Es ist schmerzhaft. Man sieht, wie die eigenen Kinder aufwachsen, man ist stolz auf ihre Entwicklung und hilft ihnen, wenn es mal nicht so läuft. Doch es kommt der Zeitpunkt, da die Kinder zu groß fürs heimelige Elternhaus werden. Dann wird es Zeit auszuziehen.
Genauso ist es bei Pimco: Die Zeit ist gekommen, da die Allianz die Investmentgesellschaft, die ihr seit 15 Jahren gehört, ziehen lassen muss.
Der Verwalter des Anleihefonds, lange Zeit so etwas wie der Goldjunge des Unternehmens, ähnelte zuletzt eher einem schwierigen Teenager. Die Führung der Allianz muss sich fragen lassen, wohin es mit Pimco geht. Und das eigentliche Geschäft der Allianz, die Versicherungen, geraten durch die Schwierigkeiten bei Pimco aus dem Blick. Die Verbindung beider Unternehmen mag um die Jahrtausendwende herum sinnvoll gewesen sein. Heute wirkt sie deutlich unlogischer.
Es hat in der Vergangenheit durchaus Erfolge gegeben. Die von Pimco verwalteten Vermögenswerte sind von 250 Mrd. Dollar im Jahr 2000 auf heute 1900 Mrd. Dollar angestiegen. Natürlich hat dazu auch die langjährige Hausse für Anleihen beigetragen. Aber der Total Return Fund, das Vorzeigeprodukt von Pimco-Mitgründer Bill Gross, lag auch in elf der letzten 15 Jahre über dem Barclays-Bond-Index. Wer am Anleiheboom mitverdienen wollte, der lag bei Gross richtig.
Jetzt allerdings ist ziemlich klar, wie diese Erfolgsgeschichte enden könnte. Die Zinsraten in den USA steigen, wodurch die Anleihen unter Druck geraten. Die Märkte sehen sich einer Verkaufswelle gegenüber. Für Gross wird es schwieriger, den Index zu schlagen, da er keinen wachsenden Markt hinter sich weiß. Die Kunden ziehen ihr Geld ab. Das Unternehmen versucht sich in anderen Anlageklassen, aber schafft es nicht, dort die erforderliche Größe zu erreichen. Das Management wird ausgetauscht. Und es folgt ein langer, stetiger Abstieg.
Schwierige Entscheidung
Zum Teil ist dieses Szenario schon im Gang. Noch steigen die US-Zinsraten nicht, aber das Frühjahr 2013 hat gezeigt, was passiert, wenn die Investoren beginnen um ihre Erträge zu fürchten: die Anleihekurse gingen deutlich nach unten. Und Gross erlebt ein eher schwaches Jahr. Nach Angaben von Morningstar hat sein Total Return Fund nur um 3,7 Prozent zugelegt, womit er gegen den Barclays-Index und die meisten seiner Wettbewerber verloren hätte. Im ersten Quartal dieses Jahres zogen Kunden netto 22 Mrd. Euro ab. Hinzu kommt, dass Mohamed El-Erian, ein Gesicht des Unternehmens, nach einem angeblichen Streit mit Gross das Weite suchte. Nun wittern die Wettbewerber Morgenluft.
Wer Pimco-Anteile hält, kann einfach verkaufen. Doch Anteilseigner der Allianz, die im Jahr 2000 3,3 Mrd. Dollar für 70 Prozent des Unternehmens bezahlt hatten, stehen vor einer weitaus schwierigeren Entscheidung.
Damals schien der Pimco-Kauf eine teure Angelegenheit. Immerhin lag der Preis um das 15-fache über dem Ertrag vor Steuern. Es sah so aus, als hätten der einstige Blackjack-Profi Gross und dessen Freunde einen guten Deal gemacht. Doch die Allianz kann mit dem Zukauf absolut zufrieden sein. Ihre Vermögensverwaltungssparte (die zum Großteil aus Pimco besteht) bescherte dem Unternehmen einen Nettogewinn von 1,9 Mrd. Euro. Allein mit den Gewinnen von Pimco in den vergangenen 15 Jahren hat sich der Kauf schon mehr als amortisiert, und dabei ist der aktuelle Verkaufswert der Gesellschaft noch gar nicht berücksichtigt.
