Mal wieder die Deutsche Bank. Mal wieder wird alles anders, der Vorstand reißt mit einem radikalen Umbau einschließlich harter Einschnitte das Ruder herum. Jetzt wird endlich alles gut. Jaja. Aber wissen Sie was? Ich bin es leid. Ich habe schon so oft über die Deutsche Bank geschrieben, bei diesem Thema müssen Sie diesmal ohne meinen Senf dazu auskommen.
Ich habe mir lieber ein paar Gedanken um das zweite Aufreger-Thema der vergangenen Wochen gemacht: Ursula von der Leyen ist zur EU-Kommissionschefin gewählt worden . Die Entscheidung lag ja zwischenzeitlich auf der Kippe, aber ganz ehrlich: Der Ausgang war für mich nicht das spannende an diesem Prozess …
Guantanamera, Tango, Akrobatik
Interessanterweise kamen mir die Gedanken just in einem Moment, als ich – wie so oft – vor dem Café El Magnífico saß. Das ist meiner Meinung nach die beste Cafe-Bar in ganz Barcelona. Sie liegt im belebten Stadtteil El Born und ist winzig klein. Die einzigen drei Sitzmöglichkeiten befinden sich draußen, direkt vor der Scheibe rechts und links des Eingangsbereichs.
Auf einem dieser Höckerchen genoss ich also meinen Arabica-Kaffee – einfach herrlich, sage ich Ihnen. Während ich da so saß und den Geschmack im Gaumen nachklingen ließ, beobachtete ich das Schauspiel auf dem Gehweg. Wie auf so vielen Plätzen in Barcelona während der Touristen-Saison traten dort im 15-Minuten-Takt die verschiedensten Gaukler auf. Zuerst trug ein Trio mit einer Quetschkommode, einer Trompete und einer Handtrommel „Guantanamera“ vor – ziemlich grauenhaft übrigens. Es folgte ein sehr ansehnliches Tango-Paar und, kurz bevor ich aufbrach, machte sich ein Akrobatengrüppchen für ihre Nummer bereit. Und ich dachte an Frau von der Leyen.
Nicht wegen der gut gebauten jungen Herren, nein. Das gesamte Schauspiel auf dieser Straße hatte frappante Ähnlichkeit mit dem Schauspiel, das im gleichen Zeitraum einige hundert Kilometer entfernt im EU-Parlament in Straßburg seine Aufführung fand – und übrigens auch mit den Schauspielen, die tagtäglich auf tausenden und abertausenden Vorderbühnen in Wirtschaft und Politik aufgeführt werden.
Der von-der-Leyen-Code
In diesem Fall war es ein Bewerbungstheater: Alle taten so, als ginge es um Frau von der Leyen . Und alle Kommentare bezogen sich auf ihre Person. Gleichzeitig war jedem klar, dass hinter jeder Äußerung – die ihrer Gegner wie die ihrer Befürworter, die der Linken wie die der Rechten – immer ein Kalkül steckt: Wer sich äußert, tut dies, um seine eigene Position zu kräftigen und die Chance auf mehr Wählerstimmen zu nutzen. Das gleiche Kalkül steckte natürlich auch in jeder von Frau von der Leyens Aussagen und Reden. Da gibt es keine Ausnahme.
Sagen darf das aber natürlich keiner. Sonst riskiert er ja den Vorwurf, es gehe ihm nur um die Macht. Ja, um was denn sonst?
Die Systemtheoretiker nennen das den „Code“. Es handelt sich um eine Art innere Logik einer spezifischen Kommunikation: Alle Mitspieler bedienen sich bestimmter Worte, die erst in dem Kontext ihre wahre Bedeutung erlangen.
