Eigentlich möchte man meinen, dass die kommunistische Führung Chinas in den vergangene Monaten massiv an Popularität gewonnen hat. Während die USA in der Bekämpfung der Pandemie versagen und die amerikanische Wirtschaft in die schwersten Wirtschaftskrise seit der Großen Depression schlittert, vermeldet China pro Tag eine Handvoll von Neuinfektionen.
Als wahrscheinlich einzige große Industriemacht der Welt wird die Wirtschaft der Volksrepublik am Ende dieses Jahres gewachsen sein . Und das Leben läuft wieder halbwegs normal, sogar der Inlands-Tourismus boomt, wie man jüngst während der Golden Week, der landesweiten Ferienwoche Anfang Oktober beobachten konnte.
Trotzdem aber konnten Präsident Xi Jinping und die Kader um ihn bisher nicht punkten. Im Gegenteil: Eine Anfang Oktober veröffentlichte Umfrage des PEW-Instituts aus Washington zeigt: China ist im Ausland so unbeliebt wie seit 1989 nicht mehr.
Das Institut befragte Menschen in 14 Ländern darüber, ob sie die Volksrepublik China als Bedrohung wahrnehmen. In allen Staaten stieg der Prozentsatz derjenigen, die eine negative Meinung über Peking haben teils rasant an. Waren es in Australien 2014 noch 37 Prozent, sind es heute 79 Prozent. In Deutschland sahen 2014 62 Prozent China als Bedrohung, heute sind es 78 Prozent.
Trumps Anti-China-Wahlkampf
Trump hat in seiner Amtszeit Stimmung gegen China gemacht. Im Wahlkampf wird er nicht müde zu betonen, dass ein Wahlsieg seines Konkurrenten Joe Biden im Sinne der Führung in Peking ist. „Wenn Biden gewinnt, gewinnt China“, sagte er auf einer Wahlkampfveranstaltung in Ohio am 21. September.
Kurz davor hatte er sich in einer Radiosendung noch drastischer geäußert: „Wenn ich nicht die Wahlen gewinne, werden China die USA gehören. Ihr werdet Chinesisch lernen müssen.“ Bei anderer Gelegenheit sagte er: „China will, dass ich verliere.“
Trump war es, der 2018 den Handelskrieg mit Peking begann, Sanktionen gegen Kader der Kommunistischen Partei verhängte, und Tech-Firmen wie Huawei und Tiktok gegen das Schienbein trat. Seit der Pandemie lässt er keine Gelegenheit aus, die Schuld daran China zu geben. Zudem bietet Trump mit seinen zahlreichen verbalen Entgleisungen ein einfaches Ziel für Kommentatoren und Karikaturisten an. Demnach müsste die Führung in Peking darauf hoffen, dass Trumps Kontrahent Biden das Rennen macht.
Systemkonkurrenz im Vordergrund
So ganz einfach aber ist die Sache eben nicht. Die KP ist dafür bekannt, in längeren Linien zu denken. Wichtiger als die Frage, wer am 3. November in den USA die Wahl gewinnt, und ob sich die Beziehungen zwischen beiden Staaten unter einem Präsident Biden wieder verbessern, ist die der Systemkonkurrenz.
So twitterte der für harsche Töne bekannte Chefredakteur der nationalistischen Tageszeitung „Global Times“, am 24. Juni: „Ich empfehle dem amerikanischen Volk dringlichst, Trump wiederzuwählen, weil in seinem Team so viele Verrückte sind wie (Außenminister) Pompeo. Sie tragen dazu bei, die Solidarität und den Zusammenhalt in China zu stärken. Das ist wichtig für Chinas Aufstieg.“
Twitter ist innerhalb Chinas gesperrt, weswegen sich Hus Tweet vor allem an ein internationales Publikum richtet. Innerhalb Chinas nämlich hat man den Großteil der Bevölkerung durch jahrelang konstante Propaganda-Beschallung ohnehin schon überzeugt. Die Botschaft: „Seht nur, wie viel Chaos Wahlen verursachen und welche Verrückten dabei an die Macht gelangen können. Wie viel vernünftiger ist da doch, die stabile Oligarchie der kommunistischen Partei Chinas.“
Die Politik der Führung in der Corona-Pandemie verfolgt ein ähnliches Ziel: Während man die eigenen Patzer und Fehler in den Anfangsphase der Pandemie verschleiert und vertuscht, hat man ein rigides System an den Außengrenzen eingeführt. Einreisende jeglicher Nationalität müssen sich zwei Wochen in strikte Quarantäne begeben. Die implizite Botschaft: China ist sicher, die Gefahr droht von außen.
Die Regierungspresse stellt die USA als maroden Koloss dar – dessen demokratisches Regierungssystem ineffizient und entscheidungsunfähig ist. Vor allem der eigenen Bevölkerung will man klar machen: Die kommunistische Partei sorgt für Ruhe und Stabilität – kommt bloß nicht auf die Idee demokratischer Experimente.
Im Moment setzt man darauf, dass sich das westliche System selbst diskreditiert. Das dürfte auch der Grund sein, weshalb Peking in den vergangenen Monaten auf amerikanische Provokationen wie die Schließung des chinesischen Konsulats in Houston relativ verhalten reagiert hat.
Reaktionen eher einstimming
Bei vielen Chinesen kommt diese Botschaft an. Auf chinesischen Social-Media-Plattformen wie Weibo ist die Stimmung antiamerikanischer und nationalistischer denn je (Kritik an der eigenen Regierung wird allerdings auch umgehend gelöscht. Darüber wacht ein Heer von Zensoren). „Ich will, dass Trump gewinnt. Davon wird China profitieren“, schreibt ein Nutzer. Ein anderer namens zgshh2002 schreibt: „Das westliche Wahlsystem ist eine Farce - wie viele von uns sind noch dumm genug, daran zu glauben?“
Hätte es Peking aber unter Joe Biden tatsächlich leichter? Fakt ist, dass Biden seit 1979 immer wieder nach China gereist ist. Von Xi Jinping wurde er 2013 als „Lao Pengyou“, als alter Freund, bezeichnet – eine Ehre.
Sein Sohn Hunter Biden, der auch in der Ukraine in einen Korruptionsskandal verwickelt ist, reiste seinem Vater nicht selten hinterher, um gute Stimmung für amerikanische Investmentfonds zu machen, an denen er beteiligt ist. Biden selbst gibt sich als China-Kenner. Er habe mit keinem Staatsoberhaupt mehr Zeit in privaten Gesprächen verbracht als mit Xi Jinping, sagte Biden 2018 einmal. Insofern kann man davon ausgehen, dass sich unter Biden zumindest die Rhetorik beruhigen würde.
Auch dürfte er wieder mehr auf internationale Zusammenarbeit setzen. Ob das der Führung in Peking nutzt, ist aber eine andere Frage. Denn eine Einbindung Chinas in internationale Abkommen einerseits und eine einheitliche Front westlicher Demokratien gegen China, ist kaum im Sinne der Machthaber in Peking. Die neue, konfrontative China-Politik Washingtons gilt mittlerweile in beiden Parteien als lange überfällig. Das weiß man auch in Peking.