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Fake-Produkte Wie Betrüger die TV-Show „Die Höhle der Löwen“ missbrauchen

Mit gefälschten Onlinemedienberichten gehen die Betrüger auf Kundenfang
Mit gefälschten Onlinemedienberichten gehen die Betrüger auf Kundenfang
© Jack Richardson
Wie bewirbt man wirkungslose Diätpräparate oder dubiose Bitcoin-Plattformen? Man behauptet, sie hätten bei „Die Höhle der Löwen“ eingeschlagen. Ein Fake – und ein Riesenmarkt. Wir haben die Betrüger enttarnt

Anna und Samantha Kerber ringen mit den Tränen. Die hübschen Schwestern können nicht fassen, was da gerade geschieht. Sie haben ein Diätpräparat entwickelt, es in der Gründershow „Die Höhle der Löwen“ präsentiert – und damit den größten Deal in der Geschichte der Fernsehsendung gelandet. Die Jurymitglieder, routinierte Business-Cracks wie Carsten Maschmeyer und Frank Thelen, hält es nicht auf den Sitzen, sie springen auf, applaudieren. Alle Investoren sind begeistert, buhlen um die Gunst der Schwestern, wollen in das Wundermittel investieren.

Die Erfolgsgeschichte, die in den sozialen Medien kursiert, klingt zu schön, um wahr zu sein. Sie ist es auch nicht. Die Kerber-Schwestern und ihr Durchbruch sind eine Erfindung von Betrügern, die Träume in Pillenform verkaufen: weniger Fett, größere Muckis, mehr Manneskraft, faltenfreie Haut. Das Geschäft mit solchen Präparaten boomt, der Umsatz liegt allein in Deutschland bei weit über 1 Mrd. Euro pro Jahr, Tendenz steigend. Doch wer die Diätpillen der Kerber-Schwestern schluckt, verschlankt damit lediglich sein Bankkonto.

Das Prinzip ist einfach: Über Google, Facebook und andere Plattformen streuen die Betrüger reißerische Schlagzeilen, die auf Sensationserfolge in der „Höhle der Löwen“ hinweisen. Der Link führt zu einem gefälschten Artikel über eine Fernsehsendung, die es nie gegeben hat – mit wild durcheinandergewürfelten Fotos aus unterschiedlichen Länderversionen der Show. Besonders perfide: Um Seriosität zu suggerieren, spiegeln die Betrüger die Inhalte bekannter Nachrichtenseiten wie zeit.de, focus.de oder cnn.com und ersetzen deren Aufmacher durch ihre Jubelarien. Verknüpft ist eine Produktseite mit Bestellfunktion.

Registriert sind die Websites anonym, ihre Urheber lassen sich nicht ausfindig machen. Rückschlüsse auf die Betrüger sind nur möglich, indem man ihren Produkten nachspürt. Wir haben dazu Register in den USA und Großbritannien ausgewertet, Datenbanken abgeglichen, Adressen und Personen überprüft, Gerichtsunterlagen gesichtet – und so ein Netz aus etlichen Scheinfirmen aufgedeckt, das die halbe Welt mit wirkungslosen Wundermitteln beliefert.

Gigantischer Markt

„Wir haben es mit einem gigantischen grauen Markt zu tun“, sagt Armin Valet von der Hamburger Verbraucherzentrale, der besonders vor Produkten aus dem Internet warnt: „Es ist sehr schwer festzustellen, was wirklich in den Produkten steckt. Der größte Teil ist bestenfalls wirkungslos, im schlimmsten Fall gesundheitsgefährdend.“ Manche Konsumenten berichten in Foren über Herzrasen, Schwindel und Übelkeit.

Behörden fällt es schwer, gegen die Verkäufer vorzugehen. Denn ihre Pillen sind keine Medikamente, sondern lediglich Nahrungsergänzungsmittel, womit sie dem Lebensmittelrecht unterstehen. Ein behördliches Zulassungsverfahren gibt es nicht, der Hersteller muss nur die Unbedenklichkeit bestätigen.

„Natürlich dürfen Konsumenten in keiner Weise gesundheitlich gefährdet, getäuscht oder irregeführt werden“, sagt Nina Banspach vom Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit. Das zu kontrollieren ist Sache der Bundesländer, die bei den Wunderpillen jedoch keinen Zugriff haben. „Bei Präparaten aus dem Ausland ist die Behörde des Staates zuständig, in dessen Zuständigkeitsbereich der Onlinehändler sitzt“, sagt Banspach. Die deutschen Behörden bleiben also außen vor. „Eine Abmahnung zuzustellen ist fast unmöglich“, weiß Verbraucherschützer Valet. Die dubiosen Hersteller versteckten sich hinter Scheinfirmen im Ausland, länderübergreifende Ermittlungen seien für die Behörden zu aufwendig.