Trump ist einer, der diesen Code quasi öffentlich macht: Er lässt keinen Zweifel daran, dass es immer nur darum geht, Wählerstimmen zu gewinnen. Deshalb spricht er ständig davon, dass er der Größte und Beste ist. Ich vermute, das ist ein wesentlicher Grund, warum er in Deutschland so unbeliebt ist. Sein unverhohlenes Werben kommt uns unanständig vor – auch wenn das noch lange keine Rückschlüsse auf seine Politik zulässt.
Und genau genommen ändern die Personen, die in die Rolle innerhalb des Spiels schlüpfen, ja auch nichts am Spiel selbst. Nur eines ändert sich vielleicht ein bisschen …
Rosa oder hellblau?
Hieße das Spiel Monopoly, nähmen durch die Wahl von Frau von der Leyen die Häuschen vielleicht Pastellfarben an – doch das Spiel bliebe dasselbe. Auch wenn möglicherweise aktuell „Mensch ärgere dich nicht“ das erfolgsversprechende Spiel wäre.
Doch auch das sagt natürlich keiner der Mitspieler laut: Wer torpediert schon das System, in dem er groß geworden ist und die Spielregeln aus dem Effeff beherrscht?
Hat also das ganze Theater nur Entertainment-Charakter? Ich habe darüber nachgedacht und bin zu dem Schluss gekommen: Es hat schon auch einen Zweck …
Ein echter Gewinn
Wenn Sie auf der Vorderbühne Action zeigen, gewinnen Sie hauptsächlich eines: Zeit. Solange das Stück da vorne nicht abgeschlossen ist, brauchen Sie keine anderen Entscheidungen treffen. Schließlich zieht diese Show die gesamte Aufmerksamkeit des Publikums auf sich, alle anderen Angelegenheiten treten erst einmal in den Hintergrund.
Gerade wenn dringliche Entscheidungen anstehen, mit denen Sie jemandem auf die Füße treten würden, können Sie auf diese Weise sehr elegant Zeit gewinnen. Das gilt für die Politik wie für die Wirtschaft. Entscheidungen in der Klima-Debatte zum Beispiel tun ob so oder so wahrhaft not – aber jeder versteht, dass diese erst einmal hinter der Entscheidung, wer nun der EU-Kommission vorstehen soll, zurücksteht.
Oder stellen Sie sich vor, Sie sind Vorstand und wissen schon lange, dass Sie einen Standort schließen oder Ihr 50 Jahre altes Boni-System abschaffen müssen. Sie wissen gleichzeitig, dass Sie damit besser noch einige andere Veränderungen abwarten. Doch Sie sind Vorstand, Sie müssen Ihre Tatkraft unter Beweis stellen. Dann behelfen Sie sich mit einem ganz besonders beliebten Stück.
Problem gelöst
Dieses Stück heißt: „Beratungstheater“. Seine Aufführung ist hervorragend geeignet, um einerseits Aktivität zu demonstrieren und andererseits die unangenehme Entscheidung hinauszuzögern.
Das ist ein Muster, das Sie so oder so ähnlich allüberall finden. Auch Frau von der Leyen hat die Karte als Verteidigungsministerin nicht selten gezogen. Und es löst tatsächlich ein Problem. Natürlich nicht zwangsläufig das dringend anstehende, aber doch zumindest das Problem, nicht inaktiv erscheinen zu dürfen.
Um keinen falschen Eindruck zu erwecken: Ich finde das Bedienen des Musters nicht verwerflich, es ist schlichtweg Teil des Spiels. So wie es Teil des Spiels ist, in Barcelona auch den grauenhaften Guantanamera-Spielern eine Münze in den Hut zu werfen. Können Sie dabei doch wenigstens diesen hervorragenden Arabica genießen.
Lars Vollmer ist Unternehmer, Vortragsredner und Bestsellerautor. In seinem neuen Buch »Gebt eure Stimme nicht ab! – Warum unser Land unregierbar geworden ist« bietet er einen neuen konstruktiven Blick auf die Krise von Politik und Gesellschaft. Auf capital.de erscheint regelmäßig seine Kolumne.