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Die Stunde Null Die Bahn in der Schweiz funktioniert besser: Wieso ist das so?

Jure Mikolcic, Geschäftsführer von Stadler Deutschland
Jure Mikolcic, Geschäftsführer von Stadler Deutschland
© Stadler
Der Schweizer Stadler-Konzern baut seit Jahrzehnten Schienenfahrzeuge. Deutschland-Chef Jure Mikolcic spricht über den schleppenden Ausbau des deutschen Bahn-Netzes, Züge mit Batterieantrieb und die Unterschiede zum Bahn-Vorzeige-Land Schweiz

CAPITAL: Während der Europameisterschaft entdecken Besucher aus dem Ausland, dass die Bahn bei uns nicht besonders gut funktioniert, die Kritik häuft sich. Ist das gerechtfertigt?
JURE MIKOLCIC: Das hat sicher einen wahren Kern. Wir haben seit vielen, vielen Jahren einen Investitionsstau. Es ist ja eigentlich ein langfristig prognostizierbarer Markt. Die Entwicklungszyklen von Fahrzeugen sind absehbar, die Lebensdauer. Da lässt sich der Bedarf im Grunde gut vorhersagen.

Es fließt ja nun mehr Geld in den Bahnverkehr in Deutschland, es wird zumindest versucht, den Investitionsstau aufzulösen. Profitieren Sie davon?
Wir sind insofern Profiteure der Situation als jede Ausweitung des Bedarfs bei uns in der Industrie ankommen wird. Wenn die Anzahl der Ausschreibungen hochgeht und die Flotten modernisiert werden, profitieren wir davon. Da geht es nicht nur um den Bau von Neufahrzeugen, sondern auch um die Modernisierung von alten Baureihen. Das Problem ist eher die Planbarkeit.

Was meinen Sie damit?
Das Deutsche Verkehrsforum geht von einem Investitionsstau von 90 Mrd. Euro bis 2030 aus. Wir müssen planen können, bis wann wie viele Fahrzeuge benötigt werden. Ich muss Fachkräfte einstellen, ich muss ausbilden, ich muss rekrutieren. Wir können als Industrie nicht jeden Bedarf innerhalb kürzester Zeit decken.

Und diese Planbarkeit gibt es nicht?
Für uns ist es vor allem bei den Investitionen in die Fahrwege sehr schwer zu planen und Mittel vorzuhalten. An uns als Industrie wird es nicht scheitern, wir sind in der Lage, die technischen Lösungen anzubieten. Wir müssen aber wissen, was wann gebraucht wird.

Das deutsche Schienennetz ist ja nur zu 60 Prozent elektrifiziert, für den Rest werden oft Dieselantriebe genutzt. Sie bieten auch Batteriefahrzeuge an. Wie läuft das?
Wir haben uns schon 2016 ein Erprobungsfahrzeug geleistet, um Akkutechnik zu testen. Die mögliche Reichweite wächst dabei beständig. Es gibt unterschiedliche Akku-Technologien, und wir investieren auch viel in Batteriemanagementsysteme, um das Knowhow aufzubauen. Wir haben jetzt für das Land Schleswig-Holstein 55 Fahrzeuge mit Akkutechnik bereitgestellt, es ist das Bundesland, das am wenigsten elektrifiziert ist.

Wo liegt die aktuelle Grenze bei der batterieelektrischen Reichweite?
Ungefähr bei 80 Kilometern. Wir haben natürlich Reserven eingeplant. Außerdem wird da in den kommenden Jahren deutlich mehr drin sein.

Stadler ist ein Schweizer Konzern. Es heißt ja oft, dass die Schweiz einen sehr guten Bahnverkehr hat. Was kann Deutschland dabei von den Schweizern lernen?
Es gibt in der Schweiz grundsätzlich eine ganz andere Einstellung zum Produkt und System Schiene. Es gibt einen breiten Konsens, dass die Schiene und der Öffentliche Personennahverkehr wichtig sind. Es wurde ein Investitionsfonds gegründet. Und man muss sich klar machen, dass in der Schweiz pro Kopf fünf- bis sechsmal so viel für die Schiene ausgegeben wird wie in Deutschland. Das heißt also: Die Schweizer wollen das Produkt nutzen, sie sind bereit zu investieren, und sie haben sich überlegt, was die pfiffigste Art und Weise ist das zu tun.

Sie sind ja auch Vizepräsident im Verband der Bahnindustrie. Wäre ein solcher Fonds auch ein Weg für Deutschland?
Wir sprechen uns als Verband dafür aus, ja. Damit entsteht die Planbarkeit, die wir brauchen. Alle wissen sehr genau, wann und wie Geld investiert werden kann. Darauf kann man sich einstellen.

Hören Sie in der neuen Folge von „Die Stunde Null“,

  • was in deutschen Zügen verlangt wird,
  • welche Auswirkungen die Pandemie auf den Zug-Bau hatte,
  • welche Rolle Wasserstoff im Zugverkehr spielen kann.

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