Auch die eingangs erwähnten Schwestern tauchen in mehreren Ländern auf. Mal sollen sie Kerber heißen, mal Williams, mal Miller, mal Martin. Außer ihnen werben mindestens drei weitere Paare für Pillen und Cremes – und zunehmend auch für dubiose Bitcoin-Handelsplattformen, deren Anbieter für ein Startkapital von 250 Euro ein Leben in Luxus versprechen.

Immer aber geht es um „Die Höhle der Löwen“, das britische Pendant „Dragons’ Den“ oder das US-Format „Shark Tank“. Aus Letzterem stammt auch das Foto der vermeintlichen „Kerbers“. In Wirklichkeit heißen die Schwestern Shelly Hyde und Kara Haught, sie führen ein Bademoden-Start-up für Mütter. „Wir würden den Missbrauch unseres Fotos gerne stoppen“, sagen sie. „Aber wir wissen nicht, an wen wir uns wenden müssen.“

Die „Löwen“ brüllen

Längst sind die „Löwen“ alarmiert. „Die Betrüger wollen vom guten Ruf der Marke profitieren“, heißt es beim Sender Vox. „Wir prüfen rechtliche Schritte.“ Auch Frank Thelen, einer der Jury-„Löwen“, hat seine Anwälte eingeschaltet. Bislang erfolglos. „Die Spuren verlaufen sich im Ausland“, sagt der Tech-Investor.

Thelen sieht sein Image beschmutzt, seine Persönlichkeitsrechte verletzt, weil in den Fake-Berichten immer wieder sein Gesicht auftaucht. Wie sehr die Leute ihn mit den dubiosen Produkten in Verbindung bringen, erfuhr er neulich in einem Café, wo ihn ein Unbekannter auf „seine“ Diätpillen ansprach. „Der Mann bedankte sich, weil er damit vier Kilo abgenommen habe“, erzählt Thelen. „Was soll man da sagen? Die Leute erkennen nicht, dass sie auf Betrüger hereingefallen sind.“ Er habe nur gelächelt, sagt Thelen.

Mit Kollegen hat er sich bereits über die Betrugsfälle ausgetauscht. Es macht ihn wütend, dass Facebook nicht in der Lage ist, die Fake-Links zu erkennen und sofort zu löschen. Ein Facebook-Sprecher gibt sich kleinlaut. Bei Anzeigen werde vor Veröffentlichung geprüft, ob sie gegen Werberichtlinien verstoßen. „Manchmal kann es aber trotzdem geschehen, dass sie zugelassen werden. Hier sind wir auch auf die Menschen auf Facebook angewiesen.“

Thelen reicht das nicht, regelmäßig warnt er vor den Betrügern. „Betrugsanzeigen“, schreibt er bei Twitter: „Ich trade keine Bitcoins. Und NEIN, ich vertreibe auch keine Abnehmpillen.“ Sein „Löwen“-Kollege Carsten Maschmeyer ergänzt: „Das sind Fake News, gestreut von Abzockern!“

Die Präparate, die angeblich die „Kerber“-Schwestern erfunden haben, werden bei Amazon fast alle von der gleichen Firma vertrieben: Nathans Natural, laut Website ein 1999 gegründetes Unternehmen mit Sitz in New York, Forschungslaboren in der Schweiz und Produktionsstätten in der EU. Doch die Firma ist nicht zu erreichen. Mails werden nicht zugestellt, unter der Bestellhotline meldet sich ein Anrufbeantworter. Ein Impressum mit Adresse fehlt, der Facebook-Auftritt ist mit unbezahlten Stockfotos bestückt.

Auf Spurensuche

Bei Amazon wird allerdings eine deutsche Postanschrift für Retouren angegeben. Sie liegt am Niederrhein. In Voerde hat die Rhiem Gruppe ihren Sitz, ein Logistikdienstleister. Geschäftsführer Peter Lorenzi hält sich zu Nathans Natural bedeckt. Rhiem sei nur für Lagerhaltung, Versand und Retouren zuständig, zum Kunden dürfe er sich nicht äußern: „Ohne eine ausdrückliche Einwilligung dürfen wir keine Informationen erteilen.“ Und die liege nicht vor. Eine Sackgasse.

