Horst von Buttlar ist Chefredakteur von Capital
Die neue griechische Regierung hat beschlossen, mit Hilfe der neuen Kreditlinie, allen Bürgern einen Scheck über 2000 Euro zu schicken, die unter anderem in Elektronikfachmärkten eingelöst werden können. Außerdem sollen alle Bauprojekte gestoppt werden, an denen deutsche Firmen beteiligt sind. Für viele Geschäftsmänner und Teile des deutschen Kabinetts wurde ein sofortiges Einreiseverbot verhängt. Im Arbeits- und Beamtenrechtrecht gelten ab 1. Februar die Vorschriften, die bis Ende 2010 in Kraft waren. Jeder, der seinen Job im öffentlichen Dienst verloren hat, darf unverzüglich zurückkehren.
Wahnsinn diese Griechen! Okay, bis hierher war dieser Text frei erfunden. Das Beunruhigende ist, dass seit Sonntag all das zumindest möglich erscheint.
Wahnsinnig geworden, so scheint es, und wahnsinnig rotzig, angriffslustig sind die Griechen in ihrer neuen Ära. Die ersten Stunden sind ein großes Ätsch, ein politisches Fuck off gegen Austerität, Deutschland, Merkel, Entbehrung. Will man es den Griechen verdenken? Vielleicht müssen wir uns diese Mühe geben. Wer innerhalb kurzer Zeit ein Viertel seiner Wirtschaftsleistung verliert, hat ein anderes Mindset. Er hat Hunger und interessiert sich weniger für die 34. Liberalisierung irgendeiner Zunft.
Der neue Moral Hazard Livestream
Und doch, was wir in Griechenland erleben, ist ein atemloser „Morald Hazard Livestream“. In brachialer Geschwindigkeit fällt die neue Regierung Entscheidungen, die uns sprachlos machen, auch wütend, wir spüren Radikalität, enthemmten Gestaltungswillen und den alten Deutschland-Hass, den man auf den griechischen Straßen hörte. Nur, dass er jetzt von Ministern kommt: Die Deutschen werden ohnehin zahlen. Ätsch.
Und die Deutschen? Wolfgang Schäuble knurrt zurück, gibt sich hart. Doch diesmal scheint der AfD-Vorsitzende Bernd Lucke wohl eher richtig zu liegen: Wenn der neue Finanzminister Yannis Varoufakis tönt, dass Deutschland letztlich wird zahlen müssen, sei das „eine Frechheit, aber es stimmt vermutlich“. Varoufakis, ein linksradikaler Professor, hatte den Umgang Europas mit seiner Heimat als „finanzielles Waterboarding nach dem Vorbild der Foltermethoden der CIA“ bezeichnet. Das ist natürlich ziemlicher Quatsch, die Diagnose hat aber einen wahren Kern.
Wir werden zahlen, irgendwie, irgendwann. Und wir sind erschrocken, weil einer endlich ausspricht, was viele denken, aber keiner sagen darf. So etwas kennen wir eigentlich aus „Harry Potter“, wo das Böse, Lord Voldemort, auch so heißt: „Er, dessen Name nicht genannt werden darf.“ In Europa heißt das Böse Schuldenschnitt.
Das Schlimme ist aber nicht, dass die neue Regierung sofort ohne Augenmaß handelt und die Zockerei zur neuen Richtlinie für die Zukunft erhoben hat – denn der Schuldenschnitt, den sie fordert, wird wohl offen oder verdeckt kommen –, das Schlimme ist, dass innerhalb kurzer Zeit, alles zu zerfallen droht, was das Land erreicht hat.
Kaum im Amt hat der neue Premierminister Alexis Tsipras Privatisierungen von Häfen und Regionalflughäfen gestoppt. Überflüssige Beamte sollen wieder eingestellt, die Renten und der Mindestlohn erhöht werden. Griechenland macht wieder die Fehler, die Ursache für das Scheitern des Landes waren: Es bläht den Staatsapparat auf, verteilt Geschenke, die es sich nicht leisten kann und sucht die Schuld für alles Übel bei anderen.
Holt Euch das Geld halt von Hedge Fonds!
Wer immer vor dem Problem des „Moral Hazard“ gewarnt hat, dürfte sich bestätigt fühlen: Der Druck zu Reformen kommen nicht aus der inneren Einsicht heraus, dass sich etwas ändern muss. Deutlich wird das bei den Steuern, wo man über das Kalkül der Griechen fast schon wieder lachen kann: Offenbar haben viele griechische Steuerzahler schon seit November die Ankündigungen von Tsipras als beschlossen empfunden, und gleich weniger Steuern bezahlt. Athener Experten beziffern den Fehlbetrag auf 4 Mrd. Euro. Wo bleibt die alte Erkenntnis, dass der griechische Staat zu wenige Einnahmen hat, weil zu wenige Steuern zahlen?
Man möchte nun die Faust in der Tasche ballen: Sollen die Griechen sich halt wieder zerstören, aber bitte, dann holt Euch das Geld von Hedge Fonds für 20 Prozent, und nicht für zwei Prozent vom europäischen Steuerzahler (es sind nämlich nicht nur deutsche, sondern auch finnische und slowakische). Das wäre das Gegen-Fuck-off gegenüber dem der Griechen. So läuft aber Politik nicht. Wir Deutschen sollten einen kühlen Kopf bewahren. Vermutlich wird man die griechische Regierung sich ein wenig austoben lassen müssen.
Aber viel Zeit bleibt nicht, denn Griechenland braucht ständig frisches Geld, und dummerweise scheint es verdrängt zu haben, dass es seit geraumer Zeit keines mehr am Kapitalmarkt bekommt.
Was wirklich beunruhigend ist, ist die neue Russland-Rhetorik. Griechenland droht mit einem Veto gegen die Sanktionen. Das Kalkül dahinter: Wenn man Geld braucht, werden die Russen vielleicht helfen – und sich diebisch freuen, die Europäer doch gespalten zu haben.
Ebenso beunruhigend ist an der neuen Rhetorik, dass es Tsipras und seinem absurden Tross aus Links- und Rechtsradikalen (vergleichbar mit einer Koalition aus Linkspartei und Pegida hierzulande) nicht nur um griechische Rentner geht. Ein neues Regime soll ganz Europa ergreifen, ein Regime, das vor allem Geld verteilen will: von oben nach unten, von Norden nach Süden, von Privaten zum Staat (und wieder zurück.)
Das Wort „Strukturreformen“ wird, wie in Orwells Neusprech, aus dem Wortschatz dieser Politik getilgt; und damit die mühsam erlangte Einsicht, dass Europas Depression nicht nur mit Geldmangel zu tun hat (Geld ist im Überfluss da). Sondern vor allem mit Gesetzen, Behörden, Arbeitnehmern, Managern, Vorschriften, Unternehmen, Branchen, Interessensverbänden, Bildungseinrichtungen, Rahmenbedingungen, Steuersystemen und Arbeitsparagraphen in nahezu allen Staaten, die uns einfach nicht in die Lage versetzen, den Wohlstand zu erwirtschaften, den wir so gerne haben wollen.