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Kommentar Vier-Prozent-Inflation - eine Scheinlösung

Die Anhebung des Inflationsziels ist riskant. Eine elektronische Währung wäre besser. Von Kenneth Rogoff
Kenneth Rogoff war Chefökonom des IWF und ist heute Professor für Ökonomie und Public Policy an der Universität Harvard
Kenneth Rogoff war Chefökonom des IWF und ist heute Professor für Ökonomie und Public Policy an der Universität Harvard
© Getty Images

Seit einiger Zeit schon gibt es die Sorge, den Notenbankern könnte „die Munition ausgegangen“ sei. Nachdem sie die Leitzinsen auf nahezu null abgesenkt haben, ergreifen sie zunehmend extravagante Maßnahmen wie die „quantitative Lockerung“ und „Forward Guidance“. Angesichts des Nebels, den die Finanzkrise über der Realwirtschaft hat aufziehen lassen, ist es schwierig, eine definitive Bewertung abzugeben, wie gut oder schlecht diese Maßnahmen tatsächlich funktionieren. Es ist jedoch, dass es einen besseren Weg geben muss, die Dinge in den Griff zu bekommen.

Es gibt keinen Grund mehr, dass die Nullgrenze bei den Nominalzinsen die Geldpolitik weiterhin behindert. Eine einfache und elegante Lösung wäre die allmähliche Einführung einer vollständig elektronischen Währung, bei der Zinszahlungen – positive wie negative – lediglich einen Knopfdruck erfordern. Angesichts der Tatsache, dass Papiergeld (besonders die großen Scheine) wohl mehr schadet als nutzt, ist eine Währungsmodernisierung längst überfällig. Die Notenbanken könnten bei Verwendung einer elektronischen Währung die Inflation weiter genau wie bisher stabil halten. (Der Chefökonom der Citigroup, Willem Buiter, hat eine ganze Reihe von Möglichkeiten vorgeschlagen, um die Einschränkungen des Papiergelds in Angriff zu nehmen, doch es zu beseitigen ist am einfachsten.)

fasziniert, aber skeptisch

Als zweite, weniger elegante Möglichkeit könnten die Notenbanken ihre Inflationsziele einfach von der heutigen Norm von zwei Prozent auf ein höheres, aber immer noch moderates Niveau von vier Prozent anheben. Die Idee, die Inflationsziele dauerhaft auf vier Prozent anzuheben, wurde ursprünglich in einem interessanten und klugen Aufsatz vorgeschlagen, dessen federführender Autor IWF-Chefökonom Olivier Blanchard war. Im Laufe der Zeit haben sich weitere Wissenschaftler diesem Vorschlag angeschlossen, zuletzt Paul Krugman. Unglücklicherweise könnte es sich als unüberwindliches Hindernis erweisen, einen reibungslosen und überzeugenden Übergang zu dem neuen Zielwert hinzubekommen.

Als Blanchard seine Idee erstmals vorstellte, war ich fasziniert, aber skeptisch. Zwar hatte ich zwei Jahre zuvor, zu Beginn der Finanzkrise, selbst vorgeschlagen, die Inflation für einige Jahre auf vier Prozent oder mehr zu erhöhen, um den Schuldenüberhang abzubauen und Lohnanpassungen zu beschleunigen. Doch besteht ein himmelweiter Unterschied zwischen einer vorübergehenden Erhöhung der Inflation zur Bewältigung einer Krise und der Freisetzung langfristiger Erwartungen.

Nachdem sie den Menschen zwei Jahrzehnte lang einen Inflationswert von zwei Prozent als Nirwana verkauft haben, würden die Notenbanker auf Unverständnis stoßen, wenn sie plötzlich erklärten, sie hätten es sich anders überlegt – und zwar nicht geringfügig, sondern völlig. Man erinnere sich an die „Tapering-Krise“ im Mai 2013, als der damalige Chairman der US Federal Reserve, Ben Bernanke, mit seinem Eintreten für die Rückführung der quantitativen Lockerung eine deutlich bescheidenere Änderung der Geldpolitik vorschlug. Die Menschen könnten durchaus fragen, was die Notenbanker, wenn sie ihren langfristigen Zielwert von zwei Prozent auf vier Prozent ändern konnten, abhalten sollte, später zu beschließen, dass es fünf Prozent oder sechs Prozent sein sollten.