Das Netz aus Scheinfirmen, das hinter Nathans Natural steckt, betreibt einen gigantischen Aufwand: Wir konnten den Firmen 190 Werbevideos in 17 Sprachen zuordnen, einige wurden bis zu 380 000-mal aufgerufen. Es gibt Dutzende Websites für Diätpillen wie Revolyn, Herzolex und Pure Cleanse, Muskelaufbaupräparate wie Horlaxen oder Potenzmittel wie Garnorax, dazu Gesichtscremes und andere Produkte.

Die Betrüger beherrschen die Klaviatur der sozialen Medien, sie fälschen Kommentare bei Facebook und Bewertungen auf Amazon. Jede vernichtende Kritik kontern sie mit mehreren Fünf-Sterne-Urteilen, alle im gleichen roboterhaften Duktus gehalten. In den USA loben Stars wie Oprah Winfrey die Produkte, in Deutschland Sternchen wie Daniela Katzenberger – beide natürlich ungefragt. „Nein, ich mache keine Werbung für irgendwelche Diätpillen“, wehrt sich Katzenberger auf Facebook: „Diese Firma tut dies illegal und ohne meine Zustimmung.“ Auch angebliche Ärzte wie ein „Dr. Mark Weis“ treten als Werbefiguren auf, und Kunden präsentieren stolz ihre Gewichtsverluste. „Echte Menschen, echte Erfolge“, heißt es dazu. Die Lüge ist schnell entlarvt, eine Netzrecherche zeigt, dass die Testimonials wortgleich auf Dutzenden von Seiten auftauchen, immer mit anderen Namen, anderen Geschichten und Produkten.

Die 190 Werbevideos hat bei Youtube ein gewisser Nathan Felder hochgeladen. Bei LinkedIn präsentiert sich unter dem Namen Nathan J. Felder ein grauhaariger Mann mit Schnäuzer und Brille. Der Nutzer, der nur einen einzigen bestätigten Kontakt hat, gibt an, Gründer und Präsident von Nathans Natural zu sein – und zwar seit 1977. Merkwürdig, denn laut eigener Website existiert die Firma erst seit 1999. Zudem will Felder von 1967 bis 1973 an einer Hochschule für Naturmedizin studiert haben. Dort kennt man ihn nicht, was wenig verwundert, da die Uni erst 1978 gegründet wurde.

Ein Detektiv observiert 2005 die Firma Avilan, die in einem ortstypischen Backsteinbau in Brooklyn sitzt
Ein Detektiv observiert 2005 die Firma Avilan, die in einem ortstypischen Backsteinbau in Brooklyn sitzt
© Jack Richardson

US-Datenbanken spucken nur einen einzigen Nathan J. Felder aus, der das Alter des Mannes auf dem Foto haben könnte. Seine Polizeiakte hat zwei Einträge wegen Falschparkens. Er wohnt in einer einfachen Wohngegend von Miami. Street View zeigt unter der Adresse ein kleines Haus. Grüne Farbe bröckelt von der Fassade, vor dem Haus steht ein Gartenstuhl halb auf dem Bürgersteig, unter der vergilbten Markise hat jemand eine leere Bierflasche stehen lassen. Es sieht nicht aus, als residiere hier der Präsident eines multinationalen Konzerns.

Schnell wird klar: Hier versucht jemand, seine Identität zu verschleiern. Existiert der Unternehmer Nathan J. Felder vielleicht gar nicht? In einem Firmenregister taucht eine Adresse in New York auf: 1133 Broadway, Suite 706, New York, NY 10010. Die US Food and Drug Administration, die Behörde für Lebens- und Arzneimittel, Unterabteilung Betrug, versuchte im Februar 2017, Felder unter dieser Adresse einen Mahnbescheid zuzustellen, weil Nathans Natural ohne Genehmigung ein Arzneimittel vertreibe: Levodyn soll angeblich Krebs, Diabetes, Herzinfarkt und Schlaganfällen vorbeugen. Doch weder Felder noch seine Firma traf die Behörde am Broadway an. Kein Wunder, die Adresse ist einschlägig bekannt. Sie dient diversen Unternehmen als Briefkasten, auch in den „Paradise Papers“ wird sie erwähnt.

