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Asien Wie China im Vorfeld der Scholz-Reise auf Deutschland blickt

Revers mit Fahnensticker
Revers mit Fahnensticker: Wie entwickelt sich das deutsch-chinesische Verhältnis?
© IMAGO / Steinach
Bundeskanzler Olaf Scholz steht wegen seiner Zustimmung für den Cosco-Zukauf in Hamburg innenpolitisch unter Druck. Auf Besuch in Peking hat er dagegen erheblichen Handlungsspielraum. Hier hilft ihm seine Unterstützung für Cosco sogar

Dieser Artikel liegt Capital.de im Zuge einer Kooperation mit dem China.Table Professional Briefing vor – zuerst veröffentlicht hatte ihn China.Table am 1. November 2022.

Viel Zeit ist nicht auf seinem Tagesausflug nach China. Dennoch muss Bundeskanzler Olaf Scholz in Peking etwas bewegen: Nur so kann er den innenpolitischen Druck lindern, der sich nach seiner Zustimmung für den Teilverkauf eines Terminals des Hamburger Hafens noch einmal deutlich erhöht hat.

Das Gespräch mit Premierminister Li Keqiang, vom Rang her sein genaues Gegenstück, wird sicherlich interessant, ist aber nicht mehr wichtig. Lis Fraktion wurde entmachtet. Interessant ist nur noch, welche Tonlage er als Verlierer wählt. Entscheidend wird das Gespräch mit Xi Jinping, dem Staats- und Parteichef, der seit dem 20. Parteitag so mächtig ist wie noch nie.

Doch wie sieht die Welt aus der Sicht von Xi aus? Mit wem im Westen kann Peking sprechen, um bei den großen Themen wie dem Ukrainekrieg, der Pandemie-Bekämpfung und vor allem dem Klimawandel voranzukommen? Themen, die auch das neue selbstbewusste bis nationalistische China Xis nicht allein lösen kann.

Scholz ist einer der Wenigen, mit denen Peking reden kann

Aus der Sicht Pekings ist die Gruppe derjenigen im Westen, mit denen ein Konsens möglich erscheint, nicht groß. Der sowieso schon schwache US-Präsident Joe Biden verliert voraussichtlich am 8. November die Mehrheit sowohl im Kongress als auch im Repräsentantenhaus. Beide kennen sich noch aus Vizepräsidentenzeiten gut. Doch Bidens Spielraum ist gering.

Mit Emmanuel Macron, dem französischen Präsidenten, ist Peking nie recht warm geworden. Er gilt als unzuverlässig. Außerdem steht auch er nach dem Wahlausgang innenpolitisch mit dem Rücken zur Wand. Und die EU? Ursula von der Leyen schmollt angesichts der Sanktionen, gilt in Peking als kaum sichtbar und ohne eigenes politisches Gewicht. Rishi Sunak, der Premierminister Großbritanniens gilt als neu, jung, unerfahren. In Peking ist man überzeugt, dass indische Herkunft nicht hilfreich im Umgang mit China ist. Die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni ist ebenfalls neu. Mit ihrer „Italien zuerst“-Politik ist sie kaum für eine Zusammenarbeit zu gebrauchen. Der Kanadier Justin Trudeau ist sieben Jahre im Amt, konnte aber international kein politisches Gewicht aufbauen.

Es bleibt also Scholz, wenn man mit dem Westen zusammenarbeiten will. Auch wenn ihn Peking womöglich für den Einäugigen unter den Blinden hält. Mit dem Hafen-Deal hat Scholz gezeigt, dass er innenpolitisch hitzebeständig ist. Damit hat er Eindruck in Peking gemacht.

Scholz hat als Gesprächspartner aus Pekinger Sicht allerdings einen großen Nachteil: Er regiert ein Land, in dem die Kritik an China gegenwärtig lauter wird; aus chinesischer Perspektive wird sie schon als feindselig wahrgenommen. Deutschland erscheint dort als ein Land, in dem außerhalb der Wirtschaft die Emotionen die Stimmung beherrschen. Peking weiß, dass Scholz darauf Rücksicht nehmen muss. Nicht nur bei den Wählern, sondern auch innerhalb der Koalition.

Peking hat Gründe, auf Scholz zuzugehen

Peking hat dennoch vier gute Gründe, auf Scholz zuzugehen und ihm gute Angebote zu machen.

  • Er gilt erstens als einer derjenigen EU-Regierungschefs, die ein besonders großes Interesse an einem schnellen Ende des Ukraine-Krieges haben. Er will anders als Washington eher Frieden als einen Sieg, wenn man sich denn entscheiden muss.
  • Deutschland hat zweitens schon früh in Fragen des Corona-Impfstoffes mit China zusammengearbeitet. Schon im Februar 2020 ist der chinesische Konzern Fosun Pharma mit 50 Millionen US-Dollar bei Biontech eingestiegen und hat sich damit die Lizenz der Mainzer für den chinesischen Markt gesichert. Daran kann man anknüpfen. Noch ist jedoch nicht klar, ob Peking das möchte. Biontech-Chef Uğur Şahin jedenfalls möchte. Er reist mit Scholz nach Peking. 
  • Scholz könnte drittens als Kanzler einer der führenden Exportnationen an einer engeren wirtschaftlichen Zusammenarbeit grundsätzlich interessiert sein. BASF-Chef Martin Brudermüller, der auch mitreist, hat bereits signalisiert, dass er aufgrund der schwierigen Energie-Lage in Deutschland einen noch größeren Teil des Geschäfts nach China verlegen muss. Der Branchenverband Gesamtmetall warnt vor „massiven Beschäftigungsverlusten“. Die Bildzeitung titelt bereits „Industrieflucht aus Deutschland“. Das logische Ziel aus Sicht der Chinesen: China. 
  • Der vierte Grund: Aus Sicht Pekings steht Scholz in der Tradition von Angela Merkel, auch wenn er selbst das nicht gerne hören mag. In Peking ist das ein Gütezeichen: hartes Eintreten für die eigenen Interessen – aber gleichzeitig maßvoll und verlässlich.  