Analogie zu den Problemen nach dem ersten Weltkrieg

Angesichts der Wahrscheinlichkeit einer irritierten, misstrauischen Öffentlichkeit ist eine tiefreichende Begründung für ein Vier-Prozent-Ziel schwer zu finden. Das bestehende Inflationsziel von zwei Prozent steht wenigstens für etwas, weil die Notenbanker es als moralische Entsprechung des Nullwertes darstellen können. (Die meisten Experten sind überzeugt, dass ein echter wohlfahrtsbasierter Preisindex eine deutlich niedrigere Inflation aufweisen würde als staatliche Inflationsstatistiken anzeigen, weil die offiziellen Daten die Vorteile des stetigen Zustroms neuer Waren in die Wirtschaft nicht erfassen.)

Es besteht eine Analogie zu den Problemen, vor denen die Länder standen, die nach dem Ersten Weltkrieg versuchten, den Goldstandard wieder einzuführen. Bis zum Krieg war Geld mit Gold unterlegt und konnte zu einem festen Kurs umgetauscht werden. Obwohl das System hochgradig anfällig war für Bankenstürme und kaum Spielraum für geldpolitische Stabilisierungsmaßnahmen bestand, ermöglichte das Vertrauen der Menschen in das System diesem, Erwartungen zu verankern.

Unglücklicherweise brach das System nach dem Kriegsausbruch im August 1914 völlig zusammen. Die krampfhaft auf Einnahmen angewiesenen kriegsführenden Parteien waren gezwungen, sich auf eine Finanzierung durch Inflation zu verlegen. Und sie konnten die Währung nicht gleichzeitig entwerten und zu einem festen Kurs mit Gold unterlegen.

Währungssystem für das 21. Jahrhundert

Nach dem Krieg, als sich die Lage beruhigte, versuchten die Regierungen den Goldstandard wiederzubeleben – teilweise als Symbol für eine Rückkehr zur Normalität. Doch der Goldstandard der Zwischenkriegszeit scheiterte letztlich, und zwar nicht zuletzt deshalb, weil es unmöglich war, das Vertrauen der Öffentlichkeit zurückzugewinnen. Entscheidungen der Notenbanken hin zu einem langfristigen Inflationsziel von vier Prozent könnte dieselbe Dynamik auslösen.

Zum Glück gibt es eine viel bessere Methode. Der Schritt hin zu einer elektronischen Staatswährung würde keine destabilisierende Änderung des Inflationsziels erfordern. Geringfügige technische Probleme ließen sich problemlos ausbügeln. So könnte man den normalen Bürgern eine zinslose Transaktionskasse (bis zu einer gewissen Höhe) einräumen. Vermutlich würden die Nominalzinsen nur in Reaktion auf eine tiefe deflationäre Krise negative Werte erreichen.

Bei Eintritt einer derartigen Krise jedoch könnten die Notenbanken diese durch geballte Kraft viel schneller überwinden, als das heute möglich ist. Und wie ich an anderer Stelle argumentiert habe, sparen Regierungen schon lange am falschen Ende, indem sie große Scheine herausgeben, da ein großer Teil dieser Scheine in der Schattenwirtschaft und zur Finanzierung illegaler Aktivitäten verwendet wird. Der Schritt hin zu einem Währungssystem des 21. Jahrhunderts würde es sehr viel einfacher machen, auch zu einem Notenbankregime des 21. Jahrhunderts überzugehen.

Aus dem Englischen von Jan Doolan

© Project Syndicate 1995–2014

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