Gastbeitrag Was die Blockchain für die Fluggastrechte leisten kann

Bei Flugausfällen müssen sich die Fluggäste mühsam ihr Recht auf Erstattung erstreiten
Bei Flugausfällen müssen sich die Fluggäste mühsam ihr Recht auf Erstattung erstreiten
© IMAGO / Sven Simon
Auch die Corona-Krise zeigt: Fluggesellschaften drücken sich um Rückzahlungen. Abhilfe setzt eine Umkehr der Zahlungsmodalitäten bzw. des Schadensrechts voraus. Philipp Kadelbach über die Möglichkeiten, die die Blockchain-Technologie hierfür bietet

„Peinlich und skandalös“: Mit diesen Worten hat Klaus Müller, Vorstand der Verbraucherzentrale Bundesverband, die schleppenden Rückzahlungen der Fluggesellschaften für ausgefallene Flüge kritisiert. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund milliardenschwerer Rettungspakete, die von den Steuerzahlern finanziert werden. Überraschend war dieses Verhalten keineswegs. Schon immer waren Airlines kreativ, wenn es darum ging, sich um die gesetzlichen Entschädigungen bei ausgefallenen oder verspäteten Flügen zu drücken. So kreativ, dass in der Folge eine neue Branche IT-gestützter Rechtsdienstleister entstanden ist. Solche Legaltech-Unternehmen haben zunächst den Zugang zum Recht für Fluggäste hergestellt und sich dann aufgemacht, den Rechtsmarkt durch niederschwellige digitale Rechtsdienstleistungen für Millionen von Verbrauchern auch in anderen Bereichen zu revolutionieren.

Dr. Philipp Kadelbach, Jurist und Geschäftsführer von Flightright
Dr. Philipp Kadelbach, Jurist und Geschäftsführer von Flightright
© PR

Dass die EU-Fluggastrechte-Verordnung als Katalysator für eine grundlegende Veränderung des deutschen Rechtssystems fungiert, mag auf den ersten Blick erstaunen. Auf den zweiten Blick allerdings hat sich eben gerade bei den Fluggastrechten das wohl jedem bekannte Sprichwort, dass Recht haben und Recht bekommen zwei unterschiedliche Paar Schuhe sind, in besonderer Deutlichkeit gezeigt. Die Fluggastrechte-Verordnung gibt es seit 2005 und sie räumt Passagieren in ungewohnter Klarheit konkret bezifferte Rechte auf Schadenersatz bei Flugstornierungen ein – seit 2009 auch bei verspäteten Flügen. Die Entschädigungszahlungen betragen in Abhängigkeit von der Flugstrecke zwischen 250 und 600 Euro. Soweit die Theorie.

In der Praxis waren die Airlines in den Anfangsjahren – also der Vor-Fluggastportal-Epoche – sehr erfolgreich damit, sich vor Entschädigungszahlungen zu drücken, in der Regel mit der schillernden Ausrede, es handele sich um höhere Gewalt. Was eigentlich immer so war. Dieser – nach einhelliger Meinung – nicht ganz anständigen Entschädigungspraxis zu Lasten der Verbraucher haben Legaltech-Verbraucherportale ein Ende bereitet: Der einfachen Online-Beauftragung, der rein erfolgsbasierten Vergütung, den hochautomatisierten Prozessen und den konsequent geführten Gerichtsverfahren konnten die Airlines wenig entgegensetzen.

Als es sich deutlich abzeichnete, dass die bisherige Praxis der schlichten Zahlungsverweigerung bei den Fluggast-Portalen nicht mehr funktionierte, wurde die Lobby-Maschine angeschmissen. Die Branche versuchte mit geschickter Lobbyarbeit, die Fluggastrechteverordnung zu „überarbeiten”, also faktisch auszuhöhlen – beinahe mit Erfolg. Die EU-Kommission hatte 2013 eine Revision vorgeschlagen, die faktisch eine Abschaffung der Verordnung bedeutet hätte, die bis heute aber nicht umgesetzt wurde. Grund war wohl durchaus, dass die Fallzahlen und die Entschädigungszahlungen in der neuen Ära der Fluggast-Portale massiv angestiegen waren.

Mangels Revision der Fluggastrechteverordnung haben Airlines bis heute nicht aufgehört, berechtigte Ansprüche außergerichtlich zu verweigern, sodass frustrierte Kunden millionenfach die Dienstleistungen von Fluggast-Portalen nutzten, um auf diesem Wege zu ihrem Recht zu kommen. Dies hat zu einer Klageflut geführt, an manchen Amtsgerichten machen Fluggastrechte 70 Prozent aller Verfahren aus.

Eine Begebenheit, die sich tatsächlich so ereignet hat: Ein Fluggast ruft bei der Hotline seiner Airline an, um die Zahlung seiner Entschädigungen zu verlangen. Sinngemäße Antwort der Airline: „Von uns bekommen Sie nichts! Sie können sich an Flightright wenden, dann zahlen wir.”

Exemplarisch steht diese Anekdote für die zehnjährige Erfolgsgeschichte der Fluggast-Portale (und einer Vielzahl weiterer Legal Tech-Portale in anderen Rechtsbereichen). Dies hat sich mittlerweile auch beim Ministerium für Justiz und Verbraucherschutz rumgesprochen und führte vor wenigen Wochen zu einem begrüßenswerten Gesetzesentwurf pro Legaltech. Gleichwohl nutzen eine Vielzahl der Verbraucher diese (kostenpflichtigen) Dienstleistungen bis heute nicht, sodass bis heute auch nur ein Bruchteil der tatsächlich berechtigten Entschädigungsleistungen bei den Betroffenen ankommt – ca. 5 bis 15 Prozent, je nach Schätzung. Das bedeutet, dass Fluggästen jährlich allein in Deutschland hunderte Millionen Euro entgehen, die ihnen rechtlich zustehen.

