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Kommentar Schwellenländer - tickende Zeitbomben

Viele Unternehmen in den aufstrebenden Ländern finanzieren sich mit billigen Dollars. Wenn die lockere Geldpolitik der Fed zu Ende geht, kann das zur tödlichen Gefahr werden. Von Martin Wolf
Martin Wolf schreibt für die Financial Times über ökonomische Themen
Martin Wolf schreibt für die Financial Times über ökonomische Themen
© Getty Images

Die globale Finanzkrise hat uns eine besonders ernüchternde Lektion beschert: Entwicklungen, die eigentlich die Widerstandsfähigkeit des Systems erhöhen sollen – in diesem Fall das „Originate-to-distribute“-Finanzierungsmodell – haben genau das Gegenteil bewirkt. Ist die Stabilität nun durch eine ähnliche Gefahr bedroht? Ja. Die nächste Runde der globalen Illiquidität könnte von den Fremdwährungs-Anleihen von Nicht-Banken in den Schwellenländern ausgehen. Im Zentrum würden Vermögensverwalter, nicht Banken stehen.

Das „Taper Tantrum“ im vergangenen Sommer hat einen Vorgeschmack darauf geboten. Als die US-Notenbak Federal Reserve andeutete, dass sie die Ausweitung der Geldmenge verlangsamen könnte, war der Effekt in den Schwellenländern dramatisch. Der IWF hat das in seinem World Economic Outlook vom Oktober so beschrieben: „Die Erwartung einer früheren Straffung der US-Geldpolitik und eines langsameren Wachstums der Schwellenländer löste im Juni 2013 deutliche Kapitalabflüsse aus den Schwellenländern aus.“ In der Folge stiegen die Risikoaufschläge, die Aktienkurse fielen, und die Währungen gaben zum Dollar stark nach.

Warum löste allein die Möglichkeit, dass die Fed in Richtung Straffung zucken könnte, einen solchen Aufruhr aus? Eine Antwort könnte sein, was der renommierte Finanzökonom Hyun Song Shin von der Princeton Universität auf einer Asien-Konferenz der Fed von San Francisco erläutert hat: die wachsende Nachfrage nach Anleihen des Privatsektors der Schwellenländer.

Schuldverschreibungen ersetzen Kredite

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"Taper Tantrum": Fed-Chef Ben Bernanke deutete im Frühjahr eine Abkehr von der lockeren Geldpolitik an

In Boomphasen flutet Finanzierung den Markt und fördert Exzesse; in der Krise trocknet die Finanzierung aus und verursacht so Einbrüche. Dieses Phänomen beschreibt der vage Ausdruck „globale Liquidität“. Vor der globalen Finanzkrise waren Banken die Hauptlieferanten von Liquidität. Seit 2010 finanzieren sich auch Unternehmen aus Schwellenländern durch Anleihen. Die Vermögensmanager (BlackRock, Vanguard, Fidelity, State Street, Pimco und so weiter) treiben die Geldflüsse. Das ist dann also die „zweite Phase der globalen Liquidität“. Und sie sorgte dafür, dass es beim Zufluss aus den Portfolios in den Schwellenländern im vergangenen Sommer zur Kehrtwende kam.

Die externe Finanzierung der Schwellenländer hat sich in zweifacher Hinsicht verändert: Nicht-Banken sind im Vergleich zu Banken zu größeren Schuldnern geworden, und Schuldverschreibungen haben Kredite weitgehend ersetzt. Ein großer Teil der Schuldenaufnahme findet im Ausland statt. Ein Hinweis darauf ist die wachsende Kluft zwischen der Verschuldung nach Wohnort und Nationalität. Zum Beispiel emittieren chinesische Unternehmen Fremdwährungsanleihen in Hongkong, nicht auf dem Festland.

Wer solche Anleihen kauft, ist auf der Suche nach Rendite in einer Welt geringer Renditen. Dafür verleiht er sein Geld länger und risikoreicher. Die Schuldner profitieren von den geringeren Kosten der Fremdwährungsanleihen. Aber in dem Prozess kommt es zu einem Währungs-Mismatch: Schulden in Fremdwährungen stehen Vermögenwerte in einheimischer Währung gegenüber. Die Schuldner spekulieren mit ihren heimischen Währungen. Studenten, die sich mit der Asienkrise 1997-1998 beschäftigt haben, wird das verstörend bekannt vorkommen. Unternehmen führen „carry trade“ aus, indem sie lokale Vermögenswerte mit offensichtlich billigen Dollars finanzieren.

