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Notenbanken Weder EZB noch Fed glauben an ein baldiges Ende der Inflation

Christine Lagarde mit kurzen grauen Haare und Brille
EZB-Chefin Christine Lagarde
© IMAGO / ANP
In Europa und den USA bestimmen hohe Preissteigerungen den Alltag. Sowohl die US-Notenbank Fed als auch die Fed wollen die Zinsen erhöhen – doch auch sie erwarten kein baldiges Ende

Die Zeiten niedriger Zinsen und geringer Inflation gehen zu Ende und werden wohl dauerhaft nicht wiederkehren. Darin sind sich zwei Menschen einig, deren Einschätzung bei diesem Thema nicht ganz unwesentlich ist: Christine Lagarde, Chefin der Europäischen Zentralbank, und Jerome Powell, Chef der US-Notenbank Fed.

Die Corona-Pandemie und der russische Angriffskrieg in der Ukraine hätten die Welt nachhaltig verändert, sagten sie auf dem geldpolitischen Symposium der EZB im portugiesischen Sintra. „Ich denke nicht, dass wir in ein Umfeld niedriger Inflation zurückkehren“, so Lagarde. 

Das klang lange anders. Die EZB war – aus naheliegenden Gründen – davon ausgegangen, dass die Inflation mittelfristig von alleine wieder kräftig sinken wird. Denn in der Pandemie hatten Corona-Lockdowns internationale Lieferketten durcheinandergebracht, zu Versorgungsengpässen und damit zu höheren Preisen geführt. Die Lieferketten würden sich wieder einrenken, lautete die Annahme. Außerdem würden mit dem Ende der Heizsaison die Energiepreise wieder sinken.

Doch daraus wurde nichts. Die Null-Covid-Politik der chinesischen Führung mit harten Lockdowns stört die Lieferketten immer wieder. Auch Streiks, die etwa die Abfertigung von Container- und Frachtschiffen in großen Nordseehäfen zeitweise weitgehend lahmlegen, tragen dazu bei. Zudem sorgte der Überfall auf die Ukraine dafür, dass Öl und Gas sehr viel teurer wurden. 

EZB wird Zinsen erhöhen 

Vor diesem Hintergrund ging die Inflation regelrecht durch die Decke. In den USA erreichte sie im Mai 8,6 Prozent und damit den höchsten Stand seit mehr als 40 Jahren. In der Eurozone stiegen die Preise um 8,1 Prozent. Derzeit sieht es zwar so aus, als würde die Dynamik etwas an Fahrt verlieren. Doch bis die Inflation wieder im grünen Bereich bei etwa 2 Prozent liegt, dürfte es noch eine Weile dauern. 

Und es wird auch weitere Zinserhöhungen verlangen. Die EZB sieht sich nun gezwungen, die Zinsen nach langem Zögern anzuheben. Es gilt als ausgemachte Sache, dass sie im Juli die Nulllinie verlässt. Im September – das ist der derzeitige Plan – soll ein zweiter Zinsschritt folgen. Die Fed ist schon weiter: In den USA liegen die Zinsen in der Spanne zwischen 1,5 und 1,75 Prozent. 

Wie sehr sich die Einschätzung der EZB geändert hat, zeigt etwa die Warnung von Lagarde, den unerwarteten Inflationsrückgang in Deutschland im Juni überzubewerten. Zentralbank-Chef Powell versichert derweil, er werde die Zinsen so häufig und so schnell erhöhen, bis die Inflation wieder im Griff sei. Um dieses Ziel zu erreichen, ist er sogar bereit, eine Rezession auszulösen. „Dieser Prozess wird wahrscheinlich etwas Schmerzen bereiten. Aber der heftigste Schmerz würde verursacht, wenn wir (…) zulassen, dass sich die hohe Inflation festsetzt“, so Powell.

Das Umfeld, in dem sich die Notenbanken bewegen, hat sich allerdings nachhaltig verändert. Ein Beispiel: Die Pandemie und der russische Angriff haben gezeigt, wie anfällig Lieferketten sind. Angesichts von Ausfuhrverboten, Lockdowns und Sanktionen denken viele Unternehmen darüber nach, ihre Just-in-time-Lieferketten zu verkürzen, sicherer zu machen und die Vorräte zu erhöhen – auch wenn das die Produktion verteuert. 

„Auf andere Weise nachdenken“

Lagarde und Powell gingen noch einen Schritt weiter und warnten davor, dass sich die globalisierte Welt in konkurrierende Handelsblöcke spalten könne. Die Folgen: gestörte Lieferketten, höhere Kosten, geringere Produktivität. Firmen müssten künftig einen weiteren Faktor in ihre Kalkulation einbeziehen, sagte Lagarde. Bei der Wahl von Lieferanten und dem Standort einer Fabrik sei es auch relevant, wo er sich befinde – bei „Freunden oder Gegnern“. 

„Wir müssen jetzt mit neuen Umständen umgehen und über Geldpolitik auf eine andere Weise nachdenken“, sagte Powell. Es werde künftig noch schwerer einzuschätzen sein, wie sich die Inflation entwickeln wird. „Wir verstehen jetzt besser, wie wenig wir über Inflation wissen.“

Dieser Beitrag ist zuerst bei ntv.de erschienen.

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