Ende der Vorauszahlung

Ein Rechtsstaat sollte durch kluge Regulierung darauf hinwirken, den Graben zwischen “Recht haben” und “Recht bekommen” zuzuschütten Ein gesetzgeberischer Maßanzug für Legaltech-Fluggastrechtportale ist ein sinnvoller Baustein. Ein echter Game Changer ist er nicht, auch weil die Chuzpe zum strategischen Rechtsbruch tief in der DNA der meisten Airlines verankert ist.

Dennoch – so eine Welt wäre möglich. Was es dazu bräuchte: ein Ende der Vorauszahlungspflicht für Flugtickets. Verbraucher müssten Flugtickets erst dann bezahlen, wenn die Leistung auch wirklich erbracht wurde, ähnlich wie es bei Hotelbuchungen üblich ist. So könnten langwierige Prozesse um Ticketerstattungen – wie sie vor allem in der aktuellen Covid19-Krise zutage getreten sind – vermieden werden. Zudem würde sich das finanzielle Risiko für die Fluggäste im Fall einer Airline-Insolvenz beträchtlich verringern. Dass so ein Insolvenzschutz für Passagiere längst überfällig ist, hat nicht nur das Beispiel Air Berlin gezeigt. Aller Voraussicht nach wird es nicht die letzte große Airline-Pleite bleiben.

Automatisierte Rechtsdurchsetzung mittels Blockchain

Bessere Zahlungsmodalitäten bei gebuchten Flugreisen wäre eine Lösung für eine Vielzahl von Problemen, mit denen sich Verbraucher in der Vergangenheit konfrontiert sahen. Eine Lösung für die effiziente Durchsetzung von Entschädigungszahlungen im Falle verspäteter oder annullierter Flüge wäre damit eher nicht verbunden.

Einen zukunftsweisenden Vorschlag zur Nivellierung der Verhältnisse zwischen Unternehmen und Verbrauchern hat Nikolas Guggenberger, Juniorprofessor für IT-Recht an der Universität Münster, gemacht. Die gesetzlichen Regelungen zu Entschädigungen werden in einem sich automatisch ausgeführten Regelwerk (Smart Contracts) auf der Blockchain zugesprochen, ohne dass Verbraucher oder Airline Einfluss auf die tatsächliche Ausführung nehmen können. Ist ein Flug also mehr als drei Stunden verspätet, hat der Reisende oftmals einen Anspruch auf Entschädigung, selbst wenn die Fluggesellschaft (wie häufig) „außergewöhnliche Umstände“ geltend macht. Vor Gericht gelingt dieser Beweis höchst selten. Der Gesetzgeber hat hier nämlich die Beweislast aufseiten der Fluggäste installiert.

Mittels Smart Contracts könnte also eine Entschädigung in der berechneten Höhe automatisch bereits dann ausgezahlt werden, wenn die statistische Wahrscheinlichkeit für einen durchsetzbaren Anspruch des Verbrauchers über 50 Prozent beträgt. Bestimmte Datensignale (etwa Vulkanausbrüche oder Streiks) könnten eine Auszahlung stoppen und damit die Durchsetzungslast wieder zurückverlagern. Ein autonomer Algorithmus würde anstelle eines Menschen eine vorläufige Entscheidung über die Auszahlung treffen.

Airline kann Einspruch erheben

Die zahlende Partei (die verantwortliche Fluglinie) könnte gegen den automatisiert abgewickelten Zahlungsprozess Einspruch erheben und gegen eine nach ihrer Ansicht zu Unrecht bewirkte Entschädigungszahlung auf dem Wege eines Rückforderungsprozesses vorgehen.

Dadurch würde sich die Zahl der gerichtlichen anhängigen Fluggastrechteklagen dramatisch reduzieren, da Airlines gerichtliche Rückforderungsprozesse nur noch in solchen Fällen betreiben würden, in denen außergewöhnliche Umstände (etwa Nebel am Abflughafen) beweisbar vorgelegen haben.

Derartige Mechanismen wären in einer Vielzahl vergleichbarer, schematisch gleichgelagerter Konstellationen zwischen Verbrauchern und Unternehmen einsetzbar. Ein weiterer denkbarer Anwendungsfall sind Verbraucherrechte in der kaufrechtlichen Mängelhaftung. Sogenannte Smart Products könnten künftig zuverlässige Daten über ihr Funktionieren liefern. Wird eine Störung nicht innerhalb einer angemessenen Frist behoben, könnte unmittelbar eine (Teil-)Rückzahlung des Kaufpreises ausgelöst werden. Eine Minderung dürfte dann nämlich sehr wahrscheinlich berechtigt sein.

Das Beste daran: Fast alle profitieren

Im Bereich der Fluggastrechte wäre eine Automatisierung im beschriebenen Sinne anhand der zur Verfügung stehenden Daten und Algorithmen bereits heute möglich. Davon würden fast alle profitieren: Die Kunden, weil sie deutlich öfter schnell und ohne Aufwand an ihr Geld kämen und die Gerichte, weil sie nicht mehr unter der Klageflut der Verbraucherklagen ersticken und das Vertrauen in den Rechtsstaat gestärkt würde.

Und die Fluggastrechteportale? Sie hätten ihre Mission erfüllt und sich selbst überflüssig gemacht. Ist sowas in Zeiten der gebeutelten Luftfahrt salonfähig? Eher nicht. Langweilig wird uns aber so oder so nicht.

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