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Kolumne Virtuelle Führung

SAP hat sich so konsequent international ausgerichtet wie kein anderer deutscher Konzern. Selbst die Zentrale in Walldorf verwaist. Doch die Organisation fremdelt mit der virtuelle Führung.

Routiniert begrüßte Hasso Plattner diese Woche die knapp 4000 Aktionäre, die zur SAP-Hauptversammlung nach Mannheim gekommen waren. Der Mitgründer und Aufsichtsratschef des weltgrößten Firmensoftwareanbieters konnte sich sicher sein, dass die Investoren angesichts der flotten Wachstumsgeschichte, stetigen Rekordumsätzen, Kurssteigerungen und Dividendenerhöhung wenig zu mosern haben würden.

Zum Ende seiner stoisch vom Blatt abgelesenen Eröffnungsrede jedoch durchzuckt es Plattner plötzlich, als er Co-Vorstandschef Bill McDermont ans Mikro bittet. „Da Bill...“ – Stocken – „mhmmmm....“, grummelt Plattner, schaut auf, kratzt sich an der Stirn und bringt es zum Ende: „.. kein Deutsch spricht, wird sein Vortrag simultan übersetzt.“ Dieses unmutige Knurren vermittelt kurz ein Unwohlsein, wirkt wie eine verdruckste Entschuldigung.

Warum erweckt Plattner den Eindruck, sich gegenüber den Aktionären in Mannheim rechtfertigen zu müssen, weil der US-Amerikaner McDermont auf Englisch vorträgt? Das ist doch keine Zumutung für Anteilseigner eines Konzerns, der sich wie kein anderes deutsches Unternehmen frühzeitig der Globalisierung verschrieben hat. Der als führender Software-Anbieter Europas durch seine Technologie die weltweite Vernetzung von Unternehmen durch einheitliche Steuerungstools überhaupt erst ermöglicht hat und somit Triebkraft der global vernetzten Ökonomie ist.

Den Grundstein für SAP haben vor 41 Jahren zwar fünf Deutsche im badischen Walldorf gelegt. Doch inzwischen arbeiten selbst am Firmensitz Mitarbeiter aus 75 Nationen. Weltweit sind 65 000 SAP-Beschäftigte in 120 Ländern vertreten. In den vergangenen fünf Jahren hat das Unternehmen Milliarden für Firmenkäufe in der ganzen Welt ausgegeben. Deren Topmanager sind auch in die obersten Führungsgremien von SAP befördert worden, die von einem Amerikaner und einem Dänen geleitet werden.

Das ist konsequent für ein Unternehmen, das weltweit mehr als 230 000 Kunden bedient. So eine Vielfalt wird heutzutage von einer guten Unternehmensführung verlangt. Da ist SAP Vorreiter unter den deutschen Unternehmen, bei denen nach einer Studie der Personalberatung Egon Zehnder gerade mal 18 Prozent der Vorstands- und Aufsichtsratsposten einen ausländischen Pass haben. Europaweit liegt der Schnitt bei 31,5 Prozent.

Doch SAP hat im Gegensatz zu anderen globalen Konzernen seine Führungsmannschaft ausgelagert und über Walldorf, Palo Alto, Kopenhagen und China verteilt. Das führt zu weiterer Verunsicherung der Mitarbeiter, die inmitten des umfassenden laufenden Strategiewandels ohnehin noch nach Orientierung suchen. Das führt auch zu besorgten Nachfragen bei Aktionären auf der Hauptversammlung, die wissen wollen, ob SAP jetzt amerikanisch wird. Der Firmensitz bleibe in Deutschland, verspricht der Vorstand und die Amtssprache bleibe weiterhin deutsch, schiebt Aufsichtsratschef Plattner hinterher.

Aber was heißt das schon, wenn die wichtigsten Entscheider sich fernab tummeln und Plattner das damit begründet, dass das Silicon Valley einfach der Ort sei „an dem SAP die meiste Inspiration bekommt“. Klingt nach einer hervorragenden Motivationsquelle für Mitarbeiter in Kalifornien, entwertet aber auch andere Standorte wie Walldorf, die „weit weg von diesem Tummelplatz sind“, wie der Oberaufseher konstatiert. Dabei haben die Wurzeln der Firma dort bislang einen wichtigen Teil der gesamten Unternehmenskultur ausgemacht, die talentierte Mitarbeiter selbst in die süddeutsche Provinz gelockt hat.

Eine solche DNA, eine wertestiftende Identität, ist gerade für ein global aufgestelltes Unternehmen als einheitliche Orientierung und Inspirationsquelle wichtig. Und ein solches Kraftzentrum muss die oberste Führungsetage kontinuierlich gemeinsam und einheitlich mit Energie antreiben. Ein virtueller Führungsstil wie ihn SAP nun praktiziert ist jedoch selbst für einen IT-Anbieter ein herausforderndes Experiment.

Jenny Genger schreibt jeden Donnerstag an dieser Stelle über Unternehmensführung, Netzwerke und Karrierethemen

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