Handlungsdruck bei Klimawandel und Ukrainekrieg

Im Ukraine-Krieg geht es darum, eine gemeinsame Sprachregelung zu finden. Sie darf Putin auf chinesischen Wunsch nicht komplett brüskieren, soll aber deutlich werden lassen, dass China, Deutschland und die EU ein gemeinsames Interesse haben, das man bei dem G20-Treffen auf Bali Mitte November voranbringen will: ein Ende des Krieges. Das G20-Format hat dabei einen großen Vorteil: Alle sitzen am Tisch. Biden, aber eben auch Putin. Und es bremst anders als bei der UN kein Vetorecht.

Noch mehr Handlungsdruck gibt es aus Sicht Pekings beim Klimawandel. Der wird immer mehr eine Frage der sozialen Stabilität und damit des Überlebens der Kommunistischen Partei. Das hat China vergangenen Sommer erleben müssen. Und das spiegelt auch schon der Report zum 20. Parteitag wider. Gleichzeitig hat der Westen viel versprochen, aber wenig gehalten gegenüber den Entwicklungsländern. Das Intergovernmental Panel on Climate Change (ICPP) der Vereinten Nationen beklagt sogar, dass „der Westen seine Verpflichtungen“ aus dem Pariser Abkommen gegenüber den „unterentwickelten Ländern nie eingehalten“ habe.

Doch ohne den Westen geht es nicht. Das sieht man selbst in China. Indien und Asien auf Klimakurs zu bringen, wird nicht schwierig sein. Der Leidensdruck ist überall hoch. Doch wie kann Peking mit dem Westen kooperieren jenseits der Vereinten Nationen, die wegen chinesischer Einflussnahme zu langsam und zu umständlich geworden sind? Und vor allem: Wer ist der Ansprechpartner?

Die Deutschen als Ansatzpunkt für Klimapolitik

Olaf Scholz könnte dieser Ansprechpartner sein. Auf eine gemeinsame Ausgangsposition können sich Peking und Berlin einfach einigen: Der Markt allein macht die Welt nicht grün. Man muss ihn regulieren. Da ist auch Wirtschaftsminister Robert Habeck mit im Boot.

In China soll die Regulierung in einer Art „Climate Supply Chain Act" passieren. Der hätte allerdings für deutsche Unternehmen, die in China produzieren und verkaufen, große Auswirkungen. Es sei denn, es ginge um Regeln, die für Deutschland und die EU, für deutsche wie chinesische Firmen in den jeweiligen Ländern gleichermaßen gelten. Es geht also um die ebenso oft geforderte wie ignorierte Reziprozität. Beim Klimawandel allerdings hätte sie eine reelle Chance.

Wie könnte das im Alltag aussehen? Statt dass Deutschland sich im Klimaschutz von China wie beim E-Auto zu neuen Spielregeln zwingen lassen muss, könnten beide Seiten gleich gemeinsame Sache machen. Denn Deutschland und China sind beide entschlossen, die Emissionen zu senken. So könnte es gelingen, ein dauerhaftes Kapitel der nachhaltigen internationalen Zusammenarbeit aufzuschlagen.

Gemeinsame Führungsrolle bei der Emissionsreduktion

Was für ein Mechanismus könnte im Mittelpunkt stehen? Eine von Deutschland und China initiierte Zusammenarbeit würde auf einem dauerhaften, sanktions- und barrierefreien und verlässlichen Handeln basieren – zumindest in einigen klar abgegrenzten Bereichen.

Beim Thema Klimawandel geht dies, ohne, dass der jeweils andere sein Gesicht verliert. Statt darauf zu warten, dass die Klimaschutzverhandlungen unter dem Dach der UN zu belastbaren Ergebnissen führen, die alle Staaten als verbindliche Vorgaben anerkennen, nehmen China und einige große Industriestaaten eine Führungsrolle ein, um die anderen mitzuziehen.

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Das ist ein großes Projekt, aber etwas, was Xi und Scholz mit Blick auf Bali durchaus schon mal anstoßen können. Dann jedenfalls hätte sich die Reise für Scholz gelohnt, und er hätte ein grünes Versöhnungsgeschenk für seinen grünen Koalitionspartner. Denn eines darf Scholz jetzt nicht tun: ohne Blumen von der Geschäftsreise nach Hause kommen, auch wenn er nicht über Nacht geblieben ist.

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