Eine verrückte Idee
So wie es aussieht, müssen die Allianz-Aktionäre entweder mit dem Pimco-Risiko leben oder das ganze Projekt beenden. Aber gäbe es nicht auch die Möglichkeit, Pimco auszugliedern und den Aktionären die Entscheidung zu überlassen, ob sie sich beteiligen wollen oder nicht?
Aus Sicht der Pimco-Fans ist eine solche Idee aus mehreren Gründen verrückt. Zum einen ist es noch zu früh für einen Abgesang auf den Anleihemarkt. Es ist unklar, wann und sogar ob die Zinsen überhaupt erhöht werden. Langfristige US-Staatsanleihen gehören in diesem Jahr zu den erfolgreichsten Anlageklassen überhaupt. Und selbst wenn US-Zentralbankchefin Janet Yellen den Leitzins anheben sollte, heißt das noch nicht, dass es Pimco sofort an den Kragen geht. Das Unternehmen hat in der Vergangenheit auch in Zeiten steigender Zinsen gut abgeschnitten. So stiegen die verwalteten Vermögenswerte zwischen 2002 und 2006 um 77 Prozent.
Ein Teil der Nachfrage nach festverzinslichen Wertpapieren ist strukturell bedingt und unterliegt daher weniger zyklischen Schwankungen. US-Behörden zufolge wird die Zahl der Bürger über 65 Jahre sich bis 2050 fast verdoppeln und dann bei 84 Millionen liegen. Rentner aber brauchen ein berechenbares Einkommen, und Anleihen können das traditionell eher garantieren als Aktien.
Es ist auch zu früh für einen Abgesang auf Gross selbst. Er hat eine schwierige Zeit hinter sich, aber die Leistung einer Investmentgesellschaft lässt sich am besten über mehrere Jahre beurteilen, nicht in einem Zeitraum von ein paar Monaten. Und Pimco hat bereits diversifiziert. Die traditionelle Anleihe-Strategie, zu der auch Gross' Total Return Fund gehört, macht nur noch ein Drittel der verwalteten Vermögen aus. Der Rest fließt in flexiblere Anleihefonds und in geringem, aber zunehmenden Maße auch in Hedgefonds, Private Equity, Immobilien, Aktien und ähnliches mehr.
Darüber hinaus hat sich Pimco auch von Gross emanzipiert. Zwar ist er immer noch die Hauptfigur und macht bisher keine Anstalten, sich zur Ruhe zu setzen. Doch er hat auch schon die 70 erreicht, und eine neue Generation setzt sich allmählich durch. Pimco hat in einem großen Umbau sechs neue stellvertretende Chief Investment Officers ernannt. Und einige von ihnen schielen zweifellos auf den Spitzenposten.
Es gibt praktische Gründe dafür, an der derzeitigen Eigentümer-Struktur festzuhalten. Die Allianz hat ein Portfolio für Investitionen in Höhe von 556 Mrd. Euro, und das muss irgendwo hin. Pimco verwaltet momentan etwa die Hälfte dieses Geldes, was den angenehmen Effekt hat, dass die Managementgebühren in der Familie bleiben. Warum sollte man jemand anderen dafür bezahlen? Es ist nicht unüblich für die Versicherungsbranche, dass man sich einen Investmentfonds hält. Diese Konstruktion schützt Pimco auch ein wenig vor dem Bannstrahl der Märkte. Die Allianz kann sich darauf konzentrieren, nervige Aktionäre zu besänftigen, während Gross und seine Leute einfach weiter dem Geschäft der Vermögensverwaltung nachgehen.
Vor allem aber bringt der Besitz von Pimco für die Allianz auch ein Element der Diversifikation mit sich. Beide Unternehmen erreichen zu unterschiedlichen Punkten eines Konjunkturzyklus ihren Höhepunkt. Wenn die Wirtschaft wächst, steigt auch die Nachfrage nach Versicherungsprodukten. In der Rezession, wenn das verfügbare Einkommen schrumpft, geht der Bedarf zurück, und sinkende Zinssätze belasten das Konzernergebnis. Die Allianz verdiente 2007 9,3 Mrd. Euro mit Lebens-, Immobilien- und Unfallversicherungen. Im vergangenen Jahr waren es 8 Mrd. Euro.
