Es läuft nicht in Deutschland. Die Wirtschaft schrumpft, die Zahl der Insolvenzen steigt. Selbst unter den sonst oft enthusiastischen Gründern herrscht hierzulande laut Umfragen gedrückte Stimmung. Grund für Pessimismus? Auf keinen Fall!
Da, wo die Zukunft gehandelt wird, ist der Glaube an unsere Wirtschaftskraft groß: Der Dax hat kürzlich ein Allzeithoch erreicht. Deutsche Unternehmen von Jungheinrich bis SAP bleiben weiter global wettbewerbsfähig. Und die Top-Gründer, mit denen ich spreche, sind alles andere als pessimistisch. Im Gegenteil. Sie freuen sich über das große Angebot gut ausgebildeter Arbeitskräfte in Europa – und über das Angebot an amerikanischem Geld.
US-Investoren stoßen in die Lücke, die wir ihnen überlassen
Die Venture-Capital-Firmen aus den USA legen nämlich einen immer größeren Fokus auf Europa. Als Investor, der sich auf beiden Seiten des Atlantiks bewegt, begegnet mir eine neue amerikanische Sichtweise auf den „alten Kontinent“: US-Investoren erkennen das Potenzial der europäischen Start-ups und bringen sich in Position. Einer der erfolgreichsten europäischen Investoren berichtete mir kürzlich, wie viel schwieriger das Geschäft in Europa durch die zunehmende Konkurrenz aus den USA geworden ist, wie umkämpft die Deals sind. So hat etwa die US-Risikokapitalgesellschaft General Catalyst den deutlich kleineren deutschen VC La Famiglia gekauft, um sogenannte Seed-Investments und in ganz Europa auszubauen.
Die Investments in die europäische Start-up- und Tech-Branche haben sich laut einer Studie des skandinavischen Risikokapitalgebers Atominco zwischen 2021 und 2023 mehr als halbiert – von über 100 Mrd. Dollar auf nur noch 45 Mrd. Dollar. Hier wittern die Amerikaner ihre Chance: Wenn Europa seine Start-ups nicht unterstützt, übernehmen das die US-Investoren gerne. Und kaufen sich in unsere innovativsten Jung-Unternehmen ein.
Amerikanische Geldgeber fragen mich ständig nach Intros in Europa
Zwar sitzt auch in den USA das Geld nicht mehr total locker, aber in Europa ist viel weniger Wagniskapital verfügbar. Entsprechend sind die Bewertungen junger Unternehmen deutlich moderater und der Wettbewerb unter den Investoren um die besten Start-ups nicht so groß. Kein Wunder, dass mich meine amerikanischen Kontakte mittlerweile ständig um Intros zu europäischen Gründern bitten.
Prominentes und aktuelles Beispiel für das US-Interesse an Start-ups made in Europe: das französische KI-Start-up Mistral AI, an dem ich auch indirekt beteiligt bin. Erst im Mai 2023 gegründet, hat es im Dezember seine zweite Finanzierungsrunde abgeschlossen und schon rund 500 Mio. Euro eingesammelt. Die größten Geldgeber: Lightspeed Ventures und Andreessen Horowitz, zwei der namhaftesten Risikokapitalgeber, aus – genau: den USA.
„Wir sind eindeutig auf dem Radar der Amerikaner aufgetaucht”, sagt Mistrals Co-Gründer Arthur Mensch. Eine Aussage, die sich mit meinen persönlichen Eindrücken aus Gesprächen mit amerikanischen Investoren deckt: Sie verfolgen genau, was sich auf dem alten Kontinent tut. Auch, weil ihre Fonds mit europäischem Schwerpunkt die US-Fonds outperformen, wie sie mir berichten.
Alles gut also? Sollten wir uns in Europa über den Geldsegen aus Übersee freuen und zuschauen, wie unsere besten Start-ups, angetrieben durch amerikanisches Geld, durch die Decke gehen? Nein. Das mag kurzfristig und in Einzelfällen gut sein. Aber die Investitionen, insofern sie sich denn auszahlen, fließen ja auch wieder zurück über den Atlantik. In Form von Renditen.