Das Amazon-Verkäuferprofil von Nathans Natural liefert weitere Hinweise. Das Unternehmen, heißt es dort, sei unter dem Namen Spring Life Naturals in den USA registriert, die Abwicklung in Europa laufe über die britische Spring Life LLC. Der erste Hinweis führt in den US-Bundesstaat Delaware, bekannt als Steueroase – und endet neben dem Coastal Highway. In einem blauen Holzhaus hat Harvard Business Services seinen Sitz, eine Agentur, die Firmen ihre Adresse leiht. Der nächste Briefkasten.

Auch in London gibt es keinen Firmensitz, sondern nur ein Coworking-Office. Als Geschäftsführer der amerikanischen wie auch der britischen Spring Life wird ein gewisser A. B. Menh angegeben – der Name findet sich auch auf diversen Produktseiten. Doch eine Personensuche läuft auch hier ins Leere. A. B. Menh scheint ebenso ein Phantom zu sein wie Nathan J. Felder.

Der Brooklyn-Clan

Alle Websites, die mit Nathans Natural oder Spring Life in Verbindung stehen, wurden anonym registriert. Bis auf eine: buynathansnatural.com. Die hat angeblich Nathan Felder selbst angemeldet. Die Rechnungsadresse führt zu einer kleinen Firma in Brooklyn, der Avilan Marketing LLC.

Die Coney Island Avenue ist eine stark befahrene Straße, die den Stadtteil parallel zum Ocean Parkway von Norden nach Süden durchquert. Unter dem Dach eines typischen New Yorker Backsteinhauses aus dem Jahr 1932 hat die Firma Avilan ihren Sitz, eine kleine Bude, spezialisiert auf Direkt- und Onlinehandel. Laut einer Auskunftei macht sie 120.000 Dollar Umsatz im Jahr.

Nebenan gibt es koschere Restaurants und Bagelshops, im ersten Stock schleift ein Dental-labor Zahnersatz, im Erdgeschoss bietet ein Obsthändler Ware an, der sich damit brüstet, Bill Clinton während seiner Präsidentschaft Ananas geliefert zu haben.

Avilan dürfte sich aus den Vornamen der beiden Brüder Aviv, 36, und Ilan Ben-Menachem, 35, zusammensetzen. Sie sind die ältesten Söhne von David und Chana Ben-Menachem, die vier weitere Kinder haben. Der Vater, in Tel Aviv geboren, kam 1979 in die USA und lehrte an verschiedenen Jeschiwas, jüdisch-orthodoxen Hochschulen, zuletzt in Brooklyn. Nebenher versuchte er, mit Immobilien Geschäfte zu machen. Er kaufte 14 Häuser, um sie wenig später wieder zu verkaufen, mit wenig Erfolg. 1997 erklärte ihn ein Gericht für bankrott. Er stand mehr als einmal vor dem Richter, -unter anderem verklagte ihn auch eine seiner Hochschulen erfolgreich auf mehrere Tausend Dollar Schadensersatz, aus unbekanntem Grund.

Zu diesem Zeitpunkt hatte die Familie Ben-Menachem allerdings bereits ein ganz anderes Problem. Im Auftrag von Cartier hatte seit Sommer 2005 ein Privatdetektiv den Clan observiert. Auf 15 verschiedenen Websites mit Namen wie Davids Luxury oder Branded Luxury verkauften die Ben-Menachems gefälschte Luxusuhren, darunter Plagiate der Glashütter Edelmanufaktur A. Lange & Söhne sowie Fälschungen von Panerai, Vacheron Constantin, Jaeger-LeCoultre, IWC und Piaget.

Der Detektiv bestellte zum Schein Ware und überführte den Clan. Am 23. Mai 2006 schlug die Staatsanwaltschaft zu. Beamte durchsuchten das Wohnhaus der Familie in Brooklyn sowie die Geschäftsräume von Avilan, der Firma der Söhne, die die betrügerischen Uhren-Websites registriert hatte. Der Fall wurde im Dezember 2007 unter dem Aktenzeichen 1:06-cv-03917 vor dem New Yorker Bezirksgericht abgeschlossen. Der Richter verurteilte David Ben-Menachem, seine Frau sowie die Söhne zu Schadensersatz in Höhe von 1 Mio. Dollar. Laut Urteil hatte die Familie jeden Monat für mehrere Hunderttausend Dollar gefälschte Uhren aus Hongkong und China verkauft und die Gewinne auf Offshore-Konten verschoben.

