Viele Unternehmer verzweifeln an der Nachfolgeregelung. Nicht jeder formuliert das so stoisch wie der 83-jährige Yvon Chouinard: „Ich wusste nicht, was ich mit der Firma machen sollte, weil ich nie eine Firma wollte“, sagte der Patagonia-Gründer der „New York Times“. Seine Kinder, beide über 40, wollten die Nachfolge nicht antreten. Ein Börsengang oder Verkauf des 3 Mrd. Dollar schweren Outdoor-Spezialisten habe er prüfen lassen und abgehakt. Denn das bisherige kapitalistische System könne die Welt nicht retten, so die Kurzzusammenfassung seiner Analyse. Und nichts Geringeres ist sein Ziel: den Klimawandel stoppen.
Also haben Chouinard und seine findigen Berater ein neues Konstrukt entworfen, das nach den vorliegenden Informationen in seiner Radikalität einzigartig sein dürfte. Er verschenkt seine Firmenanteile komplett an ein Stiftungsmodell, bekommt keinerlei steuerlichen Vorteile oder Rückerstattungen, sondern zahlt zusätzlich noch ein paar Millionen Dollar Schenkungssteuern. „Das ist schon ein außergewöhnlich bemerkenswerter Fall“, sagt Friedhelm Unverdorben, Steuer- und Stiftungsrechtsexperte der renommierten Kanzlei Raue. „Das sieht man nicht oft.“
In der Regel werden Stiftungen durch Steuererstattungen staatlich incentiviert. Doch der Patagonia-Patron hat sich für die spartanische Form entschieden. Das ist ein Sonderfall, der laut Steuerexperte Unverdorben für die USA gilt, nicht aber für Deutschland. In den USA gibt es demnach zwei Formen von gemeinnützigen Stiftungen – vereinfacht gesagt: eine mit der Möglichkeit politischer Einflussnahme, eine ohne. Wer das Klima retten will und wie Chouinard Umweltaktivsten unterstützt, leistet politische Lobbyarbeit. Und solchen Stiftungen werden nach US-Recht keine steuerlichen Benefits gewährt. Politischen Aktivismus kann sich der eigenwilligen Patagonia-Gründer ohnehin nicht verkneifen. 2017 verklagte er den damaligen US-Präsidenten Donald Trump, als der drohte Naturschutzgebiete in Utah zu verkleinern. 2020 nähte Patagonia Etiketten mit der Aufschrift „Vote the Assholes out“ in seine Kleidungsstücke und warb damit wenig unverhohlen für die Abwahl Trumps.
Die neue Klimastiftung des Patagonia-Gründers hält 98 Prozent der Firmenanteile. Über die verbliebenen zwei Prozent steuert ein Trust, der mit Familienangehörigen und Beratern des Gründers besetzt ist, das Unternehmen, damit es auch 50 Jahre nach der Gründung so weitergeführt wird wie bisher. Für diesen minimalen Anteil muss Chouinard Schenkungssteuern zahlen. Die liegen bei rund 17 Mio. Dollar. Das Geld legt er drauf und verzichtet für sich und seine Angehörigen künftig auf jegliche Gewinn- oder Dividendenausschüttungen, zudem kann er durch das Stiftungskonstrukt eben auch keine persönlichen Steuervorteile nutzen. Die Gewinne des Unternehmens, die nicht reinvestiert werden, fließen künftig komplett in die Klimastiftung. Das waren zuletzt laut New York Times rund 100 Mio. Dollar. In diesem Jahr würden der Stiftung den Angaben zufolge noch 100 Mio. Dollar zufließen. Zur Gründung im August wurde sie bereits mit einem Startkapital von 50 Mio. Dollar ausgestattet. Damit gehört sie laut Experten bereits zu den größten Klimaschutzstiftungen.
Wird das Modell in Deutschland Nachahmer finden? Abgesehen vom Potenzial an aktivistischen Unternehmern, wird die politische Betätigung gemeinnütziger Einrichtungen hierzulande steuerlich anders beurteilt . Eine Klimaschutzstiftung, die wie die von dem Patagonia-Gründer errichtete auch unbegrenzt politische Förderung betreibt, wäre laut Steuerrechtsexperte Unverdorben in Deutschland nur in einem nicht-gemeinnützigen Stiftungsmodell möglich. Dafür würden anders als in den USA dann aber beträchtliche Schenkungssteuern anfallen. Spenden an gemeinnützige Stiftungen dürfen dagegen nicht mit politischer Förderung verknüpft werden, dafür gibt es bei diesem in der Praxis häufig gewählten Modell aber Steuergutschriften auf bis zu 20 Prozent des jährlichen Einkommens.
Stifter müssen also wählen: entweder geht ein Teil des Stiftungsgeldes über Schenkungssteuern an den Staat oder es fließt über Steuergutschriften an den Stiftern zurück. Nur kommt es nie zu 100 Prozent einem Stiftungszweck zugute. „Das US-Modell des Patagonia-Gründers ist deshalb schon sehr smart und dürfte auch hierzulande von nun als Referenzfall gelten", so Unverdorben.
So ein konsequent uneigennütziges Stiftungsmodell könne eine starke Signalwirkung haben, die über die üblichen Familienstiftungen hinausgeht. Davon ist Laura Marie Edinger-Schons,Professorin für Nachhaltiges Wirtschaften an der Universität Mannheim überzeugt. Die kritische Diskussion über Kapitalismus, über den Sinn und Zweck von Unternehmen, über die Verwendung von Gewinnen habe die deutsche Wirtschaft ohnehin bereits auf breiter Front erfasst. „Beinahe jedes große Unternehmen hat sich schon auf den Weg in diese Richtung begeben. Jeder hat für sich eine Botschaft über den Sinn und Zweck seines Schaffens formuliert und setzt diese Purpuse-Statements auch wie Werbung gegenüber Kunden, Bewerbern und Investoren ein“, so Schons. Das gehe bereits weg von den klassischen Zielen der reinen Gewinnmaximierung und müsse von den Unternehmen auch nachweisbar und messbar umgesetzt werden.
Diesen Trend zum sogenannten Verantwortungseigentum haben laut Schons hierzulande auch junge Gründer forciert, die mit erfolgreichen Non-Profit-Firmen klassische Geschäftsmodelle und Organisationen infrage stellen. So habe etwa Christian Kroll seine Suchmaschinenplattform Ecosia in eine gemeinnützige Stiftung umgewandelt. „Patagonia ist auf diesem Weg einfach konsequent weiter vorangeschritten“, so Schons.