Ein Anleihefonds wie Pimco hingegen legt in der Regel zu, wenn es der Wirtschaft schlecht geht. Niedrige Zinssätze bedeuten höhere Kurse und damit eine größere Nachfrage nach den Angeboten des Fonds. Die Vermögensverwaltung der Allianz erzielte 2007 operative Gewinne in Höhe von 1,4 Mrd. Euro. Im vergangenen Jahr waren es schon 3,2 Mrd. Euro. Wenn also beide Geschäftsbereiche zusammengerechnet werden, kommen die Aktionäre einigermaßen ungeschoren durch den Konjunkturzyklus.
Einfach nicht gut genug
Doch diese Argumente reichen schlicht nicht aus. Für eine Ausgliederung von Pimco spricht in erster Linie, dass ein solcher Schritt den Aktionären der Allianz einen Geldsegen von 15 Milliarden Euro bescheren würde. Die Rechnung geht so: Nehmen wir an, Pimco verdient netto im Jahr 2015 ungefähr 1,6 Mrd. Euro. Das ergibt nach den Regeln der Branche einen Unternehmenswert von 22 Mrd. Euro. Dem Rest des Allianz-Konzerns bleibt damit ein Nettogewinn von etwa 5 Mrd. Euro, was ungefähr einen Unternehmenswert von 50 Mrd. Euro bedeutet. Zusammen mit Pimco ergäbe sich also ein Marktwert von 72 Mrd. Euro, deutlich mehr als die 57 Mrd., zu denen die Allianz derzeit gehandelt wird.
Diese Rechnung ist selbst dann noch attraktiv, wenn der Markt einen Rabatt für Pimco verlangt. Ginge man von einem Abschlag von 20 Prozent aus, käme immer noch ein Marktwert von 18 Mrd. Euro zustande. Zusammen mit der Allianz läge das Ergebnis 19 Prozent über der laufenden Marktkapitalisierung.
Natürlich verwaltet Pimco eine Menge Geld für die Allianz. Aber das geschieht so oder so und hat nichts damit zu tun, ob es ein Eigentumsverhältnis gibt oder nicht. Es gibt keinen zwingenden Grund für ein Unternehmen, seine Zulieferer zu besitzen. Wären die beiden Unternehmen stark integriert, wäre das ein überzeugendes Argument sie beieinander zu behalten. Aber das sind sie nicht. Die Pimco-Zentrale in Kalifornien liegt fast 10.000 Kilometer vom Allianz-Sitz in München entfernt, und die Aktivitäten überschneiden sich kaum. Vor drei Jahren gaben die Deutschen Pimco sogar noch mehr Autonomie, indem sie ihnen die Kontrolle für Marketing und Vertrieb überantworteten.
Auch die Behauptung, Pimco werde durch die Verbindung vor dem kritischen Blick der Öffentlichkeit geschützt, zieht nicht wirklich. Der Fonds war jahrelang sehr begierig, sich selbst ins Rampenlicht zu stellen. Wenn nun ein paar Aktionäre zu den interessierten Gruppen hinzukommen, ergibt das keinen großen Unterschied.
Lasst die Aktionäre entscheiden
Noch weniger kann das Argument der Diversifizierung überzeugen. Es fußt auf der Annahme, ein Investor verfüge einzig und allein über Allianz-Aktien. Natürlich ist ein breit gestreutes Portfolio wichtig, aber es ist Sache der Investoren, sich eins zusammenzustellen. Wenn die Allianz-Aktionäre sich gegen zyklische Schwankungen absichern wollen, gibt es viele Wege das zu tun. Der Besitz von Pimco gehört eher zu den teureren.
Genau mit diesem Blick sollten die Investoren auf die Zukunft von Pimco und Gross schauen. Ein paar Monate schwacher Performance reichen noch nicht, um Gross aufs Altenteil abzuschieben. Doch die Lage ist trotz allem nicht ideal. Wer Allianz-Anteile haben will, muss auch Pimco besitzen, ob er will oder nicht. Und er muss dies auch noch mit einem gewaltigen Abschlag vom möglichen Markwert tun.
Es ist an der Zeit, dass die Allianz diese Wahl ihren Aktionären überlässt.
Copyright The Financial Times Limited 2014
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