Mehr als 20 Jahre lang produzierte Oliver Betz von München aus Sensoren für chinesische Motorenhersteller. Doch in den letzten Monaten ist der Umsatz von Systec Automotive in China um drei Viertel eingebrochen.
„Die Expansion in China ist kein Thema, über das wir nachdenken. Es geht darum, wie wir den Schaden begrenzen können“, sagt Betz. 65 Prozent der Exporte seines Unternehmens gingen im vergangenen Jahr in die Volksrepublik. Er macht für den Rückgang das langsamere Wachstum verantwortlich, aber auch die Null-Covid-Strategie Pekings und die zunehmende Vorliebe der Chinesen für den Kauf lokaler Produkte, da chinesische Hersteller mit ausländischen Marken gleichziehen.
Die Erfahrung von Betz machen kleine und mittelständische Unternehmen in Deutschland immer häufiger. Sie stellen nach Jahren steigender Umsätze ihre Beziehungen zu chinesischen Partnern auf die Probe.
Deutschland und China: „Gescheiterte Liebesaffäre“
Die deutschen Mittelständler erkennen zunehmend, dass sie sich nicht mehr wie früher auf chinesische Gewinne verlassen können, so Jörg Wuttke, Präsident der einflussreichen Handelslobby EU Chamber of Commerce in China. „Es ist eine gescheiterte Liebesaffäre“, sagt Wuttke.
Der Einbruch droht, eine der weltweit erfolgreichsten Handelsbeziehungen zu zerstören. Durch den Verkauf von Maschinen an chinesische Exporteure florierten deutsche Unternehmen, während die chinesischen Partner zu wichtigen Akteuren in den globalen Lieferketten wurden.
Seit der Jahrtausendwende hat sich der Anteil Chinas an den deutschen Exporten von etwas mehr als 1 Prozent auf 7,5 Prozent erhöht. Er liegt damit nach den USA an zweiter Stelle. Im Jahr 2021 wurden in der Volksrepublik deutsche Waren im Wert von mehr als 100 Mrd. Euro verkauft.
Thorsten Benner, Direktor des Global Public Policy Institute in Berlin, sieht in den Beziehungen den Hauptfaktor für das „goldene Zeitalter des deutschen Wirtschaftsmodells“, das in der Spätphase der 16-jährigen Kanzlerschaft von Angela Merkel zu beobachten gewesen sei.
Die Ökonomin Alicia García-Herrero von der Denkfabrik Bruegel sagt, dass der Aufschwung der Beziehungen zwischen den beiden Exportmächten inzwischen einem Gefühl des Niedergangs in Berlin gewichen sei; die Exporte gingen zurück. „Deutschland verliert seinen Handelsüberschuss und einen Teil seiner Wettbewerbsfähigkeit, zum Teil weil China so schnell auf der Werteskala aufgestiegen ist“, sagt sie.
Dies geschieht zu einem sensiblen Zeitpunkt für die Beziehungen zwischen den beiden Ländern. Der Einmarsch Russlands in der Ukraine hat den deutschen Kritikern Pekings Nahrung gegeben. Ihrer Ansicht werden die wirtschaftliche Beziehungen zuungunsten außenpolitischer Interessen übergewichtet, was zu einer Zusammenarbeit mit potenziellen geopolitischen Rivalen führe.
Kanzler Scholz plant neue China-Strategie
Olaf Scholz, der nächste Woche zu seinem ersten Treffen mit chinesischen Spitzenpolitikern als deutscher Bundeskanzler nach Peking fliegen wird, will im nächsten Jahr seine neue China-Strategie vorstellen. Er steht unter dem Druck seiner Koalitionspartner, der Grünen und der Freien Demokraten, die Beziehungen zu China zu lockern.
Scholz sorgte für Unmut, als er die Ministerien aufforderte, eine Investition des staatlichen chinesischen Schifffahrtskonzerns Cosco in ein Containerterminal im Hamburger Hafen zu billigen. Das Geschäft wurde diese Woche genehmigt. Allerdings übernimmt Cosco eine geringere Beteiligung als geplant, wodurch der Einfluss auf strategische Entscheidungen nicht so groß ist.„Die China-Strategie muss klare Botschaften über die Notwendigkeit aussenden, Abhängigkeiten zu reduzieren und Lieferketten und Handelspartner zu diversifizieren“, sagt Benner.