Sensationelle Margen

Kurz darauf wechselten die Ben-Menachems die Branche. Am 10. Februar 2009 ließen sie die Website von Nathans Natural registrieren. Der Warenverkehr läuft nach unseren Recherchen seit spätestens 2011 über Großbritannien, derzeit über Spring Life mit dem ominösen Geschäftsführer A. B. Menh – ein Alias für Aziz Ben-Menachem, den ältesten Sohn. Das geht aus der Gründungsurkunde der Gesellschaft hervor, die uns vorliegt.

Billiganbieter aus Fernost versorgen die Betrüger mit individuell gestalteten Wunderpillen
Billiganbieter aus Fernost versorgen die Betrüger mit individuell gestalteten Wunderpillen
© Jack Richardson

Mit seinem israelischen Ausweis hat Aziz die Firma im April 2015 angemeldet. Ein Büro hat die Spring Life nicht. Zunächst fungierte als Adresse eine israelische Agentur in London, seit September 2016 ist die Firma in der Great Chapel Street ansässig, wo sich aber nur ein Coworking-Komplex befindet. Die Ben-Menachems suchen die Diskretion. Ein Grund dafür könnte sein, dass die Mehrwertsteuernummer im Amazon-Verkäuferprofil von Nathans Natural und Spring Life laut einer Abfrage bei der EU-Kommission nicht vergeben ist.

Bevor die Tarnfirma Spring Life offiziell die Geschäfte übernahm, trat in England noch Avilan selbst in Erscheinung. Neben Ilan Ben-Menachem ist bei der Marketing-Bude in Brooklyn ein Mann namens Anthony Durazo Geschäftsführer. Der ließ sich 2014 für eine Firmenpräsentation des Unternehmens Asendia interviewen, eines Logistikers mit großem Warenlager in Bedford. Asendia, heißt es im Interview, wickele für Avilan monatlich etwa 30.000 Bestellungen ab. „Avilan trat 2011 an Asendia heran, weil das Unternehmen Unterstützung beim Versand von Nahrungsergänzungsmitteln benötigte.“

Von 100.000 Lagerartikeln ist die Rede. Da ein Pillendöschen im Verkauf zwischen 29 und 49 Euro kostet, geht der Warenwert also in die Millionen. Durazo gibt sich zufrieden: „Wir konnten unser Geschäft erfolgreich expandieren und unseren Gewinn steigern.“

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Die Höhle der Löwen - das Magazin

Der Beitrag stammt aus der ersten Ausgabe des Magazins „Die Höhle der Löwen– ein Heft über Gründer, ihre Ideen und Produkte

Obwohl die Produkte angeblich in Europa produziert werden, findet sich im Interview der Hinweis, dass sich Avilan „direkt von unserer Niederlassung in Singapur betreuen“ lasse. Die Wundermittel dürften also Billigware aus Fernost sein.

Um herauszufinden, wie sich Diätpräparate unter eigenem Logo vertreiben lassen und was solche Pillen im Einkauf kosten, haben wir Kontakt zu Produzenten in Fernost aufgenommen. Mehrere Hersteller bieten geeignete Waren an. Eine Firma im chinesischen Shenzhen brüstet sich etwa damit, die meistverbreitete Diätpille der Welt zu produzieren. Bestandteile: Extrakt von Maulbeerblättern, Hiobstränen und Cassiasamen, medizinische Speisestärke sowie ein nicht näher aufgeschlüsseltes Diätmittel mit dem chinesischen Namen Daidaihua.

Der Kunde kann zwischen verschiedenen Verpackungen sowie Pillenfarben und -formen wählen, das gewünschte Branding wird gleich aufgedruckt. So lässt sich schnell ein „neues“ Produkt auf den Markt bringen, wenn das alte durch schlechte Kritiken verbrannt ist. Die Mindestbestellmenge liegt bei 5000 Stück. Preis pro Dose: 1,70 Dollar – das entspricht bei den gängigen Verkaufspreisen einer Marge von 2000 bis 3000 Prozent. Allein bei den 30 000 Bestellungen im Monat, die Avilan bereits 2011 angab, lange bevor das Werben mit den gefälschten „Höhle der Löwen“-Berichten begann, belief sich der Jahresgewinn des Unternehmens auf einen zweistelligen Millionenbetrag.

Wäre das Ganze nicht Betrug, müsste die „Löwen“-Jury begeistert sein von so viel Gründergeist.

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