In wenigen Tagen startet die Deutsche Bahn ein Jahrhundertprojekt. Sie saniert tausende Kilometer Schieneninfrastruktur, neuer Schotter, Schwellen, Oberleitungen. Da sie schon Mal dabei ist, baut sie auch noch ein paar Aufzüge ein und errichtet Schallschutzwände an Orten, wo Menschen seit Jahrzehnten unter Lärm leiden oder gar nicht erst bis zum Bahnsteig kommen, da bisher nie Geld für Rampen da war. Für ihre Generalsanierung bekommt die Bahn Milliarden vom Bund. Historisch viel. Historisch ist auch die Chance für eine bessere Bahn. Mehr Züge könnten über die verjüngten Schienen gleiten, Fahrgäste kämen in diesem Sommermärchen pünktlich ans Ziel.
Mitten in diese euphorische Stimmung platzt eine Meldung des „Spiegel“. Die DB plane, einige Fernzugstrecken einzusparen, insbesondere der Osten werde abgekoppelt. Zu teuer, nicht mehr wirtschaftlich, seien die Gründe. Es kommt, wie es kommen muss. Bahnchef Richard Lutz wird zum Rücktritt aufgefordert.
Es klingt ja auch reichlich absurd. Eben noch war die Rede von mehr Personen- und Güterverkehr auf der Schiene. Von einer Verkehrswende. Was denn nun? Hält uns die Bahn zum Narren?
Für ein Dementi braucht die Deutsche Bahn eine Nacht und einen Vormittag. Dann teilt Michael Peterson, Vorstand im Bereich Personenfernverkehr, mit: „Wir haben im April unsere Planungen für den Fahrplan 2025 abgeschlossen. Dieser Fahrplan sieht derzeit keine der genannten Angebotskürzungen vor.“ Und schiebt dann noch hinterher, dass aber die hohen Trassen-Gebühren sehr wohl ein Problem seien.
Tatsächlich gibt es ein Schreiben der DB an die Bundesnetzagentur. Mehreren Verbänden liegt es vor, allerdings ist dort der brisante Teil geschwärzt. Es sind jene Passagen, wo die Strecken aufgelistet sind, die die DB bei noch höheren Trassenkosten nicht mehr wirtschaftlich betreiben kann. Auch ein Mitglied des Bahn-Aufsichtsrates, der sich am Donnerstag zu einer regulären Sitzung traf, bestätigt das Schreiben. Zwar stimmten die Strecken nicht alle, aber wichtig sei, dass die hohen Trassenpreise nun endlich zur Debatte stünden.
„Trassenmonster“: Der Killer für die Bahn
Denn die Wahrheit ist: Die Trassenpreise entwickeln sich zum Killer für mehr Verkehr auf der Schiene. Sie sind schon jetzt die höchsten in Europa, so hoch, dass sich selbst die Deutsche Bahn das Bahnfahren bald nicht mehr leisten kann. Was verrückt klingt, ist verrückt. Denn Schuld am „Trassenmonster“, so der Verband der Güterbahnen, ist ein vor 20 Jahren ersonnenes System, dass nicht nur kompliziert, sondern auch völlig ungeeignet ist für eine Bahn, die dem Gemeinwohl dienen soll.
Denn dass die Trassenpreisen nun für den Güter- und Fernverkehr im nächsten Jahr exorbitant steigen (16,2 und 17,7 Prozent), um dann Mondpreis-Niveau zu erreichen (geschätzt bis zu 40 Prozent Steigerung), liegt daran, dass der Bund damit immer noch Geld verdienen will. Diese Schienenmaut ergibt sich grob vereinfacht aus den Betriebskosten (Strom, Reparaturen, Personal für die Infrastruktur) plus einer Verzinsung des eingesetzten Kapitals von derzeit knapp sechs Prozent. Die Folge: Weil die Generalsanierung über eine Kapitalerhöhung finanziert wird, gehen die Trassenpreise steil nach oben. Denn in der Bilanz stehen dadurch höhere Vermögenswerte plus höhere Abschreibungen und damit Kosten, die die Trassenpreise beide nach oben treiben. So gesehen ist eine Eigenkapitalerhöhung des Bundes bei seiner Schieneninfrastrukturgesellschaft ein besonders lohnendes Investment, so Peter Westenberger, Geschäftsführer des Verbands Die Güterbahnen.
Schon seit Monaten haben die Eisenbahnunternehmen den Verkehrsminister auf die toxische Gefahr hingewiesen. Doch der rührte sich nicht. Und die Bundesnetzagentur, die die Schienenmaut genehmigt, macht einfach weiter. Sie kann kaum anders, maßgeblich ist das Eisenbahnregulierungsgesetz. Solange das nicht geändert wird, wird die DB weiter Warnbriefe schreiben müssen, dass sie nicht mehr alle Strecken wirtschaftlich bedienen kann. Der schwarze Peter geht dieses Mal nicht an die Bahn, sondern an Bundesverkehrsminister Volker Wissing. Der hat sich das System zwar nicht ausgedacht, muss es aber ändern, wenn die Generalsanierung nicht zum Zugkiller werden soll.