Berlin signalisiert, dass es die Garantien zur Absicherung von Unternehmen gegen politische Risiken in China reduzieren wird. Das Lieferkettengesetz, das im Januar in Kraft tritt und größere Unternehmen zur Überwachung von Menschenrechtsverletzungen durch ihre Zulieferer verpflichtet, könnte deutsche Investitionen in China weiter erschweren. Es sind zunehmend die Automobilhersteller Volkswagen, BMW und Mercedes-Benz sowie der Chemieriese BASF, die in China investieren.
Die Reaktionen auf die Gräueltaten in Chinas westlicher Grenzregion Xinjiang, wo die Regierung mehr als eine Million Muslime interniert hat, haben sich bereits auf den Umsatz ausgewirkt. Der Sportartikelhersteller Adidas musste im vergangenen Jahr in zwei aufeinander folgenden Quartalen Umsatzeinbußen von 15 Prozent im Großraum China hinnehmen. Das Unternehmen wurde wegen seiner Entscheidung boykottiert, keine Baumwolle mehr aus der Grenzregion zu beziehen.
Der Krieg in der Ukraine lenkt die Aufmerksamkeit der Unternehmen auf das Risiko von Sanktionen, falls China in Taiwan einmarschiert. Die Entkopplung zwischen den USA und China führt dazu, dass sich viele Unternehmen bereits nach alternativen Lieferanten umsehen. Etwas mehr als ein Drittel der vom Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) im Jahr 2021 befragten Mitglieder gaben an, dass die sich eintrübenden Beziehungen sie dazu veranlasst, ihre Geschäftsbeziehungen zu überdenken.
Der hessische Elektrokomponentenhersteller Magnetec, der seit 13 Jahren ein Werk in China betreibt, hat sich wegen der drohenden Sanktionen gegen den Bau eines zweiten Werks in dem Land entschieden. „Wenn unsere Kunden unsere Produkte bestellen, machen sie zur Bedingung, dass sie nicht in China gebaut werden“, sagt Geschäftsführer Marc Nicolaudius. Stattdessen wird das Unternehmen in Vietnam expandieren.
Chinesische Diplomaten setzen deutsche Verbände unter Druck
Die jüngsten deutschen Investitionen in China seien „defensiver“ geworden, sagt Noah Barkin, geschäftsführender Direktor der Beratungsfirma Rhodium Group. Das Geld werde in die lokale Produktion und die Lieferketten investiert, um sich gegen das Risiko von Zöllen zu schützen.
Der Wettbewerb – ob fair oder nicht – bleibt ein Problem. „Unsere Mitglieder wissen, dass jede Technologie, die sie nach China bringen, in relativ kurzer Zeit Teil des chinesischen Marktes sein wird“, sagt der Leiter der Abteilung Außenwirtschaft im VDMA Ulrich Ackermann. „Wir sagen: Seid euch bewusst: Ihr könnt in kurzer Zeit rausgeschmissen werden.“
Ackermann erzählt von einem deutschen Baumaschinenhersteller, dessen staatlicher chinesischer Konkurrent Maschinen an Kunden schickte und sie für das erste Jahr kostenlos zur Verfügung stellte. „Wie können wir da mithalten?“, fragt er.
In dieser angesäuerten Atmosphäre setzen chinesische Diplomaten Wirtschaftsverbände unter Druck, Peking nicht zu kritisieren. Ein Lobbyist berichtet, dass ihm ein chinesischer Regierungsbeamter gedroht habe, die Verbraucher könnten großen Einfluss ausüben, „wenn sich westliche Unternehmen nicht benehmen“.
Trotz aller Spannungen sind viele nicht bereit aufzugeben. „China ist für alle unsere Mitglieder ein sehr wichtiger Markt“, sagt Andreas Rade, Geschäftsführer für Politik und Gesellschaft beim Verband der Automobilindustrie (VDA). „Ein Ausstieg kann nicht die Antwort sein.“
Die Zeiten, in denen China für deutsche Unternehmen eine „Einwegwette“ war, seien jedoch vorbei, sagt Barkin. „Sie ziehen sich noch nicht zurück, aber sie suchen nach Wegen, um ihre Geschäfte vor geopolitischem Gegenwind zu schützen“, sagt er. „Und einige bereiten sich jetzt auf den Tag vor, an dem sie vielleicht gehen müssen.“
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