Betonstelen ragen in den Himmel. Durch den matschigen Boden, in dem Fundamente und kilometerweise Röhren verankert wurden, stapft ein Bauarbeiter in Warnkleidung. Gerade wird in dem improvisierten Güterbahnhof nahe des VW-Motorenwerks in Salzgitter wieder ein Zug entladen, der die vorgefertigten Betonelemente gebracht hat, aus dem das bei weitem ehrgeizigste und für die Zukunft entscheidende Investitionsprojekt von Volkswagen entsteht: Die erste eigene große Batteriezellfabrik eines europäischen Autoherstellers nimmt hier sichtbar Formen an.
Sie soll schon ab 2025 Volkswagens Elektroautos mit neuartigen Energiespeichern ausrüsten und so dazu beitragen, dass der weltweit zweitgrößte Autobauer im Kampf um das Autogeschäft der Zukunft mit Tesla und anderen Newcomern vor allem aus China, noch bestehen kann. Wegen des schlechten Wetters seit Jahresanfang hängt die Baustelle im Zeitplan hinterher, wie Beteiligte berichten. Dennoch gibt sich der Konzern gewiss, dass hier schon in gut zwei Jahren die vielgepriesene VW-„Einheitszelle“ entsteht.
Um zu zeigen, dass man Elon-Musk-Spirit („Gigafactory“) und alte VW-Welt miteinander verknüpfen kann, hat der Konzern das Vorhaben ein bisschen albern „Salzgiga“ getauft. Vergangenen Sommer ist Bundeskanzler Olaf Scholz extra hergeeilt, um das Kunstwort in die Welt zu rufen und mit viel Getöse den Startknopf für den Bau zu drücken. Es war einer der letzten Auftritte des damaligen VW-Chefs Herbert Diess. Vor zwei Jahren hatte er die ehrgeizigen Pläne von VW bei der Zellfertigung verkündet: Insgesamt sechs Batteriefabriken in Europa kündigte VW damals bis zum Ende des Jahrzehnts an. Eine Fabrik baut VW-Partner Northvolt in Schweden, vier sollten als exakte Kopien der Salzgitter-Fabrik entstehen.

Doch plötzlich ist von sechs Zellfabriken keine Rede mehr. „Wir brauchen nicht unbedingt die sechs“, sagte der zuständige Konzern-Technikvorstand Thomas Schmall am Dienstag bei einem Pressetermin vor Ort in Salzgitter. Er hielt sich ausdrücklich offen, ob die nächste schon angekündigte aber noch nicht konkret geplante Anlage in Europa überhaupt noch gebaut wird. Das müsse erst 2025 entschieden werden, sagte Schmall. Er gab sich sichtlich Mühe den Eindruck zu zerstreuen, dass VW bei seinen hochfliegenden Batterieplänen zurücksteckt. „Wenn es Sinn ergibt, weniger als sechs zu bauen“, so der Vorstand über die Fabriken, „dann ist das ein ganz normaler Prozess“. Über das fragliche Batteriewerk sagte Schmall: „Warum sollten wir uns damit jetzt beeilen?“, fragte Schmall nun dazu.
In Europa tritt VW auf die Bremse, in Nordamerika gibt der Konzern Gas. Oder vielmehr Strom. Denn zeitgleich mit seiner rumeiernden Aussage zur Gesamtzahl der künftigen Batterie-Werke kündigte Vorstand Schmall an, dass es in Amerika jetzt ganz schnell losgeht. Er baut demnach eine neue Zellfabrik in St. Thomas im kanadischen Bundesstaat Ontario. Schon 2027 sollen dort die blauglänzenden Einheitszellen des Konzerns vom Band laufen. „Das ist ein großer Tag für uns“, rief Schmall in Salzgitter.
Niedrigere Energiekosten in Amerika
Die Entscheidung, in Amerika Tempo zu machen, während Pläne in Europa auf Eis liegen, dürfte all jenen in Europa einen Schlag versetzen, die sich seit Monaten Sorgen darüber machen, welche Auswirkungen das Investitionsprogramm von US-Präsident Joe Biden für die Zukunft der europäischen Industrie hat. Mit seinem „Inflation Reduction Act“ (IRA) subventioniert Biden massiv klimaschonende Technik in Amerika. Wegen wechselseitiger Freihandelsabkommen dürfte VW auch mit seiner Anlage in Kanada davon profitieren. „Der IRA hat uns ein bisschen Rückenwind gegeben“, erklärte VW-Vorstand Schmall rundheraus. „Der IRA drückt die Kosten von Batteriezellen nach unten“.
In Amerika profitiert die energieintensive Batterieherstellung nicht nur von den möglichen Subventionen, sondern auch von den Kosten für die benötigte – möglichst erneuerbar hergestellte – Energie. Diese sind dort deutlich niedriger als in Europa. Dazu kommt, dass Biden zwar die Durchsetzung von E-Autos in den USA massiv fördern will – aber als Voraussetzung für die Förderung darauf besteht, dass die Batterien und deren Rohstoffe aus Amerika kommen.
Die ursprünglich weitreichenden Pläne für Batteriezellfertigung in Europa hat im Zuge dieser Entwicklung schon mehrere schwere Rückschläge erhalten. Der schwedische Konzern Northvolt hat die Pläne für ein riesiges Werk im schleswig-holsteinischen Heide auf Eis gelegt und kündigte ebenfalls stattdessen eine Fabrik in den USA an. Tesla-Chef Elon Musk hat Pläne für eine große Batteriefabrik neben seinem Autowerk in Grünheide bei Berlin vorerst gestoppt. Auch eine im Saarland geplante Batteriefabrik steht infrage.
Subventionen aus Brüssel?
Schon fürchten Autoexperten, dass Europa auch bei der Durchsetzung der E-Mobilität gegenüber China und den USA ins Hintertreffen geraten könnte. Andere – auch in der Industrie – erwarten den Beginn eines massiven Subventionswettlaufs.
Das könnte auch das Kalkül von VW sein, wenn der Konzern nun seine dritte eigene Batteriefabrik auf die lange Bank schiebt. Man warte nun erst einmal darauf, ob die Investitionsbedingungen stimmten, heißt es im Unternehmen mit ausdrücklichem Verweis auf mögliche Subventionen aus Brüssel. Und Technikvorstand Schmall legt Wert auf die Feststellung, ein mögliches Aus für die Pläne in Europa bedeute nicht, dass VW auf dem Alten Kontinent weniger Batterien fertigen werde. Die Batteriekapazität für Europa solle aus Europa kommen, sagte Schmall. In Amerika sollen keine Batterien für den europäischen Markt gefertigt werden und auch aus Asien keine zusätzlichen kommen.
Statt einer dritten eigenen Fabrik in Europa kann sich Schmall vorstellen, die Kapazität eines anderen Werks auszuweiten. Zum Beispiel in Salzgitter. Platz wäre hier. Neben den zwei großen Fabrik-Riegeln, deren Form sich mit den Betonstelen schon abzuzeichnen beginnt, wäre noch Platz für eine dritte Anlage, diese Option hat das Unternehmen sich von vornherein vorbehalten. Aber ob der hier gebaut wird und Deutschland somit am Ende eventuell doch noch profitiert – das hängt davon ab, wie stark sich Berlin und Brüssel dem Drang nach Subventionen öffnen.