Absturzspirale droht

Wenn sich die Finanzierungsbedingungen ändern, können solche Geschäfte tödliche Wirkung entfalten. Eine geldpolitische Straffung der Fed wird erwartet, also wird der Dollar steigen. Die Preise von Dollar-Anleihen werden fallen und die Dollar-Finanzierung wird aufhören. Weil die ausgegebenen Anleihen an Wert verlieren, werden die Emittenten gezwungen sein, mehr lokale Währung als Sicherheit bereitzustellen. Das wird ihren Cash Flow beeinträchtigen und einen Rückgang bei den Unternehmensausgaben auslösen. Ein Fallen des Wechselkurses wird den Druck weiter erhöhen. Hochverschuldete Nicht-Finanzinstitutionen könnten sogar pleite gehen und damit auch einheimische Kreditgeber, einschließlich der Banken, in Gefahr bringen.

Ein solches Mismatch von Währung und Risiko erklärt zum Teil die Volatilität im vergangenen Sommer. Der Stress hat wieder nachgelassen – aber an irgendeinem Punkt wird die Fed straffen. Dann wird die Absturzspirale wieder neu starten: die brutale Abwicklung mit den damit einhergehenden Problemen für Unternehmen und sogar tiefen Rezessionen.

Auf diese Weise können sogar Vermögensmanager zur Quelle zyklischer Instabilität werden – wenn sie sich prozyklisch verhalten, genauso wie es abgesicherte Darlehensgeber tun. Die zwei fundamentalen Probleme sind in diesem Fall das Fehlen langfristiger Gläubiger und der Währungs-Mismatch beim Kreditnehmer. Tatsächlich benehmen sich Nicht-Finanzunternehmen mehr wie Banken, mit steigenden Vermögenswerten (in heimischer Währung) und Verbindlichkeiten (in Fremdwährung). Sie ähneln mehr Finanzmittlern als konventionellen Firmen. Das macht sie verletzlich für bankähnliche Risiken.

Risiko schwer zu beurteilen

Die Sorge, dass die Entwicklung dieses neues Finanzierungsschemas eine Quelle für Verletzlichkeit und Volatilität sein könnte, leuchtet ein. Ein Aspekt wird dabei besonders deutlich, der sich in früheren Krisen in den Schwellenländern zeigte: Nationale Bilanzen sind wichtig. Währungs-Mismatches entstehen immer dann, wenn es für Schuldner attraktiv ist, sich in offensichtlich billigerer Fremdwährung zu verschulden. Das hat sich in Schwellenländern wiederholt als verheerend erwiesen, egal ob es um den Regierungssektor, Bankensektor und Unternehmenssektor ging.

Ohne bessere Daten ist es trotzdem schwierig zu beurteilen, wie groß die Risiken sind. Es muss sorgfältiger beobachtet werden, wie sich solche Mismatches aufbauen. Es muss nachverfolgt werden, wie sich die Verschuldung heimischer Finanz- und Nicht-Finanzinstituten entwickelt – sowohl im In- wie im Ausland – und inwieweit Nicht-Finanzunternehmen inländische Währungsreserven aufbauen. Denn diese sind, wie Professor Shin argumentiert, teilweise die Gegenposition zu Fremdwährungsanleihen. Der Dollar-Wert der Unternehmenseinlagen der Schwellenländer war volatil, teils wegen Schwankungen der Wechselkurse, ist aber zugleich rapide gestiegen.

Schlussendlich, was sind die politischen Implikationen, jenseits der bekannten Tatsache, dass die Kombination aus den heutigen hyper-aggressiven Zentralbanken im Verein mit dem Hunger des Privatsektors nach Renditen unvermeidlich eine fragile Situation schafft? Eine Folgerung ist, dass Kapitalzuflusskontrollen so gut wie wertlos sind, wenn Unternehmen im Ausland leihen können. Eine weitere ist, dass Währungsanpassungen, auch wenn sie in unserer volatilen Welt unverzichtbar sind, solche Mismatches zu Trage treten lassen. Am Ende steht die Erkenntnis: Es wird ziemlich schwierig werden, die Rückkehr zu normalen geldpolitischen Bedingungen zu managen, ohne dass es zu Instabilität im großen Maßstab kommt.

Die Schwellenländer müssen sich dieser Gefahren bewusst sein. Genauso wie die Institutionen, deren Aufgabe es ist, ihnen zu helfen.

© 2013 The Financial Times Limited

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