Wir müssen das Potenzial von Wagniskapital besser verstehen
Wir müssen anfangen, unser Geld, von dem wir in Europa genug haben, weitsichtiger anzulegen. In Innovationen. Sie sind das Herzstück von Value Creation. Die amerikanische Elite-Uni Yale investiert schon lange ein knappes Viertel ihres Multi-Milliardenvermögens im VC-Bereich – mit starken Renditen. Ich frage mich, wann das die deutschen Versicherungs- und Pensionsfonds auch tun. Natürlich geht dies nicht von heute auf morgen und man braucht Zugang zu den besten Start-ups und Fonds. Aber es nicht zu probieren, ist keine Lösung. Die Renditeziele vieler Stiftungen hierzulande liegen bei gerade mal fünf Prozent. Das übersteigt kaum die Inflation. Doch zu viele lassen sich vom Wort „Wagnis“ in Wagniskapital abschrecken. Dabei ist das Wagnis überschaubar, wenn man sich breit aufstellt und in eine größere Zahl von Start-ups und Fonds investiert.
Wir brauchen auch einen Paradigmenwechsel in der Politik. Denn viele Start-ups aus der DACH-Region expandieren nicht hier, sondern in die USA. Das Berliner Telefahr-Start-up Vay zum Beispiel, in das ich investiert bin, hat seinen kommerziellen Service jetzt in Las Vegas gelauncht. Auch Climeworks aus Zürich, weltweit führend mit ihrem Verfahren, CO2 aus der Luft zu filtern, baut jetzt ein Team in den Vereinigten Staaten auf. Weil es dort bessere Bedingungen vorfindet. Der von US-Präsident Joe Biden initiierte „Inflation Reduction Act“ hat sich als Wachstumstreiber für Start-ups erwiesen, vor allem bei Klimatechnologien. Diese grünen Geschäftsmodelle werden vom amerikanischen Staat mit massiven Subventionen und Steuererleichterungen gefördert. Insgesamt 400 Mrd. US-Dollar stehen dafür in den nächsten zehn Jahren bereit. Ein massiver Wettbewerbs- und Standortvorteil.
Erfolgreiche Allianzen: Aleph Alpha als Vorbild
Wie schaffen wir es, dass zukunftsweisende Unternehmen aus Europa ihre eigene Zukunft ebenfalls in Europa sehen? Durch eine innovationsfreundliche Politik – hier ist die Reform der Mitarbeiterbeteiligung durch die Ampel ein Anfang. Und durch mehr Zusammenarbeit zwischen etablierten Unternehmen und Start-ups.
Ein Beispiel, das mir Mut macht, ist unsere deutsche KI-Hoffnung Aleph Alpha. Die Heidelberger sind wie die Franzosen von Mistral AI mit ihren jüngsten Finanzierungsrunde in Dimensionen von fast einer halben Milliarde Euro vorgestoßen. Aber anders als bei dem mit US-Geld finanzierten Mistral AI stammen im Falle von Aleph Alpha die führenden Investoren aus Europa, ja sogar Deutschland: Es sind die Stiftungen bzw. Unternehmungen von Lidl-Gründer Dieter Schwarz und die Beteiligungsgesellschaft von Bosch.
Ich kenne Jonas Andrulis, den Gründer von Aleph Alpha, gut. Ich finde es klasse, wie er auf europäische Resilienz fokussiert ist. Er wollte für seine neue Runde ganz bewusst überwiegend europäisches bzw. deutsches Kapital – und ist dafür sogar das Risiko einer niedrigeren Bewertung eingegangen. Damit das Wissen und die Entscheidungshoheit hierbleiben.
Wenn wir es schaffen, mehr solcher Allianzen zwischen etablierten europäischen Unternehmen mit den innovativsten Köpfen unseres Kontinents zu schmieden, machen wir Europa fit für die Zukunft.