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Kolumne Warum die Türkei verwundbar ist

Solide Staatsfinanzen, eine flexible Währung – die Türkei erscheint finanziell robust. Die Zeitbombe tickt leider in den Unternehmen. Von Christian Schütte
Christian Schütte
Christian Schütte schreibt an dieser Stelle über Ökonomie und Politik
© Trevor Good

Die Märkte beben, die Lira wackelt. Aber wo ist jetzt eigentlich genau das Problem mit der türkischen Wirtschaft?

Lassen wir die ganzen Politikdebatten um die Regierung Erdogan mal für einen Moment beiseite, dann sehen viele Daten auf den ersten Blick gar nicht so schlecht aus. Staat und Banken haben offenbar aus früheren Krisen gelernt.

Nur leider nicht die Unternehmen.

Ankaras Staatsfinanzen sind so solide wie lange nicht, im Vergleich mit den Euro-Ländern steht die Türkei geradezu glänzend da: Ihr Haushaltsdefizit liegt deutlich unter der Drei-Prozent-Schwelle; der Altschuldenberg ist mit 36 Prozent des BIP gerade halb so hoch wie in Deutschland. Und die langfristigen Wachstumschancen sind schon wegen der Demografie und des Nachholpotenzials erheblich besser als im ergrauten Euro-Land.

Natürlich gibt es da ein gefährlich großes Loch in der Leistungsbilanz, dieser Fehlbetrag lag 2013 bei über sieben Prozent des BIP. Die Türkei verbraucht also deutlich mehr als sie selbst produziert. Das tun andere Länder aber auch, nicht zuletzt die USA.

Vorteil einer eigenen Währung

Ein hohes Leistungsbilanzdefizit kann auch ein Zeichen für Wachstumsoptimismus sein. Die Gefahr ist, dass die ausländischen Finanziers einmal abrupt das Vertrauen verlieren, was dann eine schmerzhafte Umstellung des Wirtschaftsmodells erzwingt. Aber anders als etwa der Euro-Nachbar Griechenland hat die Türkei ja weiterhin den Vorteil einer eigenen Währung. Sie kann die Korrektur also im Prinzip abfedern und beschleunigen, indem die Lira abwertet.

Es ist noch kein Jahr her, dass die Türkei von den Ratingagenturen auf „Investment Grade“ hochgestuft wurde, also den Aufstieg aus der dritten Liga der etwas anrüchigen Schwellenländer schaffte. Auf Bühnen wie dem World Economic Forum trat Wirtschaftsminister Ali Babacan in den vergangenen Jahren stets als ökonomischer Musterschüler auf. Auch dieses Jahr betonte er in Davos, dass die „Bilanzen des Staates, der Banken und des Privatsektors recht gut gegen Marktschwankungen geschützt sind". Was sogar ziemlich plausibel ist.

Wenn die Türkei jetzt trotzdem zu einem der labilsten Wackelkandidaten in der aufziehenden Emerging-Market-Krise wird, dann liegt das zum einen eben doch an der Politik. An den Korruptionsaffären und den harten Übergriffen gegen jede Opposition, die das Vertrauen der Investoren schwer erschüttert haben. Ob und wie Erdogan das noch einmal zurückgewinnen kann, ist offen.

Unternehmen in Euro und Dollar verschuldet

Das zweite, das finanzielle Problem steckt in den Bilanzen der großen Unternehmen. Die sind nämlich vor allem in Dollar und Euro verschuldet. Und geraten jetzt durch die Lira-Schwäche unter erheblichem Druck.

Einige Ökonomen warnen schon länger vor den „tickenden Zeitbomben“ bei Unternehmen in Schwellenländern. Die Türkei ist dafür ein Musterbeispiel.

Nach Daten von Moody´s lauten 90 Prozent der Schulden, die von türkischen Firmen mit einem Kreditrating aufgenommen worden sind, nicht auf Lira sondern auf Fremdwährungen. Besonders gern pumpt sich das Geld auf diesem Weg die Bauwirtschaft, die zuletzt boomte und einen großen Teil der neuen Jobs schuf.

Die gute Nachricht ist, dass der weitaus größte Teil dieser Schulden langfristig ist. Die Unternehmen müssen also nicht alles zu höheren Zinsen mitten im Sturm refinanzieren.

Weiterer Kurssturz ist brandgefährlich

Es bleiben aber dann immer noch genügend schlechte Nachrichten übrig: Die Schwäche der eigenen Währung belastet die Schuldner, denn um ihre Kredite zu bedienen, brauchen sie schon jetzt erheblich größere Lira-Beträge. Seit Mitte 2013 hat sich ein Dollar von 1,9 auf über 2,2 Lira verteuert, ein Euro von knapp 2,4 auf 3 Lira.

Das schwächt die Finanzkraft und es wird in jedem Fall die Expansionspläne der Wirtschaft stark dämpfen. In schlimmeren Fällen führt es zu existenzbedrohenden Schieflagen. Ein weiterer Kurssturz der Lira wäre für die türkische Wirtschaft brandgefährlich.

Die Türkei hat ganz andere Probleme als ihr Nachbar Griechenland. Aber sie ähnelt leider ein bisschen dem gefallenen Euro-Star Spanien: Auch dort waren die Staatsfinanzen vor der Krise in exzellentem Zustand, auch dort galt das Bankensystem als besonders robust. Auch dort boomte der Bau.

Das Problem war nur leider, dass der Privatsektor sich über hohe Kredite aus dem Ausland finanziert hatte. Und zwar in einer Währung – Euro - die das Land nicht einfach selbst drucken kann. Einen einfachen Ausweg für die Wirtschaftspolitik gibt es dann nicht mehr.

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