. Und zufrieden: „Das ist jetzt ein ganz anderer Komfort für die Passagiere.“ Private Unternehmen seien in der Regel flexibler und kundenorientierter als Staatsbetriebe, meint er. Und wünscht sich mehr Privatisierungen in Griechenland – auch in anderen Wirtschaftssektoren.
„Eine Win-win-win-Situation: für die Passagiere, für Fraport und für Griechenland“ sei der Fraport-Einstieg, sagt auch der oberste Privatisierer der Nation. Riccardo Lambiris, ein freundlicher Mittvierziger mit randloser Brille, ist Chef der griechischen Privatisierungsbehörde. Natürlich hat er großes Interesse, den Deal als Erfolg darzustellen.
50 Mrd. Euro sollte der Verkauf von Staatseigentum in die leere Kasse spülen, so die Vorgabe der internationalen Geldgeber. Tatsächlich haben die Privatisierungen bislang erst knapp 9 Mrd. Euro eingebracht. „Aber inklusive der Investitionen der neuen Eigentümer sind es fast 30 Milliarden“, rechnet Lambiris vor. Bei der Schuldentilgung helfen die Investitionen Griechenland allerdings nicht.
Dennoch schwärmt Lambiris von Privatisierungsprojekten, etwa der Staatsbahn, die nun die italienische Bahn betreibt, oder dem Hafen von Piräus, den der chinesische Konzern Cosco weitgehend übernommen hat. „Privatisierung ist einer der Schlüsselfaktoren für den Wiederaufschwung“, sagt Lambiris.
Tatsächlich hat sich Griechenlands Lage verbessert. Trotz eines Staatsschuldenbergs von rund 180 Prozent des Bruttoinlandsproduktes kann sich Griechenland an den Kreditmärkten eigenständig Geld leihen – zu historisch niedrigen Zinsen. Im Herbst fiel die Rendite der zehnjährigen Staatsanleihe zeitweise unter 1,2 Prozent. Die Wirtschaftsleistung ist zwar noch niedriger als vor der Krise, aber sie wächst nun schon drei Jahren in Folge, zuletzt mit Raten von über zwei Prozent. Die Arbeitslosenquote ist mit 16,7 Prozent weiterhin hoch, doch auf dem niedrigsten Stand seit acht Jahren. Besondere Hoffnungen setzt Lambiris auf ein Mega-Privatisierungsprojekt: den Geisterflughafen von Athen – der bislang der Inbegriff für den jahrelangen Stillstand in Griechenland ist.
Der Geisterflughafen
Die „Olympic Eagle“ war einst der Stolz von Olympic Airlines, jetzt ist die Boeing 747 ein Wrack. Die Reifen platt, die Triebwerke ausgeschlachtet – so rostet der Jumbo auf dem alten Flughafen Athen-Ellinikon vor sich hin. Daneben vergammeln drei weitere ausrangierte Boeings, die Flügel sind teils abgebrochen.
Früher war Athen-Ellinikon der wichtigste Flughafen Griechenlands, doch als die Stadt 2001 einen neuen Airport bekam, wurde er stillgelegt. Seither verfällt er. Unkraut wuchert auf der Startbahn, überall Müll, in den Hallen hängen Kabel aus der Decke. Für viele Griechen symbolisiert dieser Ort, was jahrelang schieflief. Immer wieder sollte das Gelände für neue Projekte freigegeben werden – ein Areal dreimal so groß wie Monaco, direkt am Strand.

2014 erhielt der Immobilieninvestor Lamda Development den Zuschlag, hinter dem Konzerne aus Abu Dhabi und China stehen. Lamda plante, 8 Mrd. Euro in ein Stadtentwicklungsprojekt mit Hotels, Luxuswohnungen und Casino zu stecken. Aber Syriza-Politiker und die Bürokratie sorgten dafür, dass sich die Freigabe immer wieder verzögerte.
Der neue Premierminister hat versprochen: Bald geht es los. Noch vor Ende des ersten Quartals sollen die Baumaschinen auffahren. Laut dem Forschungsinstitut IOBE würde das Projekt 10.000 Menschen Arbeit geben und die Wirtschaftsleistung um 2,4 Prozent steigern.
Genug Argumente, um Skeptiker zu überzeugen? Nein. Es gibt weiter genug Menschen mit Einfluss, die solche Deals ganz anders sehen. Vassilis Alevizopoulos etwa, der Chef der Luftfahrtgewerkschaft. Er sei nicht prinzipiell gegen ausländische Investoren, erklärt er, aber Infrastruktur gehöre in staatliche Hände.
„Erpresst von Schäuble“
Schnell ist man mit Alevizopoulos wieder beim Fraport-Deal. Dort, sagt er, sei es nicht mit rechten Dingen zugegangen. „Unsere Regierung wurde erpresst von Herrn Schäuble; das hat mir Tsipras so gesagt“, erklärt er. „Unsere Flughäfen wurden besetzt.“ Fraport habe dem Staat einen viel zu niedrigen Preis bezahlt – und investiere jetzt nur das Allernötigste. „Wenn wir die Flughäfen noch selbst in unseren Händen hätten“, sagt er, „dann würden wir es viel besser machen als die Deutschen.“
Das wiederum sei eine kühne Aussage, findet Elias Melissas. Der 46-Jährige hat erlebt, wie es zuging, als Thessalonikis Flughafen noch in Staatshand war. Damals arbeitete er hier für die Luftfahrtbehörde. „Ein öffentlicher Betrieb mit Strukturen wie aus den Fünfzigern“, sagt er. Als dann in der Krise das Geld knapp wurde, mussten sie hart sparen. „Wir haben uns nur noch darauf konzentriert, den sicheren Flugbetrieb aufrechtzuerhalten.“ Die Technik war total veraltet, im letzten Jahr Staatsbetrieb gab es allein bei den Gepäckbändern rund 250 Defekte.
Melissas hatte einen krisensicheren Job bei der Behörde: Beamter auf Lebenszeit. Und doch schmiss er hin, um bei Fraport anzuheuern: als Flugbetriebsleiter für Thessaloniki, mit kündbarem Vertrag. „‚Du bist verrückt‘, haben einige Kollegen gesagt“, erinnert er sich. Aber er hält die Entscheidung weiter für richtig. Der Betrieb laufe besser als früher, die Passagiere seien zufriedener, er selbst stolz auf seine Arbeit. Neulich hat er seinem siebenjährigen Sohn den Flughafen gezeigt. Wenn der neue Terminal startet, will er ihn wieder mitnehmen. Im Oktober soll es so weit sein.
Doch bis dahin gibt es noch viel zu tun. Die neue Startbahn, die schon 2016 in Betrieb gehen sollte, ist noch immer nicht bereit. Und ein Kulturwandel ist auch nicht überall spürbar. Im alten Terminal etwa, in dem derzeit der Flugbetrieb läuft, haben die meisten Steckdosen im Ankunftsbereich keinen Strom. Ein Mitarbeiter sagt lapidar: „Gehen Sie doch zum Abflug.“ Als Zinell auf die Defekte angesprochen wird, kündigt er an, sie sofort beheben zu lassen.
Am Tag drauf sind die Steckdosen noch immer tot.
Der Beitrag ist in Capital 02/2020 erschienen. Interesse an Capital ? Hier geht es zum Abo-Shop , wo Sie die Print-Ausgabe bestellen können. Unsere Digital-Ausgabe gibt es bei iTunes und GooglePlay